Handke und Co.: Die Tyrannei des Autors

Nr. 49 –

Andächtig vor Steinpilzen und Kriegsverbrechern: Vor der Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke geistert auch wieder die Frage nach der Trennung von Werk und Autor herum. Die Frage führt in die Irre.

Lassen wir ihn schmoren? Porträt des Dichters als junger Pilz. Foto: Alamy

Der Autor, so geht das Gerücht seit fünfzig Jahren, sei tot. Schön und gut, aber wer sind dann der Mann und die Frau, die in diesen Tagen nach Stockholm reisen, um einen Literaturpreis entgegenzunehmen?

Vielleicht war das der Irrtum von Roland Barthes: dass er glaubte, die romantische Vorstellung vom Autor als Autorität über das Geschriebene lasse sich zum Verschwinden bringen, wenn man ihn, den Autor, für tot erklärt. Ein Irrtum war das nicht so sehr deshalb, weil Totgesagte angeblich länger leben. Sondern weil ein Leichnam – und sei es, wie hier, nur ein symbolischer – bekanntlich oft eine stärkere, zumindest aber unheimlichere Präsenz ausübt als eine Figur zu Lebzeiten.

Das beginnt bei der ironischen Pointe, dass sich gerade der Autor namens Barthes mit keinem Text so unauslöschlich im kulturellen Gedächtnis festschreiben konnte wie mit seinem kurzen Essay über den «Tod des Autors» (1967). Aber eben, die Figur des Autors (männliche Form beabsichtigt) ist damit keineswegs verschwunden, wie Barthes das beschworen hatte. Im Gegenteil, sie sucht uns heute heim wie ein ruheloser Wiedergänger, unter wechselnden Namen.

Literatur, so schreibt Barthes gleich zu Beginn, sei der Ort, «wo sich jede Identität verliert, angefangen bei der Identität des Körpers, der schreibt». Ein schöner Gedanke, nur klingt er heute wie ein frommer Wunsch. Identitäten verlieren sich nicht, sie werden wieder mehr denn je festgeschrieben. Und was die Identität des Autors betrifft, geht gegenwärtig immer wieder diese Frage um, wie bei einer Geisterbeschwörung: Kann man, muss man zwischen Werk und Autor trennen?

In der Männerriege

Der Autor, wusste Barthes, ist eine Erfindung der Moderne. Die Renaissance hat das Individuum entdeckt, mit dem Buchdruck mussten Verantwortlichkeiten für Texte und deren Verbreitung gesetzlich neu geregelt werden. Das ist eine der historisch bedingten Funktionen des Autornamens, wie sie Michel Foucault in seiner Rede «Was ist ein Autor?» (1969) ausführte, mit der er implizit auf den Essay von Barthes reagierte: Bücher und Texte werden in dem Mass namentlich gezeichnet, als der Urheber dann dafür belangt und bei Bedarf auch bestraft werden kann. Der romantische Geniekult, der das Bild des modernen Autors so lange geprägt hat, hat also auch eine medienhistorische Basis: Die Erfindung der Autorschaft beruht auf dem staatlichen Bedürfnis, einen Autor haftbar zu machen für das, was er geschrieben hat.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht ohne Ironie, wenn man sich nun die Autoren (nicht nur aus der Literatur) anschaut, um die derzeit heftig gestritten wird. Es sind allesamt männliche Künstler, sie heissen Woody Allen, Louis C.K., Peter Handke oder Roman Polanski. Was diese Autoren jetzt unfreiwillig eint, ist die Tatsache, dass sie – aus unterschiedlichen Gründen – öffentlich belangt werden. Nur werden sie nicht so sehr für ihre Werke haftbar gemacht, sondern für die ethisch-moralischen Verfehlungen, die ihnen zur Last gelegt werden oder derer sie sich schuldig gemacht haben.

Trennen oder nicht? Der Filmkritiker Emmanuel Burdeau, einst Chefredaktor der «Cahiers du Cinéma», hat kürzlich auf Facebook darauf hingewiesen, dass diese Frage, so wie sie in der Debatte kursiert, auf einem falschen Gegensatz gründet. Die Frage läuft ja gewöhnlich auf zwei entgegengesetzte Haltungen hinaus, wobei man sich zu der einen oder anderen zu bekennen hat. Die eine Haltung postuliert: Man muss ein Werk ganz unabhängig von seinem Autor betrachten. Und die andere: Man kann ein Werk nicht losgelöst von seinem Autor betrachten. Dabei seien beide Positionen, so Burdeau in einer dialektischen Volte, zugleich notwendig und unhaltbar.

Der Journalist auf Hausbesuch

Die erste Position ist notwendig als utopisches Ideal. Unter den gegebenen Umständen aber ist sie unhaltbar, weil komplett ahistorisch: Sie verabsolutiert ein Werk zu etwas Überzeitlichem und blendet dabei jeglichen Kontext seiner Entstehung aus. So etwas würden nur ignorante Ästheten machen, schreibt Burdeau: «Sie verdienen die Kunst nicht, mit der sie sich beschäftigen.» Und ob man das nun gut findet oder nicht, so ist es doch ein unbestreitbares Kennzeichen unserer Zeit, dass sie Werk und Autor andauernd vermischt. Das fängt an beim Marketing der Verlage und geht bis zum medialen Personenkult, wenn etwa ein Journalist in heiliger Andacht zu einem Literaturnobelpreisträger auf Hausbesuch geht und im Interview die Steinpilze bewundert, die er von diesem vorgeführt bekommt. Grob gesagt, so Burdeau über die Trennung von Werk und Autor: «Seit man damit angefangen hat, auf den Buchumschlägen die Gesichter der Schriftsteller abzubilden, kann man das vergessen.»

Lernen, das Paradox zu denken

Die andere Position ist notwendig als Korrektiv zu einer verbreiteten Huldigungskultur, die lieber nichts davon wissen möchte, wenn ein Regisseur etwa der Vergewaltigung bezichtigt wird oder ein Dichter einen Kriegsverbrecher bei dessen Trauerfeier mit einer Rede würdigte. Indes ist diese Position genauso unhaltbar, wenn sie darauf hinausläuft, dass man sich aufgrund von Anschuldigungen oder Verfehlungen eines Autors gar nicht mehr mit seinem Werk beschäftigen will. Zum Beispiel «J’accuse», der neue Film von Roman Polanski, anhand dessen Burdeau seine Idee ausführt: Der Film sei nun mal da, wir müssen uns irgendwie dazu verhalten. Man ändert nichts, wenn man einfach so tut, als würde er gar nicht existieren.

Beide Positionen sind plausibel, beide sind nicht haltbar. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir zumindest lernen würden, dieses Paradox zu denken.

Was die Sache jedoch zusätzlich kompliziert: Oft sind es die fraglichen Autoren selber, die diesen paradoxen doppelten Blick unterlaufen. Sie tun das in unterschiedlichen Abstufungen. Wenn Polanski, der sich praktisch nicht mehr öffentlich äussert, in einem Interview Parallelen zieht zwischen der Dreyfus-Affäre, von der sein Film handelt, und seiner eigenen Geschichte, so ist das sicherlich anmassend – aber es tut nicht unbedingt viel zur Sache. Man muss einen Autor, siehe Barthes, ja nicht als Autorität über sein Werk und dessen Deutung behandeln.

Wenn Peter Handke die Tagebücher von seinen Reisen nach Serbien veröffentlicht, die ihm in ihrer unbedarften Parteinahme nun wieder um die Ohren fliegen, so ist es der Dichter selbst, der die Trennung zwischen Werk und Autor aufhebt. Auf den besonderen Status von Tagebüchern hat schon Barthes hingewiesen: Die Literaten selber, heisst es in seinem Essay, seien mit ihren Journalen bestrebt, beides zu vereinen, zwischen dem literarischen Werk und der Person des Autors also eine Form von Einheit zu stiften.

Geniekult ohne Ende

Bei einem Komiker wie Louis C.K. schliesslich, in Verruf geraten, weil er wiederholt vor Kolleginnen masturbierte, ist jeder Versuch einer Trennung zwischen Werk und Autor von vornherein hinfällig – und zwar deshalb, weil die Gattung der Stand-up-Comedy, in der Louis C.K. sich bewegt, immer schon ganz elementar auf einer Engführung von Person und Performance beruhte. Stand-up ist die Kunst, die eigene Person so schamlos auszustellen und auch als Rohmaterial für seine Pointen auszuschlachten, dass oft gar nicht mehr auszumachen ist, wo die Grenze zwischen Autor und Rolle verlaufen könnte.

Was zeigt uns das? Die Frage nach der Trennung zwischen Werk und Autor lässt sich nur schon deshalb nicht abschliessend klären, weil sie in jeder Disziplin wieder anderen Gesetzmässigkeiten unterliegt. Und sie lenkt vielleicht sogar von dem umfassenderen Problem der Huldigungskultur ab. Also auch von der Frage: Wem wird wofür welche Aufmerksamkeit zuteil? «Das Bild der Literatur, das man in der gegenwärtigen Kultur findet», schreibt Barthes, «ist auf tyrannische Weise auf den Autor zentriert.» Das war vor über fünfzig Jahren, und man kann schlecht behaupten, dass das heute weniger der Fall sei.

Dass ein Autor wie, sagen wir, Peter Handke verschwindet, wenn wir seine Werke lesen, wie das Barthes einst formuliert hat: Das kann eine schöne Perspektive sein. Aber solange unsere Kultur der Huldigung, zu der auch der Literaturnobelpreis gehört, einen Geniekult künstlich am Leben hält, der diese utopische Perspektive laufend hintertreibt, so lange können wir davon höchstens träumen.