Historienserie: Gespaltene Herzen und ein blutendes Auge
Die deutsche Netflix-Produktion «Barbaren» erzählt ästhetisch überzeugend von der antiken Schlacht im Teutoburger Wald. Die Ausstattung und das gesprochene Latein sind überraschend authentisch, der Rest leider weniger.
«Omne ignotum pro magnifico» (Alles Unbekannte erscheint grossartig) – der Ausspruch von Tacitus, dessen «Germania» als die ausführlichste Beschreibung der Varusschlacht (9 n. Chr.) gilt, lässt sich auf vieles anwenden: auf die gegenseitige Wahrnehmung von Kriegsparteien in einer Zeit, in der Informationen noch mit Pferdegeschwindigkeit reisten, oder auf die Bedeutung jener Schlacht, über die man lange kaum Genaues wusste. Das meiste stammt nach wie vor aus der Beschreibung von Tacitus; über den genauen Ort streitet sich die Archäologie immer noch. Fest steht nur, dass die Römer durch einen Guerillaangriff des germanischen Stammes der Cherusker drei ihrer Legionen verloren, was damals ein Achtel des Gesamtheers ausmachte und eine der empfindlichsten Niederlagen in der Geschichte des römischen Imperiums darstellt. Grossartig also auch das Potenzial, dies für die nationalistische Verklärung im 19. und 20. Jahrhundert zu nutzen, als nicht nur deutsche Historiker eifrig nach identitätsstiftenden historischen Momenten suchten.
Antiimperiales Othering
Vom grossartigen Unbekannten getrieben sind wohl auch jene zeitgenössischen Filmemacher, die die Figuren in ihren Historiendramen tote Sprachen sprechen lassen. Wie Mel Gibson, dessen ästhetische Entscheidungen auf moralisch suspektem Fusse stehen, in «The Passion of the Christ» (2004) und «Apocalypto» (2006), oder wie früher Derek Jarman unter gänzlich anderen Vorzeichen in «Sebastiane» (1976). Was aber ändert sich für die Wirkung von Inszenierungen ferner Zeiten, wenn Sprache als weiteres Distanzierungselement fungiert? Und was haben sich die Verantwortlichen der Netflix-Serie «Barbaren» dabei gedacht, die Römer so mustergültig rekonstruiertes Latein sprechen zu lassen, dass es aus dem Mund der (italienischen) Schauspieler wie Muttersprache klingt, die Cherusker hingegen akzentfreies Bühnendeutsch? Zwar ist über die Sprache des Stammes, der im Gebiet zwischen Weser, Elbe und Harz angesiedelt war, wohl zu wenig bekannt, um sie für filmische Dialoge rekonstruieren zu können, und vielleicht wollte man dem Publikum nicht gleich zwei tote Sprachen zumuten. Für die «germanischen» Dialoge haben die ZuschauerInnen zudem die Wahl zwischen mehreren synchronisierten Versionen, das Latein bleibt aber Latein. Als inkonsequent muss sich diese Ungleichbehandlung also bezeichnen lassen oder, etwas wohlwollender vielleicht, als antiimperiales Othering durch Untertitelzwang. Mit wessen Perspektive man sich identifizieren soll, ist jedenfalls eindeutig.
Selbst wenn Arminius, der später inklusive Denkmal zu Hermann, dem «ersten Deutschen», umfabriziert wurde, im Zentrum der nicht allzu historisch verbürgten Serienhandlung steht, lässt sich den deutschen MacherInnen dankenswerterweise nicht vorwerfen, in die Falle des deutschtümelnden Heldenkultes zu laufen. Doch abgesehen von den erwähnten sprachlichen Experimenten, einer hervorragenden Ausstattung und guten SchauspielerInnen kommt «Barbaren» enttäuschend durchschnittlich daher. Da moderne Serien, um Drama herzustellen, offenbar nicht anders können, wird Arminius (Laurence Rupp) Teil einer amourösen Dreierkonstellation und mit einem doppelten Vaterkomplex belegt. Beides hat mutmasslich zum Zweck, seine gespaltene Identität zwischen germanischer Herkunft und römischer Sozialisierung zu illustrieren.
Sie muss zur Schlacht
Zwar orientiert sich «Barbaren» im Umgang mit politischen Konflikten eher an Produktionen wie «Game of Thrones» oder «Vikings» – und weniger an der schwarz-weissen Vereinfachung von «Gladiator» –, aber die Serie schafft es am Ende leider doch nicht ganz, auf Pathos zu verzichten. Gelingt es den früheren Folgen, einen differenzierten Blick auf die Lebensweise, Rituale und Politik der germanischen Stämme zu richten, entgleitet ihr dies insbesondere in den finalen Schlachtszenen, über die ein mit Kriegsrhetorik aufgeladenes Voiceover von Arminius gelegt wird.
Eine ähnlich abwärts verlaufende Entwicklung lässt sich auch bei der Darstellung einer weiteren historisch verbürgten Hauptfigur beobachten: Thusnelda (Jeanne Goursaud) spielt von Anfang an die undankbare Rolle des weiblichen Parts in besagter Dreierkonstellation, die sie buchstäblich zur modellhaften Allegorie degradiert. Illustriert sie am Anfang noch das Dilemma einer imperial bedrängten Gesellschaft, die sich zwischen zum Scheitern verurteilter Selbstbehauptung und Assimilation entscheiden muss, wandelt sich Thusnelda zum Ende hin zur schamanenhaften Kriegspriesterin, die sich zeremoniell ein Auge zerstört, um den Cheruskern den spirituellen Weg zum Sieg zu weisen. So sehen sich die meisten Figuren dem etwas holzschnittartigen Drehbuch ausgesetzt, das in den wenigen sechs Folgen zur grossen Schlacht gelangen muss. Man wünscht der Serie, deren Verlängerung in die zweite Staffel vor kurzem bestätigt wurde, etwas mehr Raum zum Atmen.
«Barbaren», 1. Staffel. Showrunner: Jan Martin Scharf und Arne Nolting, Regie: Barbara Eder. Netflix 2020.