Freihandel mit Brasilien: Im Land der leeren Blicke

Nr. 46 –

Eine Delegation von Indigenen reiste durch die Schweiz, um die Ratifizierung des Mercosur- Freihandelsabkommens zu verhindern – zum Schutz des Amazonas. Die WOZ hat sie in die Genfer Teppichetagen begleitet.

«Wir hören immer dieselben Sätze»: Nara Baré, Kretã Kaingang und Célia Xakriabá im Büro des Schweizer Vereins des Rohstoffhandels und des Schifftransportes.

«Mir fällt in der Schweiz die Kälte der Menschen auf», sagt Kretã Kaingang. Er sitzt im Zug nach Genf, hinter ihm zieht die Waadt in kühlen Farben vorbei. Menschen hat er hier bereits einige getroffen. Kaingang ist Mitglied einer elfköpfigen Delegation von indigenen BrasilianerInnen, die derzeit Europa bereisen – darunter die Schweiz. Sie suchen das Gespräch mit Politikern, Beamtinnen und Wirtschaftsführern, von denen sie sich Hilfe in ihrem Kampf gegen die Abholzung des Amazonasgebiets sowie die dortigen Menschenrechtsverletzungen erhoffen. Und mit solchen, die dafür verantwortlich sind.

Kaingangs bisherige Erkenntnis: «Wir mussten auf unserer Reise bis jetzt schmerzlich erfahren, dass sich der Kapitalismus nicht um das Leben der indigenen Völker schert.»

Feigenblattklausel

In der Schweiz sind Kaingang und seine MitstreiterInnen vor allem, um die Ratifizierung des geplanten Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten zu verhindern. Der Bundesrat hat erst Ende Sommer dem Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zugestimmt. Das Abkommen bedroht die Lebensgrundlage der Indigenen im Amazonasgebiet. Die darin enthaltene Nachhaltigkeitsklausel sei scheinheilig, sagt die Delegationsteilnehmerin Célia Xakriabá, mit dem Vertrag werde das Leben der Indigenen verhandelt. «Glauben Sie wirklich, dass die brasilianische Regierung, die weder die eigene Verfassung noch die Uno-Konventionen oder das Pariser Abkommen respektiert, den Freihandelsvertrag respektieren würde?»

Seit der Wahl des Rechtsextremen Jair Bolsonaro zum brasilianischen Präsidenten haben die Waldrodungen und Morde an Indigenen rasant zugenommen. Allein in diesem Jahr sind etwa 140 Indigene getötet worden. Der Vertrag, sagt die Delegation, werde weiteren Firmen die Tür in das Amazonasgebiet öffnen und damit ihre Lebensgrundlage zerstören.

In Genf trifft sich die Delegation im Palais Wilson mit der stellvertretenden Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kate Gilmore. Mehr als die Absicht, sich für einen legalen Rahmen zum Schutz Indigener einzusetzen, bekommen die Delegierten von Gilmore nicht zu hören. Christoph Wiedmer von der Gesellschaft für bedrohte Völker, der die Delegation begleitet, ist enttäuscht: «Gilmore hätte sie wenigstens auf existierende juristische Möglichkeiten hinweisen können: Regierungen können etwa wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen an einem internationalen Gerichtshof angeklagt werden.»

Die unsichtbare Hand solls regeln

Auf dem Weg zum nächsten Treffen durch die Genfer Innenstadt bewegt sich Kretã Kaingang geschickt seitwärts an Menschen und anderen Hindernissen vorbei, ohne seinen ausladenden Kopfschmuck aus Federn ein einziges Mal irgendwo anzustossen. Hinter den Türen des Schweizer Vereins des Rohstoffhandels und des Schifftransportes (STSA) erwartet die Delegation ein Gespräch, von dem sie sich wenig erhoffen. In Erinnerung an ein ähnliches Treffen mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse in Zürich sagt Kaingang: «Es scheint, als ob die Vertreter der europäischen Firmen einen einzigen Text hätten, den sie sich umherreichen. Wir hören immer dieselben Sätze.»

In einem grossen Sitzungszimmer mit blauem Teppich blicken acht Männer und eine Frau in die Gesichter von Kaingang, Xakriabá und Nara Baré, einer dritten Delegierten. Sie vertreten verschiedene Rohstoffakteure, von denen einige in Brasilien tätig sind, darunter neben dem STSA die Lateinamerikanische Handelskammer (Latcam). Vor dem Hinsetzen wurde eine Abmachung getroffen: Aus dem Raum darf zitiert werden, die Aussagen dürfen jedoch nicht den einzelnen VertreterInnen zugewiesen werden. «Das Abkommen spricht von nachhaltiger Entwicklung und Menschenrechten, doch faktisch garantieren sie uns gar nichts», sagt Baré in die Runde. Sie will wissen: Was tun die anwesenden Firmen, die beim Rohstoffabbau in Brasilien ihre Finger im Spiel haben, für den Schutz des Amazonasgebiets? Die Gegenübersitzenden schauen besorgt, manche verschränken die Arme.

Die RohstoffvertreterInnen reichen als Antwort eine unverbindliche Anleitung des Bundes zur Beachtung der Menschenrechte im Rohstoffsektor herum. Ein Argument, das immer wieder kommt: «Der Druck der Konsumenten ist riesig. Immer weniger Leute wollen Produkte konsumieren, die nicht unter guten Umständen produziert worden sind.» Die unsichtbare Hand also soll die Vergehen gegen Menschen im Namen des Profits zum Verschwinden bringen. Und die Gewalt an den Indigenen? Da sei allein die Mafia am Werk. Xakriabá, Baré und Kaingang lassen nicht locker und erheben schwere Vorwürfe, die HändlerInnen wüssten, dass die Versprechen in ihren hübschen Dokumenten nicht immer eingehalten würden. Das grosse Bergbauunternehmen Vale Brasil etwa hat nachweislich Menschenrechte in Brasilien mit Füssen getreten. «Ja, ab und zu handle ich mit Vale», gibt eine anwesende Person nach einigem Zögern etwas beschämt zu.

Wie in einem Vakuum

Auf die harte Anklage folgt bald kein Widerspruch mehr. Erschöpfte Mienen schauen den indigenen BrasilianerInnen aufmerksam entgegen. Während sie zu Beginn noch betroffen wirkten, fährt im Verlauf des Meetings, das etwas mehr als eine Stunde dauert, immer mehr Unruhe in die Beine mancher Anwesender. Blicke aufs Smartphone. Ist die Situation für sie derart unangenehm – oder langweilen sie sich? Nur wenige melden sich überhaupt zu Wort.

Draussen hupt der Verkehr, die Welt dreht sich weiter. Drinnen fühlt es sich wie in einem Vakuum an. Es prallen zwei Pole aufeinander, deren Interessen kaum unterschiedlicher sein könnten: hier die neoliberale Wirtschaftselite, dort die betroffene Minderheit. Natürlich erfolgt keine Einigung. Das Schlussvotum der HändlerInnen: In dieser komplexen Welt geschähen in manchen Unternehmen sicher auch Fehler. Der Druck dagegen müsse jedoch von der brasilianischen Strasse kommen: «Ich glaube, darauf müsst ihr euch konzentrieren.» Handel sei immer frei gewesen und habe viele Menschen aus der Armut befreit. Xakriabá, Baré und Kaingang schütteln Hände, wechseln ein paar Worte, posieren für ein Foto. Dann verlassen sie den Raum.

Wieder draussen, schiebt sich Kaingang behutsam durch das Feierabendgewimmel. «Auch wenn sie jegliche Verantwortung von sich weisen», sagt er, «es war trotzdem ein gutes Gespräch.» Immerhin hätten sie zugehört.