Pop: Ablenkung muss sein
Ist das alles, oder kommt da noch was? Das war die Frage, als Donald Glover sein neues Childish-Gambino-Album ins Netz stellte. Denn «3.15.20» – das am 15. März kurz online auftauchte, ehe es eine Woche später mit monochromem Cover regulär auf den Streamingdiensten aufgeschaltet wurde – wirkt zunächst arg bruchstückhaft, unfertig und also komplett anders als der atemraubende Videoclip zu seinem Song «This Is America». In jenem Clip erschien der 36-Jährige vor zwei Jahren als Mörder, Tänzer und virtuoser Sänger, während im Hintergrund Ku-Klux-Klan-Mitglieder und gewalttätige Polizisten auftauchten – und aus dem Trendsurfer und Alleskönner Glover wurde eine der tonangebenden Figuren der gegenwärtigen US-Popkultur.
Dieser Status und eine «Star Wars»-Rolle machen es ihm auch möglich, sich nun in einem mixtapeartigen Soul-Spiegelkabinett zu verlaufen, in dem viele Figuren anzutreffen sind: Prince und Stevie Wonder laufen virtuell immer mit, man denkt auch an Zeitgenossen wie Frank Ocean, bei dem das Erratische Programm ist. Selbst eine Rapspur von 21 Savage oder die Stimme von Ariana Grande, die für einmal ohne den gewohnten Chartglanz zu hören ist, begleiten Donald Glover. Immer wieder strecken Ambientspuren die Tracks ins Überlange – bis man als HörerIn beinahe den Faden verliert. Oder eindämmert. Und umso freundlicher geweckt wird, beispielsweise mit dem Track «35.31», der wie fast alle Albumtitel nach der entsprechenden Spieldauer-Zeitmarke benannt ist: Childish Gambino setzt dann zu einem Abzählvers an, der leicht, aber nicht überfroh eskapistisch klingt. Denn selbst wenn Donald Glover seinen «This Is America»-Zorn nie nach aussen kehrt: Die Schatten der rassistischen Vergangenheit und Gegenwart tanzen selbst dann mit, wenn er sich in Selbstliebe und ein bisschen Optimismus versucht.
Die Nichtform der Songs auf «3.15.20», die erst so zusammengeklaubt wirken, wird deshalb immer schlüssiger. Es geht um kleine Ablenkungen im drückenden und überschweren Jetzt, die Glover und seine Produzenten in hellen Ecken des Albums versteckt haben. Wer schliesslich den Ausweg findet, hört zum Schluss einen Soulchor. Mehr muss dann gar nicht kommen.
Childish Gambino: 3.15.20. RCA Records / Sony. 2020