Vögele: 3000 Franken Abfindung

Nr. 51 –

Im Januar schliesst die Logistik der Karl Vögele AG in Uznach. Achtzig Angestellte werden entlassen. Vielen bleibt als Perspektive nur die Übergangsrente.

Firma dicht, Loch im Sack: Viele Angestellte des Logistikzentrums der Karl Vögele AG stehen vor einer ungewissen Zukunft. Foto: Ursula Häne

An einem Tag im Juni besucht Dariusz Milek, einer der reichsten Männer Polens, das Logistikzentrum der Karl Vögele AG in Uznach. Zum zweiten Mal. Seit 2018 gehört das Schuhhandelsunternehmen zu siebzig Prozent Mileks CCC-Gruppe, einem Imperium mit rund tausend Filialen in zwanzig Ländern Europas. CCC verkauft jährlich fünfzig Millionen Paar Schuhe und macht im Jahr etwas mehr als eine Milliarde Euro Umsatz.

Der Konzern mit dem Slogan «Der Preis macht Wunder wahr» hatte die damals 213 Filialen von Vögele Shoes zusammen mit den Schulden der Karl Vögele AG zum Spottpreis von zehn Millionen Franken gekauft. Im Juni will Milek, der in Polen «der Schuhkönig» genannt wird, in Uznach herausfinden, ob die Logistik der Karl Vögele AG für seine Vision taugt: CCC will den Onlinehandel massiv ausbauen. Das Unternehmen testet dazu aktuell in einigen Filialen Fussscanner: KundInnen sollen sich in den Läden künftig ein exaktes Profil ihrer Füsse erstellen können – um Schuhe fortan nicht mehr anprobieren, sondern nur noch bestellen zu müssen.

Immer wieder Entlassungen

Simone Wenger* hat bis vor kurzer Zeit im Logistikzentrum von Vögele gearbeitet. Sie erinnert sich gut an Mileks Besuche in Uznach. Im Jahr vor der Übernahme habe er die Logistik zum ersten Mal inspiziert. «Er ist durch den Betrieb gegangen, hat gesagt, dieses sei nicht gut, jenes sei nicht gut. Es war ziemlich offensichtlich, dass er alles furchtbar fand», sagt sie am Telefon. Dafür habe sie sogar Verständnis gehabt: «Es ist ja wirklich alles alt hier.»

Wenige Wochen nach Mileks zweitem Besuch bestätigt sich ihr Eindruck. Am 22. Juli wird öffentlich, dass das Logistikzentrum geschlossen wird und achtzig Angestellte entlassen werden. Neben den ArbeiterInnen im Lager und im Büro betrifft die Massenentlassung auch Chauffeure – und zwei Drittel der erweiterten Geschäftsleitung sowie die Leitung der Logistik. Ab März 2020 werden in Uznach, wo bislang die gesamte Logistik der Karl Vögele AG abgewickelt wurde – also Schuhe aus den Fabriken angeliefert und die Bestellungen versandt wurden –, nur noch die Retouren abgewickelt. Dazu bleibt in Uznach ein kleines Lager bestehen.

Im polnischen Polkowice steht seit 2011 ein riesiger Komplex mit über 100 000 Quadratmetern. Kurz vor Bekanntwerden der Schliessung sei noch eine Uznacher Delegation, darunter eine Arbeitskollegin, nach Polen gereist, um zu schauen, wie der veraltete Betrieb in Uznach nach dem Vorbild des Lagers in Polen modernisiert werden könnte, erinnert sich Wenger. «Als sie zurückkamen, hiess es, das werde jetzt doch nicht gemacht.» Stattdessen wird die gesamte Logistik von CCC in Polkowice zentralisiert.

Vögele-CEO Max Bertschinger sagt auf Anfrage, man erhoffe sich eine Effizienzsteigerung. Neu werde gemeinsam eingekauft, und die Waren aus der Fabrikation in Polen oder aus dem Fernen Osten würden für alle Länder nach Polkowice angeliefert.

Simone Wenger wird wütend, wenn sie an den 22. Juli denkt: «Wir haben es aus der Zeitung erfahren», sagt sie. Erst am Nachmittag habe Bertschinger die Belegschaft informiert. Dieser schreibt dazu: «Wir hatten eine klare Kommunikationsstrategie. Dass vorgängig Gerüchte verbreitet wurden, entzog sich unserem Wirkungskreis.»

Schon von der Übernahme der Karl Vögele AG durch CCC habe die Belegschaft 2018 aus den Medien erfahren, erinnert sich Wenger. Angestellte hätten daraufhin der Betriebsleitung ihre Angst vor dem grossen Kahlschlag mitgeteilt. «Sie haben uns gesagt, dass das nicht passieren wird», sagt sie. Doch schon in den zwei Jahren vor der Übernahme seien immer wieder Leute entlassen worden. «Immer jedoch mit genügend Abstand dazwischen, damit die Belegschaft wieder Ruhe gibt.» Begründet habe die Betriebsleitung die Kündigungen stets mit dem schlecht laufenden Geschäft.

Mit einem Anteil am Gesamtumsatz von 8 Prozent ist die Karl Vögele AG nach dem Absatz in Polen (38 Prozent) die zweitwichtigste Umsatzquelle von CCC. Doch während der Umsatz auf allen anderen Märkten steigt, sind die Verkäufe in der Schweiz rückläufig. Das gilt auch für das dritte Quartal 2019 – im Vergleich zur selben Vorjahresperiode.

Keine angemessene Vertretung

Der Sozialplan des Unternehmens sieht einen fünftägigen Kurs für Bewerbungen und Unterstützung bei Frühpensionierungen für über 62-Jährige vor sowie Abfindungszahlungen von einem Monatslohn pro Dienstjahrzehnt. Bei manchen ArbeiterInnen betrug der Lohn für hundert Prozent wenig mehr als 3000 Franken netto. Weil im Betrieb niemand Gewerkschaftsmitglied ist, war keine Gewerkschaft an der Ausarbeitung der Massnahmen beteiligt. Als Vertretung der Arbeitnehmerseite fungierte neben einem Mitglied der Verwaltung und je einer Vertretung der sechs Wirtschaftsregionen der Schweiz nur eine Vertreterin der Logistik.

Von einer angemessenen Vertretung der Belegschaft könne keine Rede sein, sagt deshalb Mehtap Lama, Gewerkschaftssekretärin bei der Unia-Sektion Säntis-Bodensee. Über die Abfindungen sagt sie: «Bei einem echten, von einer Gewerkschaft ausgehandelten Sozialplan wären die finanziellen Ausgleiche deutlich höher.» Bleibt die Frage, warum in einem Betrieb dieser Grösse, in dem zudem viele Angestellte seit Jahrzehnten beschäftigt sind, niemand Mitglied in einer Gewerkschaft war. Und warum keine Gewerkschaft der Belegschaft bei den Verhandlungen über den Sozialplan zur Seite gesprungen ist.

Lama sieht die ArbeiterInnen in der Verantwortung: «Sie hätten sich organisieren oder zumindest bei einer Gewerkschaft melden müssen, als das Unternehmen verkauft wurde und als klar wurde, dass es zu Entlassungen kommen könnte», sagt sie. «Wenn es in einem Unternehmen schon seit Jahren so schlecht läuft, müssten die Alarmglocken läuten.» Simone Wenger sagt, aus Angst vor dem Jobverlust habe sich niemand getraut, zu einer Gewerkschaft zu gehen. Zudem seien in Uznach viele ungelernte Frauen beschäftigt, von denen auch viele nicht gut Deutsch sprächen. Mitglied zu werden oder sich bei einer Gewerkschaft zu melden – daran hätten wohl die meisten gar nicht gedacht.

«Viele hatten Existenzängste»

Schon vor der Übernahme sei vielen gekündigt worden, die schon über zwanzig Jahre im Betrieb gearbeitet hätten, sagt Wenger. Und auch viele der zwischen August und November entlassenen Leute in den Verkaufsbüros und im Lager würden schon sehr lange in Uznach arbeiten. In der Logistik habe immer eine gute Atmosphäre geherrscht, alle hätten alle Arbeiten gemacht. «Die Lastwagen kamen unten rein, wir haben die Schuhe ausgepackt, etikettiert, ins Lager gebracht.» Bei Bestellungen dann das umgekehrte Prozedere: «Rüsten, wieder runter, verpacken und in die Lastwagen.» Seit Bekanntwerden der Schliessung habe sich das Arbeitsklima verschlechtert. «Viele hatten Existenzängste, wurden unleidig. Sie hätten besser allen auf einmal gekündigt. Es war schlimm, am Anfang des Monats immer von neuem auf die eigene Entlassung zu warten.»

Simone Wenger kritisiert auch die Abstufung bei den Abfindungen. ArbeiterInnen, denen wenig Zeit bis zum nächsten Dienstjubiläum fehle, fielen so in die nächstniedrige Kategorie. CEO Max Bertschinger bestreitet dies: Er wisse von keinen Mitarbeitenden, denen zum Zeitpunkt der Kündigung oder beim Austrittsdatum wenige Tage zum 10., 20. oder 30. Dienstjahr gefehlt hätten. Er schreibt: «Hier wären wir auf jeden Fall kulant.»

Hoffen auf die Übergangsrenten

Gemäss Bertschinger hatten 20 Betroffene bereits vor Aussprache der Kündigungen eine neue Stelle gefunden. Bei den 45 bis November Entlassenen wisse er von rund 30, dass sie schon etwas Neues hätten. Wenger sagt hingegen, unter den Entlassenen seien einige, die zu jung für die Frühpensionierung, aber zu alt für den Arbeitsmarkt seien. Ihnen bleibe nur die Hoffnung, dass während der 520 Tage Stempeln bis zur Aussteuerung die Überbrückungsleistungen für Arbeitslose ab 58 Jahren Realität würden.

Vor einer Woche jedoch hat der Ständerat die Vorlage vor allem zuungunsten der Frauen erheblich gekürzt (vgl. «Der Briefträger von Economiesuisse» im Anschluss an diesen Text). Kurz nach der Bekanntgabe der Entlassungen im Juli besuchte der Leiter der Regionalen Arbeitsvermittlung Rapperswil-Jona den Betrieb, um den Entlassenen etwas über ihre Zukunftsaussichten zu erzählen. Simone Wenger erinnert sich an den Moment, als er der Belegschaft erklärte, dass die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen deutlich weniger hoch sei als bei den 40- bis 54-Jährigen. Weil die Ausgesteuerten in der Statistik fehlten, habe eine Angestellte eingeworfen. Das sei jetzt nicht das Thema, lautete die Antwort.

* Name geändert.

Überbrückungsrente : Der Briefträger von Economiesuisse

Als früherer Finanzdirektor des Kantons Zug hatte Peter Hegglin alles dafür getan, die Steuern für Konzerne zu senken. Kein Verständnis hat er hingegen für die Lebensrealität von älteren Arbeitslosen, wie die Debatte über eine Überbrückungsrente im Ständerat zeigte. In Zukunft werde es bestimmt «ringer», eine Stelle zu finden, meinte der CVPler an die Adresse von Leuten, die zum Teil Hunderte von Bewerbungen geschrieben haben. Sein Kollege Alex Kuprecht von der SVP meinte ebenso zynisch, die neue Rente setze als «nicht ganz kleines Einkommen» falsche Anreize.

Der Bundesrat will, dass Ausgesteuerte, die älter als sechzig Jahre sind, keine Sozialhilfe beantragen müssen, sondern nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit eine Überbrückungsrente von jährlich maximal 58 350 Franken erhalten. Der Ständerat hat nun beschlossen, dieses bereits bescheidene Einkommen zu kürzen, auf unter 40 000 Franken. Noch gravierender ist der äusserst knapp gefällte Beschluss, dass die Betroffenen sich zwingend frühpensionieren lassen sollen. Dies bringt eine erhebliche Kürzung der Altersrenten mit sich, was in die Altersarmut führen kann.

Für die Aushöhlung der Vorlage verantwortlich war Ruedi Noser. Der Zürcher FDP-Ständerat, der immer ein wenig wie ein netter Onkel wirkt, erwies sich damit einmal mehr als knallharter Lobbyist für Economiesuisse. Wie schon bei der Konzernverantwortungsinitiative brachte Noser auch bei der Überbrückungsrente die Wünsche des Wirtschaftsverbands ins Parlament.

Immerhin: Das Prinzip der Überbrückungsrente ist beschlossen. Es liegt nun am Nationalrat, aus dem neuen Minisozialwerk ein wirksames Mittel gegen die Arbeitslosigkeit von älteren Beschäftigten zu machen. Ergänzend wäre auch ein verbesserter Kündigungsschutz wichtig. Damit könnten die Bürgerlichen gleich selbst ihr Lieblingsargument gegen die Überbrückungsrente entkräften: dass sie dazu führen könnte, dass Unternehmen einfacher ältere Beschäftigte entlassen.

Kaspar Surber