Standpunkt zum neuen Jagdgesetz: Abschiessen statt schützen, das ist der falsche Weg

Nr. 38 –

Das neue Jagdgesetz ist missraten und schadet der Artenvielfalt. Und es verspricht der mit Wildtieren konfrontierten Landbevölkerung eine Lösung, die nicht funktioniert. Das Gesetz gehört am 27. September wuchtig abgelehnt.

Der «Living Planet Report 2020» des WWF zeigt ein schockierendes Bild unserer Erde: Die Bestände der Wirbeltiere sind seit 1970 um mehr als zwei Drittel zurückgegangen. Gründe dafür sind Verlust von Lebensraum, illegale Jagd oder nicht nachhaltige Landwirtschaft.

Und das Artensterben macht vor den Grenzen der Schweiz nicht halt: Hierzulande ist mehr als jede dritte Wirbeltierart gefährdet. Gemäss OECD-Umweltprüfbericht (2017) unternimmt unser Land viel zu wenig für die Erhaltung der Biodiversität. In kaum einem anderen OECD-Land ist der Handlungsbedarf zum Schutz der Artenvielfalt dringender als in der Schweiz. Auch deshalb kämpfen Links-Grün, EVP und GLP geschlossen für ein Nein zum neuen Jagdgesetz, über das wir am 27. September abstimmen.

Es geht nicht nur um den Wolf

Das Jagdgesetz regelt den Umgang mit den heimischen Vögeln und Säugetieren und ihren Lebensräumen. Es ist eines unserer wichtigsten Artenschutzgesetze. Nicht nur die Parteien von links bis zur Mitte lehnen die Revision ab. Auch zahlreiche VertreterInnen bürgerlicher Parteien sowie sämtliche Natur- und Tierschutzorganisationen sehen den Artenschutz bedroht und kritisieren den Paradigmenwechsel vom Schutz- zum Abschussgesetz. Mit dem neuen Jagdgesetz könnten geschützte Tierarten auf Vorrat abgeschossen werden – ohne dass sie Schäden verursacht hätten und ohne dass zuvor Präventionsmassnahmen ergriffen werden müssten. Dies würde etwa die Bemühungen, die in den letzten zwanzig Jahren in den Herdenschutz gesteckt wurden, sabotieren. Und hatte bislang der Bund das letzte Wort bei Massnahmen gegen geschützte Tiere, so könnte künftig jeder Kanton selbst entscheiden, ob er die Bestände von Wölfen, Bibern oder Graureihern dezimiert.

Das revidierte Jagdgesetz betrifft nicht «nur» den Wolf, sondern im Prinzip sämtliche geschützten Tierarten, die der Bundesrat auf die Regulierungsliste setzen kann. Weder Bund noch Parlament haben sich je aus Überzeugung vom Vorhaben distanziert, Luchs, Biber oder Graureiher zu dezimieren. All diese Arten waren in der parlamentarischen Debatte bereits gelistet und wurden im letzten Moment, aus taktischen Gründen oder mit Zufallsmehr, wieder fallen gelassen.

Würde das Jagdgesetz angenommen, reichte künftig eine überwiesene Motion, um auch diese Tiere regulieren zu können. Der Bundesrat könnte beim besten Willen nicht anders, als sie auf die «Abschussliste» zu setzen – dieses Schicksal hat nun im Verordnungsentwurf bereits den harmlosen Höckerschwan ereilt. Tritt das neue Gesetz mit dazugehöriger Verordnung in Kraft, können die Kantone ihn zum Abschuss freigeben.

Verordnung sorgt für Unsicherheit

Für ein Nein hat sich auch ein Komitee aus über hundert JägerInnen formiert. Mit dem Schweizerischen Forstverband sowie dem Bergwaldprojekt tragen zudem viele FörsterInnen das Referendum mit. Und auch die Schweizerische Vogelwarte Sempach, eine wissenschaftliche Institution, äussert sich besorgt. Die Zweifel gegenüber dem revidierten Gesetz werden noch verstärkt durch den «Aufhübschungsversuch», den das Bundesamt für Umwelt mit der dazugehörigen Verordnung lancierte. Sie wurde in die Vernehmlassung gegeben, ehe sich das Stimmvolk zum übergeordneten Gesetz äussern konnte. Ein Gesuch der Umweltverbände um Fristaufschub für ihre Stellungnahme wurde abschlägig beantwortet – ein doch eher ungewöhnliches Vorgehen.

Die neue Verordnung enthält trügerische Anpassungen im Arten- und Tierschutz, die offenbar gereicht haben, um selbst ein paar WildbiologInnen Sand in die Augen zu streuen. Das Problem: Die angeblichen Verbesserungen sind weitgehend Kosmetik. Sie regeln nichts neu, was nicht schon anderweitig Gesetz wäre, und haben kaum konkrete Auswirkung in der Natur. Beispiel neu geschützte Entenarten: Zwölf Arten wären künftig nicht mehr jagdbar, jedoch machen diese nur zwei Prozent aller in der Schweiz getätigten Entenabschüsse aus. Jene Enten, die schon heute intensiv gejagt werden, profitieren nicht vom Schutz – ebenso wenig wie die jagdbaren, aber im Bestand bedrohten Arten wie Feldhase, Birkhahn oder Waldschnepfe, die nach Ansicht von Natur- und VogelschützerInnen längst unter Artenschutz gestellt gehörten.

In der Vernehmlassung zur Verordnung zeigen die Befürworter des neuen Jagdgesetzes – der Schweizerische Bauernverband und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete – ihr wahres Gesicht. Während in der Ja-Kampagne die Rede ist von «mehr Sicherheit für Mensch, Tier und Landschaft» und «massvoller Regulierung des Wolfs», fordern sie in der Vernehmlassung, dass ganze Wolfsrudel ausgelöscht werden und die Interessen der Landwirtschaft generell Vorrang gegenüber dem Artenschutz haben sollen.

Mit dem neuen Jagdgesetz wird der mit Wildtieren konfrontierten Landbevölkerung eine Lösung versprochen, die so nicht funktionieren wird: Die Regulation von Wölfen oder Bibern wird nicht zu weniger Schäden führen – sofern diese Arten weiterhin vor der Ausrottung geschützt werden. Kommt dazu, dass mit dem neuen Gesetz die Prävention vernachlässigt wird, an der kein Weg vorbeiführt. Gerade im Umgang mit dem Wolf ist Solidarität mit den NutztierhalterInnen gefragt. Heute bleiben sie auf der Hälfte der durch Herdenschutz verursachten Mehrkosten sitzen. Aber statt ihnen dort zu helfen, propagieren die Landwirtschaftsverbände ein unwirksames und missratenes Jagdgesetz, das den Artenschutz in der Schweiz aushöhlt. Ein solches «Abschussgesetz» können wir uns angesichts der besorgniserregenden Situation von Natur und Artenvielfalt nicht leisten!

Sorgen um Luchs und Fischotter

Der Wolf ist nur eines der vom Jagdgesetz betroffenen Tiere – und wahrscheinlich nicht das verletzlichste. Viel mehr Sorgen machen müssen wir uns längerfristig um Luchs, Gänsesäger oder Fischotter. Im Umgang mit dem Wolf unterstützen die Naturschutzverbände hingegen schon lange eine pragmatische Lösung. Es braucht eine Gesetzesanpassung, die die berechtigten Sorgen der TierhalterInnen ernst nimmt, den Umgang mit dem Wolf vereinfacht, den Herdenschutz stärkt – aber auch die Artenvielfalt unseres Landes fördert.

Zu einer solchen Win-win-Situation führt nur ein Weg: ein wuchtiges Nein zum missratenen Jagdgesetz am 27. September.

Die Naturschutzbiologin Sara Wehrli ist Projektleiterin Jagdpolitik bei Pro Natura und mitverantwortlich für die Referendumskampagne gegen das neue Jagdgesetz.