Covid-19-Gesetz: Alle Macht dem Bundesrat
Diese Woche endet die Vernehmlassung für das Gesetz, in dem die Bewältigung der Coronapandemie geregelt werden soll. Linke Politiker und Staatsrechtler kritisieren den Entwurf nun scharf.
Bloss fünf Seiten umfasst das neue Covid-19-Gesetz, dreizehn so knapp wie trocken formulierte Artikel, in denen die Bewältigung der Coronapandemie bis Ende 2022 geregelt werden soll. Die Themen des Entwurfs reichen von epidemiologischen Überlegungen und wirtschaftspolitischen Massnahmen bis hin zu Regelungen im Asyl- und im Justizbereich, bei der Kultur und den Medien.
Weil die aktuellen bundesrätlichen Notverordnungen nach einem halben Jahr automatisch ausser Kraft treten, soll das Parlament die entsprechende Gesetzesbotschaft bereits im September beraten – die Zeit drängt. Deshalb dauert die Vernehmlassung zum dringlichen Covid-19-Gesetz auch nur drei Wochen. Diesen Freitag endet die Frist – und wie sich nun zeigt, birgt der Entwurf der Landesregierung eine gehörige Portion Sprengpotenzial.
Betont staatsmännisch tönte es, als Bundeskanzler Walter Thurnherr am 19. Juni das Gesetz präsentierte, feierlich zelebrierte er den «wichtigen Schritt zurück ins ordentliche Recht». Ziemlich anders klang es diese Woche hingegen bei SP-Doyen Paul Rechsteiner, der vor einer «staatspolitischen Fehlentwicklung mit unabsehbaren Folgen» warnte. Der Bundesrat beantrage im Wesentlichen «eine Kompetenzdelegation an sich selber», kritisierte er in einem Eintrag auf seinem persönlichen Blog.
«Ein Ermächtigungsgesetz»
Der Warnruf des St. Galler Ständerats lässt aufhorchen. Er befürchtet, dass das Parlament der Exekutive zu viel Macht einräumen könnte, obwohl es gerade in Krisenzeiten seine Rolle als Gesetzgeber wahrnehmen und eine Antwort auf drängende wirtschafts- und finanzpolitische Fragen finden müsste. Sorgen bereitet dem erfahrenen Politiker auch ein anderer Punkt: «Das Gesetz kann den Bürgerlichen im Parlament inskünftig als Ausrede dienen, selbst keine Massnahmen zu ergreifen», so Rechsteiner.
Alle Macht dem Bundesrat? Dass diese Angst nicht unbegründet ist, bestätigt auch der Zürcher Staatsrechtler Felix Uhlmann: Er spricht gar von einem «Ermächtigungsgesetz». «Dass sich sehr viele Kompetenzen vom Parlament und den Kantonen zum Bundesrat verschieben, ohne dass materielle Entscheide getroffen werden, ist problematisch», sagt Uhlmann. Zwar seien die offenen Formulierungen teilweise sinnvoll, weil sie dem Bundesrat Spielräume ermöglichten, in einer Krisensituation schnell zu reagieren, räumt der Jurist ein. «Dass die Vollmachten aber derart umfangreich sind, scheint mir nicht gerechtfertigt.»
Als Beispiel nennt Uhlmann die Regelungen im Kulturbereich. «Der Bundesrat kann Kulturunternehmen und -schaffende mit Finanzhilfen unterstützen (…) Die Kantone beteiligen sich zur Hälfte an den Ausfallentschädigungen», heisst es dazu in Artikel 7. So bleibe es für Parlament und Kantone schwer vorhersehbar, was der Bundesrat in diesem Bereich – der notabene in die angestammte Zuständigkeit der Kantone fällt – konkret machen wolle, kritisiert der Staatsrechtler. Dass es auch anders geht, habe das Gesetz für die Contact-Tracing-App gezeigt, in dem die wichtigen Fragen durch das Parlament entschieden wurden.
Die vagen Formulierungen haben längst auch die Kantone auf den Plan gerufen. Es sei nicht sachgerecht, dass man sie bloss in Bezug auf Massnahmen im unmittelbaren Kampf gegen das Virus «anhöre». Vielmehr müssten sie überall dort «vorgängig miteinbezogen» werden, wo sie von Regelungen betroffen sind, schreibt etwa der Solothurner Regierungsrat in seiner Vernehmlassungsantwort. Auch sollten die Kantone die Möglichkeit haben, vom Bundesrat abweichende Bestimmungen zu erlassen.
Ein Parlament für die Zukunft
Mit dem Entwurf nur teilweise zufrieden zeigen sich auch die Grünen. Unbestritten sei zwar, dass gewisse Massnahmen aus den Notverordnungen weitergeführt werden müssten, sagt der frisch gewählte Parteipräsident Balthasar Glättli. In gewissen Punkten lohne sich allerdings eine genaue Betrachtung. «Bei den wirtschaftlichen Unterstützungsleistungen braucht es sicher mehr Verpflichtungen, in Bereichen wie dem Asylwesen oder der Justiz ist das Gesetz hingegen viel zu offen formuliert, dort müssen die Vollmachten klarer eingeschränkt werden», sagt er.
Abgesehen von den konkreten Paragrafen beschäftigt Glättli aber auch etwas anderes: wie sich das Parlament, das auf dem Höhepunkt der Coronakrise im März seine Session abbrach, in Zukunft «notstandstauglich» machen liesse und die Grundrechte in Notstandszeiten besser geschützt werden könnten. Dazu müssten unterschiedliche Szenarien entwickelt werden. «Sonst besteht die Gefahr, dass wir bloss die letzte Krise regeln, anstatt uns auf die nächste vorzubereiten.»