Von oben herab: Gute Idee – SBB!

Nr. 27 –

Stefan Gärtner über die abgefahrenen neuen Tarife

Nach coronabedingten Milliardenverlusten will die SBB wieder Fahrgäste locken, und zwar mit vielen neuen, attraktiven Angeboten:

Klassenwechsel   Arbeiter und Arbeiterinnen können gegen Aufgeld in den Wagen der ersten Klasse die Matura nachholen und lernen im Speisewagen, falls nötig, nicht nur die Feinheiten der Etikette, sondern auch, wie man das Personal herumkommandiert. Wer Gölä auf dem Smartphone hat, muss ihn allerdings löschen. Ein Klassenwechsel in absteigender Richtung ist sowieso möglich, wird aber «eisern ignoriert» (SBB).

Sparkleingruppen   Da das Auto, ist es mit zwei oder mehr Personen besetzt, meist günstiger ist als die Bahn, gelten Sparbillette vom nächsten Jahr an bereits ab einer Gruppengrösse von drei Personen, wobei sich das Angebot nach der Verfügbarkeit richten wird. Ab 2022 sollen die Angebote bereits ab einer Gruppengrösse von null gelten und dann «praktisch gar nichts mehr kosten», so die SBB in einer sparsam formulierten Mitteilung. Das gelte sogar «unabhängig von der Verfügbarkeit».

Spargrossgruppen   Aber auch für den gegenteiligen Fall hält die SBB die sprichwörtliche «gute Idee» bereit: Gruppen ab hundert Personen dürfen, etwa nach einem Auswärtsspiel, die Wagen der zweiten Klasse ohne Aufpreis demolieren, Gruppen ab fünfzig Personen wenigstens «schlecht riechen und rumschreien» (SBB), ohne dass die Bahnpolizei kommt.

Schimpf  & Spar   Auch Unzufriedene dürfen sich auf ein Sonderangebot freuen: Wer mit Pünktlichkeit, Sauberkeit oder Service unzufrieden ist, kann sich «Beschwerden sparen», so die SBB, die ganz auf zufriedene Kundschaft setzt. «Denn wem es hier nicht passt, der kann ja in Deutschland Bahn fahren!»

GA-Monatskarte   Bislang brauchte, wer eine GA-Monatskarte erwerben wollte, ein Halbtaxabo. Diese verstörende oder jedenfalls störende Voraussetzung, die vielen den Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel verleidet hat, fällt weg: Das Halbtaxabo braucht es nicht mehr, dafür wird die GA-Monatskarte um CHF 185 teurer (Jugendliche CHF 120).

Studierenden-GA   Das Generalabonnement für Studierende von 25 bis 30 wird dagegen ersatzlos gestrichen. «Wer die SBB nutzt», so ein SBB-Sprecher mit NZZ-Generalabo kühl, «ist ein Reisender oder eine Pendlerin, jedenfalls kein Studierender. Es sei denn, er oder sie studiert unterwegs. Falls man sich da konzentrieren kann; bei mir langts immer bloss für ein paar Zeilen Gujer!»

Seven87   Gute Nachrichten gibt es auch für Freundinnen und Freunde des ausschweifenden Nachtlebens: Nicht nur ist das bisher als «seven25» bekannte Abonnement an Samstagen, Sonntagen und allgemeinen Feiertagen in Zukunft bis 7 Uhr (bislang 5 Uhr) gültig, auch definiert die SBB «junge Erwachsene» neu: Alle, die einen sportiv alters- und würdelosen Eindruck machen, dürfen bis ins hohe Alter für 39 Franken im Monat spät nach Hause kommen. «Allerdings sollte er oder sie sich nicht von den Kindern erwischen lassen», rät die SBB. «Oder der Heimleitung!»

Unbegleitete Minderjährige   Änderungen gibt es auch für Kinder: Diese, sofern noch nicht sechs Jahre alt, «reisen ab Dezember 2021 immer gratis – egal ob begleitet oder unbegleitet», wie es bei der SBB nun wirklich völlig wörtlich heisst. Die allfällige Busse wegen Verletzung der Aufsichtspflicht soll keinesfalls teurer sein als eine GA-Monatskarte. Geht ein Kind verloren, profitieren Eltern bei der Suche selbstverständlich von den neuen Sparkleingruppenbilletten.

Scheiss-drauf-Tax   Wer schwarzfährt, muss sich auch im neuen Tarif auf dem Klo einschliessen, darf aber, so die SBB diskret, «so oft er oder sie will». Die Klopapierbeschränkungen vom Beginn der Coronakrise gehörten «der Vergangenheit an».

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Anmerkung der Redaktion: Die SBB möchte festhalten, dass nicht sie für die tollen Neuerungen verantwortlich ist, sondern die Branchenorganisation Alliance Swisspass.