Pseudoarchäologie: Wenn Satan im Museum haust

Nr. 44 –

Auf der Berliner Museumsinsel beschädigten Unbekannte zahlreiche Objekte. Der Vandalismus könnte in Zusammenhang stehen mit Verschwörungen rund um die Coronapandemie und obskure Rituale. Woher rühren solche Deutungen archäologischer Artefakte?

Führen von hier aus wirklich Gänge in den Untergrund, in dem Angela Merkel Kinderblut säuft? Detail aus dem Pergamonaltar auf der Berliner Museumsinsel. Foto: Iain Masterton, Alamy

Auch als Berlin bereits brannte, liess Heinrich Himmler die ihm unterstellten Archäologen noch nach Thors Hammer, der mächtigen Insigne des germanischen Donnergottes suchen. Himmler war ein grosser Fan von okkulten Fantasieartefakten, Kraftorten oder «ufologischen» Deutungen. Unter den Nationalsozialisten war der Reichsführer SS einer von vielen mit Faible für Pseudoarchäologie.

«Sogenannte Pseudoarchäologen beschäftigen sich mit der Interpretation antiker Hinterlassenschaften. Dabei suchen sie nach alternativen Erklärungen für deren Entstehung und Nutzungszweck, die denen der Fachwissenschaftler widersprechen», sagt der deutsche Ägyptologe Stefan Baumann. 2018 veröffentlichte Baumann den Sammelband «Fakten und Fiktionen: Archäologie vs. Pseudowissenschaft».

Beflügelt durch das Internet und die grössere globale Mobilität, die entsprechende Pilgerreisen begünstigen, sind okkulte Deutungen der Vergangenheit präsenter denn je zuvor. Anfang Oktober hat dieser Irrglaube möglicherweise zu einem der grössten, wenn nicht gar dem grössten Anschlag auf antike Kunst in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands geführt. Anfang Oktober, am Tag der Deutschen Einheit, beschädigten Unbekannte mindestens 63 Objekte, darunter Sarkophage, Statuen und antike Gemälde, in vier Einrichtungen auf der Berliner Museumsinsel, indem sie diese mit Speiseöl besprühten. Teilweise dürften die Schäden irreparabel sein. Am selben Tag fanden in der Bundesrepublik diverse Kundgebungen von VerschwörungstheoretikerInnen statt.

Berlin: Hauptstadt des Satanismus

Ein Bekennerschreiben oder verlässliche Hinweise auf die TäterInnen fehlen bisher. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass Personen aus dem Dunstkreis des prominenten rechtsextremen Coronaleugners Attila Hildmann mit dem Angriff in Zusammenhang stehen. Nachweisbar ist, dass Hildmann in den vergangenen Monaten immer wieder dazu aufrief, besonders das Pergamonmuseum und den darin befindlichen, seit längerem wegen Restaurationsarbeiten von der Öffentlichkeit abgeschirmten Pergamonaltar zu zerstören.

Der deutsche Theologe und Religionspublizist Matthias Pöhlmann bezeichnet dies als «geistige Brandstiftung». Hildmann beruft sich auf eine Theorie, die 2020 zwar nicht erfunden, aber mit reichlich Details weiter ausgeschmückt wurde. Demnach sei der Pergamonaltar in Wahrheit der Thron Satans und «das Zentrum der globalen Satanisten und Coronaverbrecher», wie der Koch auf seinem Telegram-Kanal schreibt. «Nachts würden dort Kinderopfer vollzogen, Menschen geopfert und der Teufel verehrt», sagt Pöhlmann. «Diese Erzählungen gliedern sich in die Verschwörung ein, man werde von einer satanistischen Elite kontrolliert, deren neuster perfider Streich die Erfindung einer Pandemie sei.»

Die Geschichte vom Pergamonaltar als Satans Thron ist alt. Dass diese Erzählung gerade jetzt wieder aufkommt, ist gemäss Pöhlmann kein Zufall: «Die Coronapandemie ist eine grosse Krisenerfahrung für die Gesellschaft. Diese Krisenerfahrung erzeugt das starke Bedürfnis nach Kontrollgewinn und Deutung.» Verschwörungen würden Feindbilder benötigen – und der Dualismus von Gott versus Satan, Gut versus Böse biete sich hier als Blaupause an.

Laut der Sozialpsychologin Pia Lamberty basieren die meisten Verschwörungserzählungen im Kern darauf, dass das Böse in irgendeiner Form personifiziert wird. «Auf diese Weise können apokalyptische Weltuntergangsszenarien geschaffen werden, in denen man selbst zum scheinbaren Held oder zur Heldin seiner eigenen Geschichte wird. Wo es ein absolut Böses gibt, wird man selbst zum absolut Guten.» Dass nun Satan für das absolute Böse herhalten muss, sei in einer christlich geprägten Gesellschaft wenig überraschend.

Die VerschwörungstheoretikerInnen stützen sich auf die biblische Stelle aus dem Buch der Offenbarung des Johannes 2,13, wo von einem Schreiben an die Gemeinde Pergamon die Rede ist, sagt Pöhlmann: «Dort steht: ‹Ich weiss, wo du wohnst, da wo der Thron Satans ist.› Damit soll der Pergamonaltar gemeint sein.» Durch die Verlegung des Pergamonaltars nach Berlin vor rund hundert Jahren sei Berlin, so die Verschwörungserzählung, zu einer Hauptstadt des Satanismus geworden.

«Wie bei anderen pseudowissenschaftlichen Theorien scheint hier wieder mal die Bibel zu wörtlich genommen worden zu sein», sagt Ägyptologe Baumann. Tatsächlich sei auf dem Altar den griechischen Göttern, vor allem Zeus, geopfert worden, die wahrscheinlich vom Apostel Johannes mit Dämonen und Teufeln gleichgesetzt wurden.

Druiden und Atlantis

Dass eine Bibelstelle Hunderte von Jahren später wieder Konjunktur hat, zeugt von der Vorstellung, in der Geschichte liege noch etwas anderes verborgen als bloss vergangene Ereignisse: Historisches wird zur Projektionsfläche für die Suche nach tieferer Bedeutung. Zufälle gibt es in einer solchen Wahrnehmung nicht, Verschwörungstheorien aus dem Hier und Jetzt lassen sich nahtlos an die scheinbar untererforschte Vergangenheit anknüpfen.

Atlantissuchende, KraftortpilgerInnen und «Druiden», die sich jedes Jahr um die Sommersonnenwende bei Stonehenge versammeln, um auf der neolithischen Kultstätte einen keltischen Brauch zu feiern, sind Belege für dasselbe Phänomen: die Aneignung historischer und kultureller Artefakte im Geiste einer okkulten, esoterischen oder biblischen Auslegung der Geschichte. So wird ein etwas kantiger Berg in Bosnien kurzerhand zur Pyramide erklärt, bis heute suchen manche nach dem versunkenen Atlantis und Erich von Däniken füllt ganze Buchregale mit Thesen zur «Präastronautik», einer Parawissenschaft, die die Präsenz Ausserirdischer auf der Erde während des Altertums nachweisen will.

Pseudoarchäologische Theorien kreisten meist um ein Weltbild, das vom Glauben an Verschwörungen und Geheimwissen geprägt sei, sagt Baumann: «Historisches Fachwissen oder die nötige Kenntnis von wissenschaftlichen Methoden ist bei den VertreterInnen der Pseudoarchäologie nicht vorhanden.» Der Pseudoarchäologie liegen zudem häufig rassistische Vorannahmen zugrunde: Dass die alten ÄgypterInnen Pyramiden ohne fremde Hilfe bauen konnten, erscheint unwahrscheinlich, dass es den indigenen Völkern Mittel- und Südamerikas gelungen war, Tempel in die Höhe zu ziehen, ohne «Hilfe von oben» zu erhalten: undenkbar.

Wo steckt die Bundeslade?

Die Vorstellung von der westlichen Überlegenheit und der Primitivität vorindustrieller Gesellschaften verzerrt den historischen Blick, mit einer christlichen Sicht auf die Geschichte verhält es sich ähnlich. Biblische Themen haben in der Pseudoarchäologie ohnehin einen prominenten Stand: Die Bundeslade, die Arche Noah oder der Heilige Gral werden seit Jahrhunderten gesucht und immer wieder vermeintlich gefunden, was sich dann aber rasch als Unfug erweist.

Nun wird ein antiker Altar dank einer Bibelstelle zum Thron des Teufels. «Die Bibel wird in der Pseudowissenschaft sehr oft unreflektiert als Referenz benutzt, ohne den historischen und inhaltlichen Kontext zu beachten», sagt Stefan Baumann. Die Gründe hierfür seien vielschichtig: «Ein Aspekt ist sicherlich, dass die Bibel in unserem Kulturkreis die am besten bekannte historische Textsammlung ist, die für viele nach wie vor eine grosse Autorität besitzt.»

Dass Kulturstätten religiösem Fanatismus zum Opfer fallen, wurde der Weltöffentlichkeit besonders durch die Zerstörungswut des IS bekannt, dessen fundamentalistischer Denkweise eine Kulturstätte nach der anderen zum Opfer fiel. Ein weiteres bekanntes Beispiel von religiösem Fanatismus in Bezug auf historische Monumente ist die Sprengung der Buddhastatuen von Bamiyan in Afghanistan durch die Taliban. «Es wäre erschreckend, wenn nun tatsächlich auch hierzulande Objekte in Museen aus ähnlichen Motiven zerstört würden», sagt Baumann.