Dopaminfasten: Neustart fürs Hirn

Nr. 49 –

Man muss sich den Homo silico vallensis als glücklichen Menschen vorstellen: Wo er lebt, scheint stets die Sonne, und ein kreatives Umfeld beflügelt immer smartere Technologien, die ihm das Leben versüssen. Doch weil die professionellen Selbstoptimierer (ja, es ist ein ausgeprägt männliches Phänomen) definitionsgemäss nie mit sich zufrieden sein können, ist jüngst just dieses Glück unter Verdacht geraten. Der Homo silico vallensis, so seine Eigendiagnose, ist überstimuliert und deshalb abgestumpft. Grund: konstant überdosiertes Dopamin im Hirn, ein Neurotransmitter, der als «Glückshormon» gilt.

Schon kleinste Reize wie ein paar Likes in den sozialen Medien oder ein Schoggistängeli verschaffen den Kick. Und deshalb lautet die Selbstmedikation nun: Fasten. Dopaminfasten. AnfängerInnen sollten vorerst mit kleinen Einheiten von wenigen Stunden beginnen, Fortgeschrittene schaffen es dann schon einen ganzen Tag lang: Hände weg von Smartphone, Computer und Co., Kontakte mit Menschen meiden, nichts essen, nur Wasser trinken.

Wissenschaftlich betrachtet, ist das natürlich grober Unfug, wie Joshua Berke, Neurologe und Psychiater an der University of California in San Francisco, kürzlich gegenüber der BBC befand: «Sicher leuchtet es ein, dass eine Pause vom obsessiven Dauerchecken der sozialen Medien gut für einen ist. Bloss hat das kaum etwas mit Dopamin zu tun.» Und überhaupt: Weshalb sollen ausgerechnet das Lesen von Büchern und einsame Spaziergänge in der Natur – beides als dopaminfastenkompatibel empfohlen – Glücksgefühle verhindern?

Allenfalls verleiht der neuste Hype vom Technabel der Welt der sogenannten Dopaminhypothese aus den sechziger Jahren neue Schubkraft. Diese behauptet einen direkten Zusammenhang zwischen dem Neurotransmitter und psychotischen Krankheitsbildern. Ist ein Überschuss an Dopamin vorhanden, äussert sich das in Wahnvorstellungen und Ich-Störungen. So gesehen ist der Homo silico vallensis mit seiner Selbstdiagnose vielleicht doch auf der richtigen Spur.