Versandhaus Quelle: Gute Nachrichten tönen anders

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Nach dem Konkurs des deutschen Quelle-Konzerns ist auch die Zukunft der – profitablen – Schweizer Tochterfirma ungewiss. Zu ihr gehört auch das Versandhaus Ackermann.


«Das Wirtschaftssystem ist absurd», kritisiert der St. Galler Unia-Sekretär Thomas Wepf. Er meint damit den drohenden Konkurs des Versandhauses Quelle Schweiz trotz guten Geschäftsgangs. Die MitarbeiterInnen im Logistikzentrum an der Fürstenlandstrasse in St. Gallen haben viel zu tun, die Lager sind voll, die Kundschaft bestellt fast wie immer. Dass trotzdem nicht alles normal ist, zeigt ein Blick auf die Quelle-Homepage: «Alles muss raus», blinkt es dort. Das bedeutet Ausverkauf – aber noch nicht Totalliquidation. Immerhin. Die Belegschaft wartet weiterhin auf den Entscheid der Insolvenzverwaltung, die den Konkurs des Mutterhauses in Deutschland abwickelt. Möglich ist eine sofortige Entlassung der 120 Angestellten, eine Übernahme durch InvestorInnen, die Weiterbeschäftigung eines Teils der Belegschaft – oder eine weitere Verlängerung der Wartefrist.

Die Angestellten wehren sich

Um nicht einfach nur passiv hinnehmen zu müssen, was irgendwann in Deutschland entschieden wird, lancierten einige Angestellte eine Facebook-Gruppe. Sie verlangen, dass das Übernahmeangebot des Managements eine faire Chance erhält. «Wir können nicht verstehen, weshalb wir als erfolgreiches Schweizer Unternehmen für allfällige Managerfehler in Deutschland bluten sollen», heisst es dort. Warum sollte der Konkurs nicht abzuwenden sein? Das Geschäft mit den Katalogen wirkt nämlich nur auf den ersten Blick antiquiert. Der Versandhandel hat mit dem Internet neue Kundinnen und Kunden gewonnen. Die Quelle-Tochter in der Schweiz, zu der auch das Versandhaus Ackermann gehört, scheint im Markt gut aufgestellt zu sein.

Noch ist alles in der Schwebe. Die Insolvenzverwaltung wolle sich Zeit nehmen, die Vorschläge der Angestellten und die Angebote von Investoren zu prüfen, heisst es in einem Schreiben von letzter Woche an die Beschäftigten. Der Ton ist sachlich-pessimistisch: Voraussichtlich lasse sich ein Stellenabbau nicht verhindern, steht da. Oder: Ein Zuwarten sei mit finanziellen Einbussen verbunden, «damit ist auch gesagt, dass die Erstellung eines grosszügigen Sozialplanes im Falle von unumgänglichen Kündigungen sehr stark eingeschränkt würde». Gute Nachrichten tönen anders. Klar ist: Die Insolvenzverwaltung entscheidet nach ihrer eigenen Logik. Sie will für die Gläubiger so viel Geld wie möglich herausholen. Das hiesige Management hat für Quelle Schweiz ein Übernahmeangebot gemacht – kolportiert wird eine Offerte von 3,8 Millionen Franken. Die Frage ist, ob man aus dem Verkauf der Adresskartei an einen Konkurrenten und dem Ertrag aus der Verwertung des Warenlagers mehr herausholen könnte.

Für die Geschichte des Quelle-Konkurses ist die Schweiz bloss ein Nebenschauplatz – aber kein unbedeutender: Immerhin folgte aus der Pleite einer der grössten Immobiliendeals in der Geschichte von St. Moritz. Die 66-jährige Madeleine Schickedanz, Tochter des Quelle-Gründers, musste vor einigen Wochen im Engadiner Nobelort zwei Villen verkaufen, um ein Bankdarlehen zurückzahlen zu können. Die Villa La Müstaila brachte rund 55 Millionen Franken, die Villa God Laret – offenbar an weniger exklusiver Lage – noch fünfzehn Millionen. Das Vermögen der vormaligen mehrfachen Milliardärin scheint sich mit dem Konkurs ihres Unternehmens in Luft aufzulösen. Sie lebe noch von ein paar hundert Euro im Monat, klagte sie ausgerechnet der «Bild»-Zeitung. Das Mitleid der deutschen Bundesregierung hielt sich in Grenzen. Eine Finanzspritze aus dem Deutschlandfonds an das Unternehmen wurde klar abgelehnt.

Kapitale Managementfehler

Madeleine Schickedanz war keine Patronin wie ihre Mutter, die in der Firma Sprüche wie «Der Pfennig ist die Seele der Milliarde» aufhängen liess. Die Tochter blieb im Hintergrund, verschaffte gelegentlich einem ihrer Ehemänner einen lukrativen Posten im Betrieb – ernannte aber auch die Manager, die eine Kette von Fehlentscheidungen zu verantworten haben. 1999 fusionierte Quelle mit der Warenhauskette Karstadt und verpasste danach den Einstieg ins Internet. Zwei entscheidende Fehler. Als Retter stellte Schickedanz einen ehemaligen Bertelsmann-Manager ein. Ein weiterer Missgriff. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen illegaler Immobiliengeschäfte. Sein Nachfolger fand keine Substanz mehr vor, und die wenigen Eigenmittel verringerte er noch, indem er sich eine Abgangsentschädigung von 22 Millionen Franken zusichern liess. Erst nach Protesten verzichtete er wenigstens auf einen Teil des Geldes.

Im Sommer 2009 ist der Quelle-Konzern Konkurs gegangen. Mit happigen Folgen: Allein in der Region um Fürth (dem Stammsitz) und Nürnberg verloren auf den 31. Januar 3500 Beschäftigte ihren Job. Die Arbeitslosenquote in Nürnberg werde von acht auf über zwölf Prozent ansteigen, berichten deutsche Medien. In St. Gallen sind die Dimensionen zwar um ein Vielfaches kleiner. Doch das tröstet hier niemanden. Am allerwenigsten die Angestellten, die bei einer Entlassung mit einem sehr schwierigen Arbeitsmarkt konfrontiert sein werden.


Mitwirkung ohne Gewerkschaften

In der Schweiz ist das Verfahren bei Massenentlassungen im Mitwirkungsgesetz geregelt. Die Beschäftigten müssen eine Frist erhalten, um Lösungen vorzuschlagen, wie die Kündigung abgewendet werden könnte. Dieses Konsultationsverfahren lief bei Quelle korrekt ab. Allerdings waren Verbände und Gewerkschaften nicht einbezogen. Dies sei aber auch nicht vorgeschrieben, präzisiert Unia-Sekretär Thomas Wepf. Den Gewerkschaften bleibe im Moment nur, öffentlichen Druck aufzubauen. «Es kann nicht sein, dass die Angestellten eines profitablen Betriebs auf die Strasse gestellt werden», sagt er. Gefordert seien jetzt Kanton und Stadt St. Gallen. Sie sollten InvestorInnen vermitteln oder notfalls Bürgschaften gewähren, um die Arbeitsplätze zu retten, fordert Wepf. Das kantonale Amt für Wirtschaft hat inzwischen bekannt gegeben, dass Gespräche mit der Insolvenzverwaltung geführt werden.