Wohnungspolitik: Die Grossstädte als Versuchslabor

Nr. 7 –

Vor allem Gutverdienende und LandbewohnerInnen haben die Wohnungsinitiative abgelehnt. In den Zentren geht der Kampf weiter. Derweil blasen die HausbesitzerInnen zum Gegenangriff.

Bei der Abstimmung verliefen die Gräben zwischen MieterInnen und BesitzerInnen, Arm und Reich, Stadt und Land: Siedlung am Rand von Hünenberg ZG. Foto: Gaëtan Bally, Keystone

Das Verdikt war einigermassen klar: Gut 57 Prozent der Stimmenden haben letzten Sonntag die Initiative des MieterInnenverbands (MV) für «Mehr bezahlbare Wohnungen» abgelehnt. Die Gräben lagen dabei nicht bloss zwischen der Rechten und der Linken, die mit ihrem Anliegen immerhin rund 13 Prozent über ihre WählerInnenbasis hinaus mobilisierte. Sie verliefen, wie eine erste Befragung der TX Group zeigt, zwischen MieterInnen und HausbesitzerInnen, Arm und Reich, Stadt und Land. 58 Prozent der befragten MieterInnen stimmten der Vorlage zu sowie 54 Prozent aller Befragten mit einem Monatseinkommen unter 3000 Franken (während bei jenen mit einem Einkommen von über 11 000 Franken 72 Prozent Nein stimmten). Ja sagten auch 55 Prozent der befragten StädterInnen. Das heisst: Eine Mehrheit der Bevölkerungsteile, die die Immobilienspekulation in den Zentren zu spüren bekommen, stimmte dem Anliegen des MV zu. Der Rest solidarisierte sich nicht.

«Müssen jetzt vor allem verteidigen»

MV-Generalsekretärin Natalie Imboden ist ernüchtert. Nach der verlorenen Abstimmung stellt sie zwei eher zurückhaltende Forderungen auf: Der Bund müsse den sogenannten Fonds de Roulement, mit dem er den gemeinnützigen Wohnungsbau fördert, weiter aufstocken. Dazu müssten sich die Mieten endlich dem sinkenden Referenzzinssatz anpassen. Auch MV-Präsident und SP-Ständerat Carlo Sommaruga setzt nun in erster Linie auf den Fonds de Roulement. Er spricht von einer Verdoppelung der Aufstockung auf fünfzig Millionen Franken pro Jahr. Der MV werde in der Frühlingssession entsprechende Vorstösse einreichen. «Die Abstimmung ist wegen der Zehnprozentquote für den gemeinnützigen Wohnungsbau gescheitert. Dass insbesondere in den Zentren Handlungsbedarf besteht, hat sie bestätigt.» Die Zurückhaltung des MV hat Gründe: Dem Verband steht eine Abwehrschlacht bevor. Zahlreiche rechte Vorstösse zur Mietrechtsverschärfung wurden im nationalen Parlament bereits angenommen oder sind noch in Beratung. Imboden sagt: «Die Immobilienlobby fährt einen massiven Angriff. In den nächsten Monaten geht es in erster Linie darum, diesen abzuwehren.»

Angenommen haben National- und Ständeratskommission etwa zwei Parlamentarische Initiativen des Zürcher Hauseigentümerverbands-Vertreters Hans Egloff (SVP), zu denen die Nationalratskommission nun eine Vorlage ausarbeiten muss. Egloff will, dass der Anfangsmietzins nur noch bei persönlicher oder familiärer Notlage angefochten werden kann. Zudem will er Mieterhöhungen mittels eines einfacheren Nachweises der «Quartierüblichkeit» erleichtern. Die Vorstösse, die am weitesten gehen (etwa die Forderung des Genfer FDP-Nationalrats Olivier Feller, VermieterInnen höhere Renditen zu erlauben, oder jene des Walliser Nationalrats Philippe Nantermod, ebenfalls FDP, den Mieterschutz auf Gebiete mit Wohnungsnot zu beschränken), dürften im Ständerat zwar einen schweren Stand haben. Dennoch sagt Imboden: «Im schlimmsten Fall müssen wir am Ende gegen neun Gesetzesvorlagen das Referendum ergreifen.»

Verwässerungsgefahr in Basel-Stadt

Der spannendste Kampf um bezahlbaren Wohnraum wird derzeit in Basel-Stadt ausgefochten. Im Stadtkanton, wo in den letzten Jahren zahlreiche Leerkündigungen durch Immobilienspekulanten Widerstand auslösten, nahm die Bevölkerung im Juni 2018 überraschend vier Initiativen des Basler MV an – darunter die Wohnschutzinitiative, die MieterInnen vor Kündigungen und Mieterhöhungen bei Sanierungen schützen will. Der Basler MV orientierte sich dabei am Kanton Genf, der seit über fünfzig Jahren eine entsprechende Regelung kennt: Dort ist es Hausbesitzerinnen verboten, den Mietern bei einer Sanierung zu kündigen sowie den Mietzins übermässig zu erhöhen. Dass Mietzinskontrolle auf kantonaler Ebene möglich ist, obwohl das Mietrecht national geregelt ist, macht ein mehrfach durch das Bundesgericht bestätigter Kniff möglich: Weil Wohnschutzgesetze wie in Genf oder Basel nicht auf konkrete Vertragsbestimmungen zwischen Hausbesitzern und Mieterinnen abzielen, sondern über den Einzelfall hinaus auf genügend bezahlbaren Wohnraum, gelten sie als raumplanerische Massnahme, die in der Kompetenz der Kantone liegt.

In Basel-Stadt präsentierte die rot-grüne Regierung im Dezember 2018 einen Umsetzungsvorschlag, der die Kontrolle auf günstige Mietwohnungen beschränken will und keine konkrete Deckelung vorsieht. Der Grosse Rat, der die Vorlage im Frühling beraten wird, droht sie weiter zu verwässern. «Der wahrscheinlichste Ausgang ist, dass sich die Bürgerlichen mit einer Minimalversion durchsetzen», sagt der Basler MV-Kopräsident Beat Leuthardt. In der Pharmastadt schütze man seit jeher die Investoren, an deren Tropf man hänge.

Sollte die Umsetzung nicht nach seinem Gusto ausfallen, hat der Basler MV das Referendum angekündigt. Bereits gesammelt hat er die Unterschriften für die «Moratoriumsinitiative», die einen Baustopp bis zur Umsetzung der Wohnschutzinitiative verlangt. Die Regierung hat die Initiative allerdings teilweise für ungültig erklärt. Der Grosse Rat entschied am Mittwoch nach Redaktionsschluss darüber. Sollte er der Regierung beipflichten, will der MV vors Verfassungsgericht – was mindestens sechs Monate dauern würde. «In dieser Zeit könnte das Kapital weiterhin ungehindert in den Immobilienmarkt drängen», sagt Leuthardt.