Goldfluch in Armenien: Auf dem Berg, hinter den Barrikaden
Ein Jahr nach den Neuwahlen sind die an die neue Regierung geknüpften Hoffnungen getrübt. Die Proteste von 2018 hallen indes nach – bis ins Kleinstädtchen Dschermuk und in die dort geplante Goldmine.

Einst war Dschermuk der erste Kurort Armeniens. Dann fiel gelber Schnee. Jetzt fürchtet Gerasim Muschegjan um die Zukunft seiner Kinder. Er steht mit anderen Männern in einer Containerhütte am Strassenrand. Einer serviert Kekse und Instantkaffee in Plastikbechern. Im Container gegenüber liegen drei Pritschen mit teppichschweren Decken und Armeeschlafsäcken. Darin haben sie den letzten Winter überstanden, Tag und Nacht ausgeharrt, schichtweise, immer mindestens zu zweit, denn sie blockieren die Zufahrten zu einer Goldmine, die das Wasser vergiften, die Böden verseuchen, ihre Heimat zerstören könnte.
Gerasim Muschegjan ist Anfang vierzig. Wie alle hier trägt er eine dunkle Jacke und trotz der aufgeweichten Schotterpiste schwarze Schuhe aus zartem Leder. Die Männer sind noch nicht lange Aktivisten. Dass sie es wurden, hat mit ihrer Angst zu tun – und mit der «samtenen Revolution», die Armenien vor einem Jahr bewegt hat. Sie sind aufgeregt. Denn bald wird sich herausstellen, ob sie mit ihrem Kampf etwas erreicht haben.
Plattenbauhotel am Abgrund
«Ich will meine Heimat beschützen», sagt Muschegjan. Von der Minenzufahrt sind es ein paar Kurven den Berghang entlang bis nach Dschermuk. Ein Städtchen mit noch knapp 3500 EinwohnerInnen, das man in den sechziger Jahren zum Vorzeigekurort der Sowjetunion ausgebaut hat. In Dschermuk sprudeln warme Quellen, eine Firma füllt Mineralwasser ab. Durch die Stadt geht eine Felsschlucht, an der ein gigantisches Plattenbauhotel thront, so knapp am Rand, als möchte es jeden Moment in den Abgrund stürzen. Vielen Fenstern der industriell-geometrischen Fassade fehlen die Scheiben. Das Hotel steht leer, wie viele Gebäude des Ortes. Zwar kommen noch TouristInnen, aber seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr genug, um all die überdimensionierten Anlagen am Laufen zu halten.
Es gibt wenig Arbeit. Muschegjan hat Ökonomie studiert, aber die Familie mit den drei Kindern bringt er mit Jobs auf dem Bau durch. Früher fuhr er Taxi, ein Zähler im Rückspiegel seines weissen Ladas erinnert daran. Wie viele hatte er gehofft, die Mine würde Aufschwung bringen. «Damals wusste ich noch nichts darüber.» Jetzt fühlt er sich durch sie bedroht.
Anna Sarkisjan (Name geändert) glaubt an die Goldmine. Sie empfängt uns in einem Häuschen an der Hauptstrasse im Büro der Betreiberfirma Lydian International und setzt sich an einen ovalen Konferenztisch, der das Zimmer beinahe ausfüllt. In einem Drehständer stecken Prospekte in Armenisch und Englisch, «Nachhaltigkeitsbericht» steht darauf und «Massnahmen zur Wiederherstellung der Lebensgrundlage». Die Nebenräume sind leer.
Sarkisjan ist die Einzige aus dem Ort, die noch für die Minenfirma arbeitet. Sie will für die BefürworterInnen sprechen, ihren richtigen Namen aber nicht veröffentlicht sehen. «Auf der Strasse zischen sie mir schlechte Dinge hinterher», sagt sie und dreht an den breiten Glitzerringen an ihren schmalen Fingern. Ihre Tochter komme bedrückt aus der Schule, weil es dauernd um die Mine gehe und herumerzählt werde, was die Firma alles falsch mache. Wenn sie ehemalige FreundInnen treffe, grüssten beide Seiten knapp. Sarkisjan spricht fliessend Englisch, sie fand einen guten Job bei Lydian. «Die Bezahlung kann man nicht mit dem Verdienst im Tourismus vergleichen. Zum ersten Mal seit langem kam Geld in den Ort, das spürten auch die Ladenbesitzer.»
Arm, aber reich an Ressourcen
Wie viele arme Länder ist Armenien reich an Bodenschätzen. An fast 500 Stellen wird geschürft. Gold, Kupfer und andere Erze machen ein Viertel der Exporte Armeniens aus. Die Lizenzgebühren dafür gehören weltweit zu den niedrigsten, und die Umweltauflagen sind schwach, das macht den Bergbau für ausländische Firmen attraktiv. Lydian International hat seinen Sitz in der britischen Steueroase Jersey. Investoren kommen aus Grossbritannien, Kanada, den USA. Aber auch schweizerisches Steuergeld floss in den Bau der Mine: Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung finanziert ihn mit. Die Firma Lydian spricht von einem Win-win-Projekt, schliesslich würde sie, wenn sie erst beginnen könnte, das Gold zu fördern, zu den fünf grössten Steuerzahlern des Landes gehören.
Der Berg, aus dem Gold gewonnen werden soll, heisst Amulsar, übersetzt: unfruchtbarer Berg. Das sieht Gerasim Muschegjan anders: Für ihn ist es der Berg, wo er als Kind die meisten Pilze gefunden hat. Er hat seinen Lada auf eine Anhöhe gezwungen, um das Panorama in seiner ganzen Pracht vorzuführen. Blumen und Flechten bedecken den Boden. Hinter der Stadt thronen schneebedeckte Berge, zu einem führt ein neu gebauter Skilift, auf dem anderen steht, knapp unter dem Gipfel, ein kastenförmiges Gerüst: In dieser Anlage sollen die abgetragenen Steinbrocken pulverisiert werden.
Die Mine scheint weit weg, aber schon ihr Bau brachte bei Regen Staub bis in die Stadt und färbte den Schnee gelb. Auch die Arbeiter hätten dafür gesorgt, dass die Mine im Ort zu spüren gewesen sei, meint Muschegjan, die Männer mit Helmen hätten die TouristInnen verschreckt.
Als Lydian mit dem Erschliessen der Mine begann, formierte sich Widerstand. Bereits 2012 kamen AktivistInnen aus der armenischen Hauptstadt Eriwan in die Stadt und informierten die BewohnerInnen über die Gefahren der Mine. Um aus dem pulverisierten Erz Gold zu gewinnen, wird Zyanid verwendet, eine Blausäureverbindung. Zurück bleibt giftiger Schlamm. Sollte bei starkem Regen ein Damm überlaufen oder eine Dichtung nicht halten, könnte Gift bis ins Grundwasser und in den Fluss sickern, der noch weit talabwärts Felder und Weinberge mit Wasser versorgt. So ist es im Jahr 2000 in der rumänischen Goldmine Baia Mare geschehen. Massenhaft giftiger Schlamm überflutete die Gegend und gelangte in die Donau, bis heute leiden die Menschen dort unter den Folgen.
Lydian versichert, man halte alle Umweltstandards ein, doch die AktivistInnen sehen wenig Grund, der Firma zu vertrauen. 2018 erst machte die grosse Kupfermine Teghut im Norden des Landes vorzeitig dicht, nachdem ihr Schlamm einen Fluss verschmutzt hatte. Immer wieder bestätigen Untersuchungen, dass armenische Minen Böden und BewohnerInnen mit Schwermetallen belasten – das Krebsrisiko ist in diesen Gegenden erhöht.
Die Argumente der UmweltschützerInnen überzeugten viele in der Stadt, aber nur einige der Jüngeren gingen mit ihnen auf die Strasse. Die Polizei zerstreute die Proteste, nahm TeilnehmerInnen für Stunden oder Tage fest. Auch dem Familienvater Muschegjan schien das Risiko ursprünglich zu gross. Dann kam die Revolution.
«Plötzlich zählten unsere Rechte!»
Proteste hatte es in Armenien immer wieder gegeben – aber im Frühling 2018 war es anders. Tag für Tag gingen mehr Menschen auf die Strassen, bald waren es Hunderttausende auf dem Platz der Republik in Eriwan. Die Bilder von Männern und Frauen, jung und alt, in armenische Flaggen gehüllt auf den Strassen, grillierend, tanzend, erreichten auch die Menschen in Dschermuk, unter ihnen Muschegjan. Er ging auf die Strasse, schloss sich den Kolonnen hupender Autos an. «Das hat alles verändert», sagt er. «Mein ganzes bisheriges Leben bin ich unfrei gewesen. Ganz plötzlich zählten unsere Rechte.» Kurz darauf blockierte er mit anderen Männern die Strassen zur Mine.
Als sich die Blockade über Monate hinzog, musste Lydian Angestellte entlassen. Die Stelle von Anna Sarkisjan wurde auf Teilzeit reduziert. Viele sind weggezogen. Sarkisjan und ihr Mann hatten einen Kredit aufgenommen, um das Studium der Kinder und eine Wohnung in der Hauptstadt zu finanzieren. «Die zehn, zwanzig Jahre, die die Mine bleiben soll, wären genug, um unsere Schwierigkeiten zu überwinden», sagt sie. Das Argument, der Tourismus sei bedroht, lässt Sarkisjan nicht gelten. Der Ort hätte genug Zeit gehabt, sich touristisch zu entwickeln – aber die Chance nicht genutzt. Ausserdem könnten TouristInnen doch die Mine besichtigen. «Ich würde mir so etwas im Urlaub gerne anschauen», sagt sie.
Bald wird sich herausstellen, ob sie den Job behalten kann, der ihre Zukunft sichern soll. Die vor einem Jahr neu gewählte Regierung, die ihren Aufstieg auch der Umweltbewegung verdankt, hat noch keine klare Stellung bezogen und erst einmal ExpertInnen der internationalen Firma Elard beauftragt, das Umweltgutachten von Lydian zu prüfen. Vom Ergebnis hängt ab, ob die Mine in Betrieb gehen kann oder nicht.
Nicht alleine in diesem Kampf
«Vorher wollen wir nochmals ein Zeichen setzen», sagt Arpine Galfajan, Aktivistin der Umweltbewegung Armenian Environmental Front. Am Platz der Republik in Eriwan winkt sie DemonstrantInnen und Presseleuten in Bussen. Es ist Samstagmorgen. Die Fahrt geht nach Dschermuk. Im Bus werden Snacks gereicht, manche quatschen, manche dösen, Galfajan und ihre MitstreiterInnen sprechen hin und wieder ins Mikrofon, zitieren Fachleute, die das Umweltgutachten der Firma anzweifeln. Auf halber Strecke schliessen sich Fahrzeuge aus Dschermuk den Bussen aus der Hauptstadt an. Etwa 200 Autos tuckern die restlichen fünfzig Kilometer Kurvenstrasse in einer hupenden Schlange hoch, in einem davon Gerasim Muschegjan.
Aus offenen Fenstern rufen und winken Frauen, Männer und Kinder, schwenken die rot-blau-orange Armenienflagge. Am frühen Nachmittag parkieren die Autos am Rand einer Tannenallee in der Stadtmitte Dschermuks. Auf dem Hauptplatz, einer breiteren Kreuzung, steht ein Lastwagen, die Ladefläche zur Bühne umgebaut. Unter die OrtsbewohnerInnen mit ihren dunklen Lederjacken mischen sich AktivistInnen mit bunten Pullis und Schals und Brillen mit dickem Gestell. «Rettet Amulsar», steht auf den Plakaten. Und: «Fuck corporations – Save the planet».
Muschegjan streift durch die Menge, macht Fotos mit dem Handy. Er erzählt von der Klage, die gegen ihn läuft, weil er in einem Video gesagt hat, die Firma habe die vorherige Regierung bestochen. Er gibt sich unbesorgt, er stehe ja nicht allein in diesem Kampf. Aus Lautsprechern dröhnt Musik, ein Lied über den Berg Amulsar. Ein paar Kinder tanzen Ringelreihen.
TeilnehmerInnen erzählen von Premierminister Nikol Paschinjan, der auf Lydians Ankündigung, eine Klage wegen entgangener Gewinne in Betracht zu ziehen, sagte: «Warum sollte ich vor dem Schiedsgericht Angst haben? Die sollten Angst haben.» Was aber, wenn die UmweltexpertInnen den Minenbetreibern recht geben und die Erlaubnis, weiterzumachen?
Gerasim Muschegjan sagt: «Ich werde weiterkämpfen, um meine Heimat zu schützen.» Anna Sarkisjan sagt: «Ich vertraue auf die Experten. Und bin einfach froh, wenn diese Auseinandersetzung vorbei ist.»
Das kann aber noch dauern. Zwar haben die ExpertInnen inzwischen ihre Ergebnisse veröffentlicht: Das Gutachten der Firma ist in Teilen mangelhaft, wenn auch nicht alle Bedenken der UmweltschützerInnen begründet sind. Trotzdem geht der Konflikt weiter. Die Mine ist noch immer besetzt, obwohl Paschinjan ihren Weiterbau erlaubt hat, nach einem monatelangen Hin und Her, in dem es zeitweise so aussah, als würde er den Protesten der Bevölkerung nachgeben.
«Am Ende hat er sich für die Interessen der Konzerne entschieden», sagt Armine Ischkanjan. Sie forscht und lehrt an der London School of Economics zu Ungleichheit und sozialen Bewegungen, unter anderem in Armenien. Wirtschaftslobbys und auch die britische Regierung hätten Druck gemacht, zudem habe wohl die Drohung mit dem Schiedsgerichtsverfahren Wirkung gezeigt. Die Hoffnung, dass die Dinge unter der neuen Regierung ganz anders laufen – sie ist ein Jahr nach den Wahlen getrübt.