Rechtsnationalismus in Deutschland: Der offene Showdown

Nr. 22 –

Nach 1945 marschierten rechtskonservative und völkische Strömungen getrennt – bis sie sich zur AfD zusammenschlossen. Zerbricht die Partei nun endlich an ihren inneren Machtkämpfen?

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat seit ihrer Gründung 2013 alle Abspaltungen überstanden. 2015 musste Parteigründer Bernd Lucke nach verlorenem Showdown gegen Mitgründerin Frauke Petry beim Parteitag in Essen seinen Laptop zuklappen. Er verliess mit ein paar Gefolgsleuten die Partei und gründete eine neue – erfolglos.

Das gleiche Schicksal ereilte zwei Jahre später seine einstige Konkurrentin Petry, als sie im Machtkampf gegen diejenigen unterlag, die sie zuvor gegen Lucke noch unterstützt hatten: den völkischen Flügel sowie den Kovorsitzenden, den Neoliberalen Jörg Meuthen. Dieser ist noch immer Vorsitzender und greift nun wiederum die Völkischen in der Partei an. Droht Meuthen jetzt ein ähnliches Schicksal wie Lucke und Petry?

Ein immer engmaschigeres Netz

Machtkämpfe und körbeweise schmutzige Wäsche sind in Parteien keine Seltenheit – in neu gegründeten Parteien schon gar nicht. Doch bei der AfD ist auffällig, wie sehr sich die Geschichten in der Partei gleichen: Wer heute noch eingehakt zusammensteht, kann sich schon morgen feindlich gegenüberstehen. Dieses wiederkehrende Muster ist nicht Resultat besonders mieser Charaktere in den Reihen des rechten Personals. Vielmehr sind die immer wieder aufkommenden Macht- und Richtungskämpfe eine Folge massiver innerer Widersprüche, die die AfD von Anfang an prägten.

Die AfD ist ein fragiles Bündnis, eine Ansammlung verschiedener rechter Traditionen. Im Kern streiten sich drei Strömungen um die Vorherrschaft in der Partei: Da sind die Rechtskonservativen, die mit dem weitverbreiteten modernisierten Konservatismus nichts mehr anfangen konnten. Zu ihnen gesellten sich stark national orientierte Neoliberale, denen die kapitalfreundliche Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der verschiedenen Merkel-Regierungen nicht weit genug ging. Auch wenn einige VertreterInnen dieses Spektrums die Partei mit Lucke verlassen haben, spielt diese Traditionslinie noch immer eine wichtige Rolle innerhalb der Partei. Und dann wäre da noch die völkische Strömung. Ihr Grundgedanke: Das deutsche Volk werde ausgetauscht – wahlweise durch Muslime, Wanderarbeiterinnen oder Geflüchtete.

Diese drei rechten Strömungen marschierten nach 1945 in Deutschland getrennt voneinander. Die Rechtskonservativen waren mehrheitlich bei der CDU und der CSU zu finden, die National-Neoliberalen eher bei der FDP, die Völkischen in Splitter- und Kleinstparteien. Die AfD ist die erste Partei in Deutschland, der es – bis jetzt – gelang, das gespaltene äussere rechte Lager zu sammeln.

Um die AfD herum gruppieren sich Zeitungen, Thinktanks, soziale Bewegungen, lokale Bürgerinitiativen, militante RassistInnen, die auch nicht vor körperlichen Angriffen zurückschrecken, und Teile der Wirtschaft. In diesem – in den vergangenen Jahren engmaschiger gewordenen – Netz eines im Werden begriffenen rechtsradikalen Projekts hat die AfD eine zentrale Position inne: Die Partei ist ein rechtes Versuchslabor. Da in ihr alle Strömungen vertreten sind, wird sich in der AfD zeigen, ob die verschiedenen Flügel der radikalen Rechten in Deutschland zusammenarbeiten können − und welche Strömung die Führung innerhalb dieses Projekts übernehmen wird.

Symbolische Abgrenzung

Nun aber könnte dieses Bündnis auseinanderbrechen, denn vor allem Jörg Meuthen versucht gerade offensiv, den Einfluss des völkischen Flügels in der AfD zu begrenzen. Vor zwei Monaten setzte er durch, dass sich der Flügel offiziell auflösen musste, was dieser zähneknirschend tat. Mitte Mai ging Meuthen noch einen Schritt weiter, indem er erfolgreich darauf drängte, Andreas Kalbitz aus der Partei zu werfen. Der nun ehemalige Chef der AfD Brandenburg und Fraktionsvorsitzende im dortigen Landtag gilt neben Björn Höcke als wichtigster Vertreter der völkischen Strömung. Kalbitz wird vorgeworfen, bei seiner Aufnahme in die Partei verheimlicht zu haben, Mitglied rechtsextremer Organisationen gewesen zu sein. Sieben Mitglieder des Bundesvorstands stimmten für den Rausschmiss, fünf dagegen – einer davon war Kalbitz selbst, es war seine letzte Abstimmung als Parteimitglied.

Kalbitz’ rechtsextreme Vergangenheit ist dank antifaschistischer Recherche schon lange bekannt. Dass nun der Druck auf die Völkischen steigt, ist demnach nicht auf einen politischen Gesinnungswandel in der Parteispitze zurückzuführen. In der AfD geht vielmehr die Angst um, dass der Verfassungsschutz bald nicht mehr nur Teile, sondern die gesamte Partei beobachten könnte. Dieses Damoklesschwert macht vor allem die Professoren und Beamten in der Partei nervös, sie fürchten um ihre Existenz, sollte die gesamte Partei offiziell als extremistisch gelten.

Kaum jemand verkörpert diesen opportunistischen Geist in der AfD besser als Meuthen: Lange stand er Seite an Seite mit dem völkischen Flügel, war mehrmals beim jährlichen Treffen, nannte ihn bei einer Rede dort einen «integralen Bestandteil der Partei». Jetzt versucht er sich symbolisch abzugrenzen, betont zugleich in Interviews, nicht politische, sondern rechtlich-formale Bedenken seien ausschlaggebend gewesen, Kalbitz aus der Partei zu werfen.

Hinzu kommt, dass die AfD seit Monaten in den Umfragen verliert: Im September 2018 stand die Partei bundesweit bei achtzehn Prozent, mittlerweile schafft sie es nur noch auf etwa zehn Prozent. Ausserdem macht ihr der sinkende Einfluss von Alexander Gauland schwer zu schaffen: Zwar war er nie bei allen in der Partei beliebt, aber der mittlerweile 79-Jährige hatte verstanden, dass die Partei sowohl die Völkischen als auch die Neoliberalen und die Rechtskonservativen braucht, um dauerhaft erfolgreich sein zu können. Gauland soll sich bei der Bundesvorstandssitzung als nicht stimmberechtigter Ehrenvorsitzender für seinen Ziehsohn Kalbitz eingesetzt haben. Anschliessend sprach er öffentlich von einem «gefährlichen und falschen Ergebnis».

Ob Kalbitz’ Ausschluss denn rechtlich in Ordnung ist, wird juristisch noch geklärt werden müssen. Das dürfte nicht leicht werden, prognostizieren ParteirechtlerInnen. Denn der ominöse Aufnahmeantrag aus der Anfangszeit der AfD, in dem Kalbitz seine Mitgliedschaft in rechtsextremen Organisationen verschwiegen haben soll, ist zufälligerweise nicht mehr aufzufinden.

Ein Riss quer durch die Partei

Würde Kalbitz’ Ausschluss tatsächlich rückgängig gemacht, dürfte die bisher einigermassen funktionierende bündnisorientierte Zusammenarbeit kaum noch möglich sein. Sollte der Ausschluss Bestand haben, gibt es für die Völkischen drei Optionen: Kalbitz könnte erstens versuchen, wieder in die Partei einzutreten – das dürfte wohl nur Erfolg haben, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesvorstand ändern. Möglich wäre zweitens eine Abspaltung der Flügelmitglieder, die ihre Machtbasis im Osten Deutschlands haben. Für die Völkischen wäre eine Abspaltung aber nicht gerade von Vorteil, denn als reine Flügel-AfD wäre sie wohl kaum mehr als eine Regionalpartei und würde ihren grösseren Resonanzraum verlieren.

Bleibt somit nur die dritte Option: ohne Kalbitz in der AfD weitermachen. Auch das liegt eigentlich gerade nicht drin: Höcke spricht mit Blick auf Kalbitz von Verrat, er werde die Spaltung und Zerstörung der AfD nicht zulassen, sagte er in einer Videobotschaft. In den sozialen Medien kursieren in Flügelkreisen Listen mit den Namen der Mitglieder, die gegen Kalbitz gestimmt haben. Götz Kubitschek, Vordenker des Flügels, prophezeit: «Was Meuthen tat, wird in der AfD zu einem Flächenbrand werden.»

Egal wie es ausgeht: Momentan sieht es so aus, als würde die AfD aus diesem aktuellen Machtkampf nicht so unbeschadet herauskommen wie 2015 und 2017. Lucke und Petry hatten es nicht verstanden, lagerübergreifende Allianzen zu schmieden. Meuthen scheint geschickter vorzugehen, denn der Riss geht gerade quer durch die Partei. Das Meuthen-Lager und der völkische Flügel erhalten jeweils Zustimmung aus unterschiedlichen Strömungen. Wer momentan tatsächlich wie stark ist, könnte durch einen Sonderparteitag geklärt werden. Für diesen sind mittlerweile beide Seiten offen. Ein Showdown deutet sich an – dieses Mal könnte es aber keine SiegerInnen geben.