Von oben herab: I’ll be back!

Nr. 45 –

Stefan Gärtner über temporäre Rücktritte

Man sieht sich ja immer zweimal im Leben, und auch Geschichte ereignet sich stets doppelt, als Tragödie und Farce. Warum soll also der Genfer Skandalstaatsrat Pierre Maudet (ehem. FDP), dem wegen Problemen in seinem Departement Zuständigkeiten entzogen worden waren, nicht zurücktreten – und nach dem Rücktritt wiederum antreten? Als unabhängiger Kandidat, der alle Vorwürfe abstreitet? «Ich werde ein Kandidat für meine eigene Nachfolge sein»: ein begrüssenswerter Schritt und keinesfalls ohne Beispiel, wie ein Blick in die Geschichte zeigt!

Uwe Barschel etwa: Der CDU-Ministerpräsident Schleswig-Holsteins wurde wie Maudet als politisches Wunderkind gehandelt. Zwei Doktortitel, rasanter Aufstieg, jüngster Ministerpräsident der Welt. Dann der tiefe Fall in der Affäre um Intrigen gegen den SPD-Konkurrenten Engholm. Legendär wurde Barschels Pressekonferenz: «… gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holstein und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! –, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.» Trotzdem der Rücktritt – und der sofortige Entschluss, wieder anzutreten, diesmal als Leiche in einem bis heute nicht aufgeklärten Kriminalfall, womöglich sogar unter Geheimdienstbeteiligung. Dass Barschel in einem Genfer (!) Hotelzimmer tot in der Badewanne lag, sollte aus Geschmacksgründen aber nicht überbewertet werden.

Auch Donald Trump war stets der Ansicht, dass es nur einen geeigneten Kandidaten für seine Nachfolge geben könne: ihn. Das Volk solle das letzte Wort haben, nicht das Establishment – und wie tönt, laut srf.ch, Maudet? «Das Genfer Volk solle das letzte Wort haben, nicht der Genfer Regierungsrat. Er bleibe im Amt, bis ein Nachfolger ‹seinen Eid abgelegt› habe», idealerweise er selbst. Zwar sind die Schweizer Waffenschränke nicht ganz so gut gefüllt wie die in den USA, aber das letzte Wort behalten und seine Freiheit gegen die da oben verteidigen, das will das Schweizervolk schon auch!

Noch ein Beispiel: Angela Merkel. Sie trat zwar nie zurück, aber immer wieder an, ununterbrochen seit 1972. Immer wieder war sie Kandidatin für ihre eigene Nachfolge, Insider wollen wissen, sie erwäge bereits die Nachfolge ihres luschigen Nachfolgers. Und dann die Nachfolge wiederum dieser Nachfolge! Irgendwann ist dann «hoffentlich» Jens Spahn in einem Alter, in dem man ihm die CDU anvertrauen kann, auch wenn ihm, anders als Maudet, bislang noch keine von arabischen Prinzen spendierten Luxusreisen nachgewiesen werden konnten. Dass die Vier-Millionen-Villa in Berlin, die Spahn zusammen mit seinem Ehemann erworben hat, wenigstens zur Hälfte aus Steuergeldern bezahlt wird, darauf würde Spahn, falls nötig, sogar sein Ehrenwort geben.

Lachen über Nachfolgefragen kann SVP-Patriarch Blocher, denn wer unter ihm Chef der Partei mit dem Herzen auf dem äusserst rechten Fleck ist, ist ihm immer ganz wurscht gewesen. Dabei wäre er der unabhängigste Kandidat von allen, weil er auf niemanden Rücksicht nehmen muss und überdies gar keine Lust hätte, sich nach Abu Dhabi einladen zu lassen. Die Hitze! Die Araber! Auch ist es ganz undenkbar, dass es unter seiner Regie, wie man es Maudet vorwirft, «zu einer Häufung von Absenzen» kommt, ist doch die ganze SVP eine gehäufte Absenz, ja quasi eine einzige.

Und Ruedi Widmer, das Winterthurer Wunderkind des freisinnigen Grafikdesigns? Hat ein eigenes Modell der Machtsicherung: «Ich trete nach jeder Kolumne zurück, komme allen Vorwürfen zuvor. Mein Nachfolger wird automatisch Stefan Gärtner, der sich die Methode von mir abgeschaut hat. Leider kenne ich keine arabischen Prinzen, sodass meine letzte Luxusreise bloss an die Töss ging, zwischen Reitplatz und Kläranlage Hard. Aber bitte nicht nachfolgen, ich brauche meine Ruhe!»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.