Ennio Morricone (1928–2020): Noch zu entdecken

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Sie hat sich ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben und ihn weltberühmt gemacht: Ennio Morricones Eingangsmelodie zu «C’era una volta il West» (1968), dem Film seines einstigen Klassenkameraden Sergio Leone. Charles Bronson nervt mit seinem Mundharmonikaspiel in der Eingangssequenz des Films, lässt kommendes Unheil erahnen und legt die Fährte für die spannungsgeladene Handlung aus. Gleichzeitig klebte der Soundtrack zu «Spiel mir das Lied vom Tod» Morricone das Image des Spaghettiwesternkomponisten an. Er litt darunter, wurde es aber zeitlebens nicht mehr los.

Morricone war schon Mitte der sechziger Jahre als Trompeter Teil der Band Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza aus Rom. Gemeinsam loteten die sechs Musiker, die alle auch Komponisten waren, die Grenzen der Klänge und die Möglichkeiten ihrer Instrumente aus, oszillierten sensibel zwischen Improvisation und Komposition. Sie begaben sich als Kollektiv auf die Suche nach unentdeckten Klanggalaxien. Als Komponist war Morricone 1958 Gast an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Dort machte er Bekanntschaft mit der experimentellen Musik von John Cage und Luigi Nono, lernte die Musique concrète von Pierre Schaeffer und Pierre Henry kennen. Er begann, Alltagsgeräusche gleichberechtigt in seine Kompositionen zu integrieren, und schuf so einzigartige musikalische Collagen, die sich besonders auch für Filmsoundtracks anboten.

Unter dem Titel «Crime And Dissonance» hat Mike Patton, experimentierfreudiger Sänger von Faith No More und Fantômas, 2005 dreissig Ausschnitte aus weniger bekannten Filmkompositionen Morricones zusammengetragen. Da sirren psychedelische Sitars zu erregten Atemgeräuschen, kontrastieren mit den verwehten Gesängen eines grossen Chors aus dem Kurzwellenradio. Morricone scheute auch süssliche Klänge und Bombast nicht, blieb aber immer voller Überraschungen. 2007 ehrte ihn Hollywood für sein Gesamtwerk, und er dankte es seiner Frau Maria, der ersten kritischen Hörerin seiner neuen Werke.

Über 500 Filmsoundtracks können nicht alle gut sein, auch die Filme nicht. Jedenfalls ist Ennio Morricone als Komponist jenseits des Spaghettiwestern noch zu entdecken. Am 6. Juli ist er 91-jährig in Rom verstorben. Sein Schaffen zwischen Film-, Kammermusik und symphonischen Werken birgt aber noch manchen Schatz.