Medientagebuch: Eisberg ahoi!

Nr. 42 –


Hatte die Redaktion geahnt, was sie da anrichten würde? Wie die Bundestagswahl ausgehen würde, die ihr Magazin – so verkündete sie Anfang Jahr – zur Feier des dreissigsten Geburtstages von «Titanic» abhielt? Das Ergebnis war der Redaktion möglicherweise ziemlich wurst, schliesslich geben in der deutschen Politik auch künftig Schnapsnasen den Ton an. Schade nur, dass dann die eigene Partei gar nicht antreten durfte: Der Bundeswahlleiter schloss die «Titanic»-Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (kurz: Die Partei) von der Bundestagswahl aus. Der angekündigte Wahlkampf mit dem einzigen Programmpunkt «Wiederaufbau der Mauer» fiel damit flach. Seis drum – nun muss das Bundesverfassungsgericht über die Nichtzulassung entscheiden. Und wer weiss, vielleicht annulliert das höchste deutsche Gericht ja den Sieg der Schwarz-Gelben.

Seit dreissig Jahren sorgt das «endgültige Satiremagazin», so der Untertitel, für Furore. Im Oktober 1979 von ehemaligen Mitarbeitern des Satireblatts «Pardon» gegründet, hält «Titanic» Kurs: Immer links, immer unverschämt, immer Grenzen auslotend; manchmal über, oft aber unter der Gürtellinie dessen, was in Deutschland als akzeptabler Humor gilt. Der Titel ist Programm: Die Politik arrangiert nur die Stühle auf dem sinkenden Schiff des autoritären Kapitalismus. Diese Erkenntnis halten vor allem jene kaum aus, die sich irgendwie als emanzipiert begreifen, aber weder Marx noch Adorno verstanden haben: dummschwätzende JournalistInnen, hirnlose SozialpolitikerInnen, karrieregeile Frauenbewegte und die geschichtsvergessenen Konservativen sowieso.

Sie alle sind schon drangekommen – in den «Briefen an die Leser», in den bitterbösen Karikaturen, in fingierten Telefonumfragen. Und auf den Titelblättern. Unvergesslich (während einer der vielen Historikerdebatten) ein Bild von Adolf Hitler auf Seite 1, darüber die Worte: «Schrecklicher Verdacht!», darunter die Frage: «War Hitler Antisemit?» Oder: ein Foto des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch mit der Schlagzeile «Ethik-Kommission ratlos: Wo beginnt menschliches Leben?» Bin Laden war natürlich ebenfalls abgebildet – mit dem Spruch «Hoffnung in Deutschland: Kann er [den deutschen Innenminister] Schäuble stoppen?»

Ein Titelbild hätte das Magazin schier in den Ruin getrieben. Es zeigte den früheren SPD-Vorsitzenden Björn Engholm in einer Badewanne, die jener glich, in der sich der ehemalige Ministerpräsident Uwe Barschel, der die Öffentlichkeit belogen hatte, in einem Genfer Hotel tötete. Engholm klagte; der Witz kostete das Magazin knapp 200 000 D-Mark an Entschädigung sowie Gerichts- und Anwaltsgebühren. Danach war Engholm politisch unten durch (Kohl war da schlauer und klagte nie). Über fünfzig Prozesse hat das Magazin (Druckauflage: rund 100 000 Exemplare) bisher durchstehen müssen, über dreissig Mal wurde das Blatt verboten – aber stets erst im Nachhinein, was keinen grossen Schaden anrichtete: Einen guten Witz macht man nur einmal.

Geschützt durch ein Statut, das redaktionelle Unabhängigkeit garantiert, hat sich die «Titanic»-Redaktion nicht nur Die Partei zugelegt. Sie lockte während eines CDU-Spendenskandals mit einem fingierten Anruf (die Stimme am Telefon war die von WOZ-Mitarbeiter Ruedi Widmer) hochrangige Parteichargen nach Luzern, wo angeblich CDU-Schwarzgelder in Millionenhöhe entdeckt worden waren. Sie holte mit einem Bestechungsangebot (Kuckucksuhr! Deutsche Würste!) die Fussball-WM 2006 nach Deutschland (der Deutsche Fussballbund war anfangs höchst empört), marschierte kürzlich in Nazi-Manier in Liechtenstein ein und bot vor ein paar Wochen – ebenfalls fiktiv – die ersten deutschen Kriegsorden seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf Ebay an. Sie waren tags zuvor deutschen Afghanistan-Kämpfern verliehen worden.

Man habe nur den Marktwert des Heldentums testen wollen, hiess es aus der Redaktion, über deren Impressum seit Jahren ein Spruch des verstorbenen Mitbegründers Chlodwig Poth steht: «Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag.» Ein magazinfüllendes Programm, fürwahr. Und zugleich eine Karikatur: Der Originalsatz stammt vom Grossverleger Alex Springer – und der hatte einst seine Blätter stets für ein vereintes Grossdeutschland kämpfen lassen.