Childish Gambino: Kann alles

Nr. 35 –

Donald Glover hat als Comedian, Schauspieler, Regisseur und Rapper den Ruf, dass ihm alles gelingt, was er macht. Ist das auch das Problem seines letzten Albums als Childish Gambino?

Donald Glover alias Childish Gambino
Was bleibt einem anderes übrig, als mitzumachen? Donald Glover alias Childish Gambino. Foto: Paviella Garcia

Nach zwei Minuten explodieren dem Sänger beim Wohnzimmerkonzert die Augäpfel, die Musik bricht ab. Aus Gründen des Weltuntergangs hören wir das Stück nicht bis zum Schluss, sondern finden uns atemlos irgendwo im Wald wieder. «Lithonia» heisst die gitarrenschwere Vorabsingle zu «Bando Stone and the New World», dem neuen Album von Childish Gambino – angeblich der Soundtrack zu einem Film über einen nach der Apokalypse umherirrenden Musiker. Vom Film gibt es allerdings bisher nur einen Trailer, vielleicht wird es dabei auch bleiben. Gleichzeitig ist es Glovers Abschied von seinem Alias als Musiker: sein letztes Album als Childish Gambino.

Das passt gut zu Glover, der seit Jahren vor allem damit auffällt, dass ihm grundsätzlich alles gelingen kann und er ausserdem vieles auf einmal tut: Er war Comedian und Comedy-Autor, wurde zum Schauspieler, Rapper, Sänger, Tänzer, Produzenten, Regisseur. Glover selbst hat es gegenüber dem «New Yorker» einmal als seine «Superpower» beschrieben: alles beobachten, aufnehmen und anschliessend selbst umsetzen zu können. Das war Anfang 2018, an einem Höhepunkt von Glovers Karriere, kurz vor der zweiten Staffel seiner hochgelobten Serie «Atlanta» (2016–2022) und einige Monate vor «This Is America», einem seiner grössten Hits als Childish Gambino.

«Twin Peaks» mit Rappern

Wie viele andere vor und nach ihm wollte der Journalist des «New Yorker» damals herausfinden, was es mit Donald Glover auf sich hat: Wie kann es sein, dass ein einzelner Mensch so talentiert ist? Und welche Rolle spielt es dabei, dass Donald Glover Schwarz ist – gerade angesichts seines grossen Erfolgs? Auf die Frage, was denn anders wäre, wenn Glover weiss wäre, fragte dieser zurück: Ob der Journalist lieber alle Möglichkeiten hätte, aber ohne sie zu sehen. Oder würde er lieber alle Möglichkeiten sehen, aber ohne sie zu haben?

Glover wuchs bei den Zeugen Jehovas auf, ging auf eine vornehmlich weisse Highschool, studierte dann an der New York University Dramatisches Schreiben. Einen seiner ersten Jobs als Autor hatte er bei Tina Fey und ihrer Comedy-Serie «30 Rock». Klar sei sie von seinem Talent überzeugt gewesen, sagte Fey später, sie habe Glover aber vor allem deswegen angestellt, weil er «gratis» gewesen sei: bezahlt mit den Geldern der Diversity-Initiative beim Sender NBC.

Was es im Alltag bedeutet, in den USA Schwarz zu sein, was es zum Beispiel heisst, wenn die beruflichen und künstlerischen Möglichkeiten von der eigenen Hautfarbe abhängen – das hat Glover mit «Atlanta» untersucht, seinem bislang grössten Wurf: ein abgründiger, düsterer Fiebertraum, dabei aber durchgehend und manchmal beinahe unerträglich lustig. Im Zentrum standen der Undergroundrapper Alfred alias Paper Boi (Brian Tyree Henry), sein Cousin Earn (Glover), der ihn managen will, ihr gemeinsamer Freund Darius (Lakeith Stanfield) sowie Van (Zazie Beetz), Earns On-und-off-Freundin. Viel mehr als für eine lineare Story interessierten sich Glover, sein ausschliesslich Schwarzes Autor:innenteam und der für den Grossteil der Episoden verantwortliche Regisseur Hiro Murai allerdings für Schwarzes, von Armut geprägtes Leben in den Südstaaten der USA.

Als «‹Twin Peaks› mit Rappern» hat Glover die Serie einmal beschrieben, weil hier vieles ins Surreale kippt: ein Mann im Bus, der Verse rezitiert und sich auf einmal in Luft auflöst, ein Schwarzes Kind in grusligem Whiteface ganz zuhinterst auf der Schulbank oder ein Alligator, der aus einem Vorortseigenheim kriecht. Als Schwarze Person in Angst zu leben, wo Weisse von dieser Angst oft nicht einmal etwas wissen: Dieses ganz andere Erleben einer Umgebung, je nachdem, ob jemand Schwarz oder weiss ist, wird in «Atlanta» ins Übernatürliche übersetzt.

Daneben gab es viele Jahre lang auch Childish Gambino: Unter dem Künstlernamen veröffentlichte Glover seit 2005 zuerst einige (heute schwer oder nicht mehr zugängliche) Mixtapes, 2011 und 2013 dann seine ersten Rapalben, «Camp» und «Because the Internet». Auf «Camp» konnte man schon hören, dass Glover auch als Rapper begabt war, schnell und wortgewandt. Aber es war auch ein fahriges Album und durchzogen von misogynen Stellen – ein Vorwurf, den manche Kritiker:innen auch gegenüber «Atlanta» mit seinen eher dürftig gezeichneten Frauenfiguren erhoben und den Glover bis heute nicht gänzlich abschütteln kann.

«Because the Internet» war weniger ausgefranst, fokussierter produziert und gespickt mit vielen guten Tracks. Glover bezeichnete es als «OK Computer» des Rap, als Zäsur also, wie es jenes übergrosse Album von Radiohead 1997 gewesen war. Ein gutes Beispiel dafür, wie selbstbewusst Glover über seine Arbeit denkt und gegenüber interessierten Medien darüber spricht: Er weiss genau, wie gut er ist, und er hat die Frechheit, es öffentlich zu sagen. Auch das ein bewusster Zug, sich als Schwarzer Künstler zu positionieren.

Wichtiger war dennoch «‹Awaken, My Love!›» (2016), das kein Rapalbum mehr war, sondern ein leichtfüssiges Spiel mit Soul, R ’n’ B, Funk und weiteren Versatzstücken Schwarzer Musikgeschichte. Mittendrin die himmeltraurige, übergrosse Single «Redbone»: «Stay woke, don’t you close your eyes», hiess es da mahnend, «sie werden dich finden, wenn du schläfst.» Da schillerte noch, was dieses Wokesein alles hätte heissen können, aber ohne viel Hoffnung, dass es etwas nützt. Das «Atlanta»-Grundgefühl, als Schwarzer Mensch nie und nirgends sicher zu sein, wird hier zum Zerreissen schön besungen.

Tosend übertöntes Leiden

Zwei Jahre später gab die Single «This Is America» dem Zorn darüber Ausdruck. Im Musikvideo von Hiro Murai sieht man Childish Gambino während vier brutaler Minuten in einer Lagerhalle tanzen, dahinter brennende Autos, Mitglieder des Ku-Klux-Klans, ein Schwarzer Gospelchor, der bald niedergeschossen wird. Eine gängige Interpretation des Videos weist in Richtung Unterhaltungsindustrie: In diesem Amerika werden Schwarze misshandelt und umgebracht, sogar dabei gefilmt – und doch wird ihr Leiden tosend übertönt von Fernsehen, Musikindustrie, Hollywood. The show must go on, die Schwarze, von Schmerz und Gewalt bestimmte Geschichte wird, wenn überhaupt, einfach Teil davon. Übrig bleibt einem höchstens, dabei mitzumachen.

«Bando Stone and the New World» funktioniert nun gewissermassen umgekehrt: Hier gibt es keine Unterhaltungsindustrie mehr, die irgendetwas übertönen könnte. Nur Bando Stone ist in diesem Weltuntergangsszenario davon übrig geblieben, als Sänger und Entertainer, den nun niemand mehr hören kann und will. Als ihn seine Gefährtin im Trailer zum Film einmal fragt, ob er schiessen könne, jagen oder Fallen stellen, sagt er: «Ich kann singen.» «Dann bist du nutzlos», konstatiert sie. Vielleicht auch ein Witz auf Glovers Übermass an Fähigkeiten, die nach der Apokalypse nicht mehr viel wert sind.

Noch mal alles durchspielen

Auf dem Album wird auch deutlich, dass Glover zwar alles Erdenkliche kann, aber in der Begrenzung davon nicht immer scharf genug ist. «Bando Stone and the New World» klingt trotz einiger beglückender Momente, als hätte Glover als Childish Gambino zum Schluss noch einmal alle zur Verfügung stehenden Charaktere durchspielen wollen: Da ist der elektronisch verzogene, kreischende Einstieg mit «H3@RT$ W3RE M3@NT T0 F7¥», das manche an Kanye Wests ­«Yeezus» denken lässt, da ist der tolle R-’n’-B-Track «In The Night» mit Amaarae und Jorja Smith, mit «Yoshinoya» ein eigener Drake-Diss, sogar eine Pop-Punk-Nummer, als wären wir in den frühen 2000ern («Running Around» mit Foushée), oder das grossartig verschliffene Trap-Feature mit Yeats («Cruisin’­»). Spätestens mit «Happy Survival» wirkt das dann beinahe wie eine Parodie, weil nämlich Childish Gambino, wie dieses langweilig vor sich hindudelnde Feature mit der texanischen Thaifunk-Band Khruangbin zeigt, sogar klingen kann wie, nun ja: Khruangbin.

Dass das Album die Idee eines Soundtracks zumindest in sich trägt, ist dabei vielleicht das Vielversprechendste daran – schon oft war es die Bildebene, die Glovers Werk so berauschend machte. Und danach: The show must go on? Nicht unbedingt oder vielleicht nach neuen Regeln.

Childish Gambino: «Bando Stone and the New World». RCA Records. 2024.

Die Serie «Atlanta» (Staffeln 1–4) gibts bei Disney+.