Frauenrechte in Nepal: In der Verbannung

Nr. 47 –

In weiten Teilen Nepals gilt Menstruation als Phase der Unreinheit – und wird mit Isolation bestraft. Seit einigen Jahren kämpfen immer mehr Frauen gegen die repressive Praxis.

  • Die vierzehnjährige Surekha ist auf einen Baum geklettert und isst eine Frucht. In einigen Gegenden Nepals ist es Frauen verboten, während ihrer Periode Bäume zu berühren – und auch Früchte zu essen.
  • Surekha vor der Lehmhütte, in der sie ihre erste Periode verbringen musste. Die Hütten wurden vor einigen Jahren gebaut, um Mädchen und junge Frauen während ihrer ersten Monatsblutung von ihrem Dorf fernzuhalten.
  • Die jungen Frauen sind hier weder vor Tieren noch vor Kälte geschützt.
  • Einzig ein Becher, ein Kamm und eine Zahnbürste dienen ihnen zur Körperpflege. Das spärliche Essen wird ihnen von Nachbarinnen in einer Schüssel vor die Hütte gestellt.
  • Mit einer anderen jungen Frau schaut Surekha auf dem Handy nepalesische und indische Filme. Meist dürfen die Frauen zum Schlafen keine warmen Bettdecken verwenden.
  • Auch einige Monate nach ihrer ersten Periode darf Surekha während ihrer Tage nicht den Schulunterricht besuchen und lernt zu Hause. Das Fehlen von Binden und Tampons ist ein weiterer Grund dafür, dass die Stigmatisierung der Menstruation anhält.
  • Doch die Aufklärungsarbeit von Aktivistinnen zeigt auch in ländlichen Gegenden Wirkung. Immer mehr Frauen widersetzen sich den strengen Regeln.
  • In der Hauptstadt Kathmandu demonstrierten Frauen am «Tag der Menstrualhygiene» auf Fahrrädern mit Parolen wie «Menstruation ist meine Kraft und mein Stolz».
  • Auch in einige Schulen kommt allmählich Bewegung: So organisiert etwa die Radha-Paudel-Stiftung Zeichenwettbewerbe zum Thema und vermittelt den Schülerinnen so ein positives Bild der Menstruation.

Die erste Menstruation ist ein Wendepunkt für jede junge Frau. In Nepal gilt dieser Eintritt ins Erwachsenenalter als Zeit der Unreinheit. Der Aberglaube geht so weit, dass alles, was von einer menstruierenden Frau berührt wird, dem Verderben geweiht sei. In ländlichen Gebieten in Westnepal werden Mädchen und junge Frauen während ihrer Periode für eine Woche in Lehmhütten geschickt – ein «Brauch», der «Chhaupadi Pratha» genannt wird. In dieser Zeit dürfen sie keine Wohnungen betreten und mancherorts nicht einmal in einen Spiegel blicken.

«Schon als Kind war mir klar, dass ich nicht wie meine drei älteren Schwestern in solche Hütten gehen will», sagt die Aktivistin Radha Paudel. Seit über zwanzig Jahren kämpft die ausgebildete Pflegefachfrau gegen die repressive Praxis. Mit Grauen erinnert sie sich an ihre erste Periode: Sie verliess ihr Zuhause, ohne ihren Eltern etwas zu sagen – und ging zwei Stunden zu Fuss zu ihrer Schwester, zu der sie zuvor noch nie alleine hingegangen war.

Die Angst vor Blut

Für Menschen aus Europa sei es schwierig, die Hintergründe nachzuvollziehen, weil dahinter ein anderes Verständnis von «Reinheit» stehe, sagt Paudel: «In Nepal wohnen viele Menschen in sehr einfachen Behausungen und können nicht täglich eine Dusche nehmen und die Kleider wechseln. Doch Menstruationsblut halten sie für etwas Schmutziges. Und: Viele Mädchen wissen nur sehr wenig über die Menstruation und haben grosse Angst vor dem Blut.»

Die Praxis, Frauen während ihrer Tage zu isolieren, habe verschiedene Ausprägungen, sagt Paudel. In Teilen Westnepals, wo sie besonders sichtbar sei, werde sie Chhaupadi Pratha (chhaupadi: Blut; pratha: Schuppen), anderswo etwa Panchhiyeko (Trennung) oder Maharani Bhayeko (Königin werden) genannt. Das Grundprinzip der Isolation sei aber unabhängig von Kaste, Bildung oder Religion überall das gleiche.

Meist seien es Grossmütter, Mütter oder Priester, die die Mädchen und jungen Frauen anhielten, während ihrer Tage die strengen Regeln zu befolgen, sagt Paudel. «Der Ort, an dem sie isoliert werden, ist auch von sozialen Umständen abhängig. In Kathmandu ist das Mieten von Häusern derart teuer, dass sie oft in Kammern oder in einer Ecke der Familienhütte isoliert werden. Lehmhütten wie in Westnepal sind eher die Ausnahme», betont Paudel. «Westliche Medien zeigen gerne diese Beispiele, weil sie die Isolation besonders krass veranschaulichen. Solche Bilder helfen, Mädchen und Frauen zu stärken – bergen aber auch die Gefahr von zusätzlichen Diskriminierungen.»

Ob zu Hause, in einer Hütte oder einem Stall, ob allein oder zu zweit: «Die Würde der Frauen wird massiv verletzt», sagt Paudel. «Sie dürfen nicht in die Küche, wenn sie hungrig sind oder Durst haben, nicht in die Schule und allgemein nicht am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen. Auch dürfen sie keine männlichen Familienmitglieder, Kinder, Bücher sowie viele für das Leben elementare Dinge berühren.» Insgesamt habe sie über vierzig Arten von existenziellen Bedürfnissen in Bezug auf Nahrung, Berührung, Mobilität und Teilnahme festgestellt, die ihnen dabei verwehrt blieben, sagt Paudel. Diese Diskriminierung wiederholt sich in Nepal im Leben vieler Frauen jeden Monat – bis zur letzten Monatsblutung.

Gesetz ohne grosse Wirkung

In den letzten zehn Jahren sind in den Hütten in Westnepal mindestens zehn junge Frauen gestorben. «Weil menstruierende Frauen kaum berührt werden, sind einige von ihnen nach Schlangenbissen nicht rechtzeitig behandelt worden», erklärt Paudel. Andere sind an starken Blutungen gestorben; wieder andere im Winter an Unterkühlung oder durch Ersticken am Rauch des Feuers, das sie machten, weil sie wegen des «Reinheitsgebots» keine warmen Decken benutzen dürfen.

Zwar wurde die Chhaupadi Pratha 2005 vom obersten Gerichtshof des Landes verboten. Auch werde dank der Kampagnen diverser Organisationen seit einigen Jahren mehr und offener über Menstruation gesprochen, sagt Paudel: «Doch viele Projekte beschränken sich auf die Hygiene – die Würde wird kaum angesprochen. Was bringen einer jungen Frau Hygieneprodukte, wenn sie sich nicht frei bewegen kann und derart diskriminiert wird?»

Zwar hat die Regierung 2018 ein Konzept «für eine würdevolle Menstruation» entwickelt und ein Gesetz beschlossen, um die Isolation unter Strafe zu stellen: mit einer dreimonatigen Haftstrafe, einer Geldstrafe von 3000 Rupien (rund 40 Fanken) – oder beidem, wenn eine Frau nachweislich gezwungen wurde. Einen wirksamen Mechanismus, diese Praxis auch tatsächlich zur Anzeige zu bringen, gebe es jedoch nicht: «Viele junge Frauen befinden sich in diesem besonderen Zustand der Menstruation weiterhin in einem Gefühl der Ohnmacht», sagt Paudel.

Doch inzwischen organisieren sich auch in ländlichen Gegenden immer mehr Frauen und klären Mädchen über die Menstruation auf. So konnten schon einige Dörfer von der Chhaupadi Pratha befreit werden.

Maria Contreras Coll ist freie Fotografin und Fotojournalistin in Barcelona. www.mariacontrerascoll.ch

Aus dem Englischen von Adrian Riklin.