Jim McKay hat Arthouse-Filme und Episoden von gefeierten TV-Serien gedreht. Er erklärt, wieso enge Vorgaben ihn reizen und er das Goldene Zeitalter der Serien für beendet hält. «Ich frage mich, wer all diese Inhalte gucken soll»
Es dürfte nicht viele Regisseure geben, die mit einem kleinen Arthouse-Film wie «En el séptimo día» in Locarno um den Goldenen Leoparden konkurrieren und im selben Jahr Episoden von Mainstreamserien wie «Shades of Blue» mit Jennifer Lopez inszenieren. Doch für den US-Regisseur Jim McKay sah genau so das Jahr 2017 aus. Angefangen hatte er Mitte der neunziger Jahre mit Independent-Filmen wie «Girls Town» oder «Our Song», die am Sundance-Festival gefeiert wurden. Sein Geld verdient McKay aber schon seit langem als Regisseur für Serien wie «Breaking Bad», «The Good Wife», «Treme», «Mr. Robot» oder «Quantico». Wir trafen ihn im New Yorker Café Gitane zum Lunch.
WOZ: Jim McKay, heute ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Kinoregisseur auch fürs Fernsehen arbeitet. Sie begannen damit schon zu einer Zeit, als das sogenannte Goldene Zeitalter der TV-Serien gerade erst am Horizont auftauchte …
Jim McKay: Moment, ich muss Sie da gleich unterbrechen. In meinen Augen begann dieses Goldene Zeitalter sehr viel früher, als es heute oft dargestellt wird. Und es endete vor allem auch deutlich früher.
Ach ja? Das müssen Sie erklären.
Meinen ersten Film, «Girls Town», drehte ich 1995, und eigentlich war das bereits die Zeit, als das Fernsehen sich von einem reinen Handwerk weg entwickelte. Serien wie «Homicide» oder «Oz – Hölle hinter Gittern» waren da die Vorreiter – düstere, ultrarealistische Geschichten. Das waren die ersten TV-Produktionen, die bewusst Regisseure und Kameraleute aus der New Yorker Indieszene engagierten statt immer nur die gleichen TV-Crews. Dann kam die nächste Welle, mit bahnbrechenden Serien wie «The Sopranos», «The Wire», «Deadwood» oder «In Treatment». Als ich nach «Girls Town» erstmals bei einem Agenten unterkam, sagte ich zu ihm: Ich will für HBO arbeiten.
Der Kabelsender HBO avancierte damals zum prägenden Serienproduzenten. Fürchteten Sie damals nicht, dass sich das wie ein Ausverkauf anfühlen würde?
Nein, denn natürlich ging es bei diesem Wunsch ja auch darum, endlich mal Geld zu verdienen. Das bisschen, was ich hatte, verdankte ich ein paar Musikvideos, aber mit meinen Kinofilmen verdiente ich keines. Im Gegenteil, in meine ersten beiden Filme habe ich noch Erspartes von mir gesteckt. Deswegen freute ich mich einfach darauf, mal von der Regie leben zu können. Und ich wollte ja auch nicht wahllos zum Fernsehen. Es ging wirklich konkret um diese künstlerisch anspruchsvollen Geschichten, die im Pay-TV erzählt wurden.
Ihr erster Job dieser Art war dann – nach zwei Filmen für HBO – 2006 eine Folge der Serie «The Wire». Gingen Sie damals noch davon aus, dass Ihr Abstecher zum Fernsehen von kurzer Dauer sein würde?
Ich stellte mir vor, dass ich vielleicht zwei oder drei Episoden pro Jahr inszeniere, aber nebenbei weitere Drehbücher schreibe und alle zwei Jahre einen neuen Kinofilm drehe. Aber ehe ich michs versah, waren zehn Jahre um (lacht).
Obwohl die ganz grosse Zeit der Serien, wie Sie sagten, dann schnell wieder vorbei war?
Ich habe die letzten Züge ja noch mitbekommen, als ich Episoden von «The Wire» oder «In Treatment» inszenierte. Aber was danach kam, hatte nicht mehr die gleiche Wirkung. Nicht dass «Mad Men», «Weeds» oder «Homeland» schlechtes Fernsehen gewesen wären. Doch die Aufregung und das Neue waren weg, plötzlich waren Serien das, was man einfach machen musste. Da hatte man oft schon in der zweiten, spätestens aber ab der dritten Staffel das Gefühl, es würde vor allem deswegen weitergehen, weil Verträge erfüllt werden mussten, nicht weil jemand zwingend etwas zu erzählen hatte. «Breaking Bad» war eine löbliche Ausnahme, auch wenn ich persönlich «Better Call Saul» für noch spannender und riskanter halte.
Gibt es seither gar keine Serien mehr, die Sie begeistern konnten?
Interessanter wurde es zuletzt wieder mit Serien, die aus kleinen Ideen heraus von einzelnen Autorinnen oder Autoren vorangetrieben wurden, so wie Phoebe Waller-Bridge mit «Fleabag» oder auch «Rectify» von Ray McKinnon. Als Donald Glover im Zuge der zweiten Staffel von «Atlanta» in einem Interview sagte, er habe noch keinen einzigen Gedanken an eine dritte Staffel verschwendet, hat sein Sender vermutlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber ich fand das super, weil es eben die Antithese zu dieser Regel ist, sich immer zwingend von Staffel zu Staffel und Cliffhanger zu Cliffhanger zu hangeln.
Bleiben wir noch ein bisschen bei Ihrer Karriere. Anders als bei Ihren Kinofilmen mussten Sie beim Fernsehen plötzlich anderer Leute Visionen umsetzen. War das nicht eine enorme Umstellung?
Filmemachen ist für mich eine Kunst, während das Inszenieren fürs Fernsehen in meinen Augen zwar künstlerisch sein kann, aber letztlich ein Handwerk ist. Schon deshalb aber war die Arbeit an den Serien für mich Gold wert, denn ich hatte nie eine Filmhochschule besucht. Von Dingen wie Blickachsenanschluss hatte ich, ehrlich gesagt, bei meinen Filmen noch nicht die geringste Ahnung. Solche Dinge habe ich erst beim Fernsehen gelernt. Aber klar, plötzlich arbeitete ich nicht mehr für mich selbst, sondern für andere. Darüber machte ich mir keine Illusionen.
Das sagt sich so leicht …
Natürlich war es ein Lernprozess, mich selbst quasi hintanzustellen und mein Herz nicht an Dinge zu hängen, auf die ich am Ende keinen Einfluss habe. Gleichzeitig steht man vor der Gratwanderung, nicht so viel Distanz aufzubauen, dass man desinteressiert wird und komplett auf Autopilot schaltet.
Hat man überhaupt Gestaltungsmöglichkeiten?
Das hängt von der jeweiligen Serie und den Verantwortlichen ab, aber viel natürlich nicht. Es gibt etliche Kolleginnen und Kollegen, die mit aller Macht dafür kämpfen, besonders ungewöhnliche Einstellungen drehen zu dürfen, und ich bewundere ihre Energie. Aber meine Erfahrung besagt: Dass am Ende wirklich mal etwas in der finalen Fassung landet, was künstlerisch aus dem gewohnten Rahmen der Serie fällt, kommt in drei von hundert Fällen vor. Trotzdem versuche ich natürlich auch, nicht immer nur ein Schema zu bedienen. Und bis heute bin ich manchmal frustriert, wenn ich etwas drehe, auf das ich besonders stolz bin – und am Ende landet es nicht in der fertigen Version der Episode. Bei «Rectify» zum Beispiel gab es zwei Szenen, bei denen es mir das Herz brach, dass sie rausflogen. Ich dachte, hier könnte etwas Ungewöhnlicheres mal passend sein, aber der Showrunner hatte am Ende andere Prioritäten. Das ist sein gutes Recht, aber man ärgert sich auch nach jahrelanger Erfahrung noch.
Aber konnten Sie mehr experimentieren bei einer Serie wie «Better Call Saul», verglichen mit Massenware wie «Law & Order», von der es schon achtzehn Staffeln gab, bevor Sie 2008 erstmals eine Folge inszenierten?
Nicht per se, und beide haben ihre Vorteile. Natürlich ist es in gewisser Weise befriedigender, an einer Show mit komplexen Drehbüchern zu arbeiten als an einer Polizeiserie, in der jede Woche einfach ein neuer Fall gelöst wird. «Law & Order» funktioniert nach bestimmten Regeln, die man bei einer einzelnen Folge nicht einfach auf den Kopf stellen kann. Dass eine atemberaubende 360-Grad-Kamerafahrt da nichts zu suchen hat, weiss ich selber. Gleichzeitig sind es gerade diese Serien, die ein besonders hohes Budget haben und dir als Regisseur besonderes Vertrauen schenken. Konkret: Solange alle Aufnahmen im Kasten sind, die von dir erwartet werden, kannst du auch ein paar Dinge ausprobieren. Nur wird das Publikum diese am Ende mit Sicherheit nicht zu sehen bekommen.
Die Liste der Serien, für die Sie gearbeitet haben, reicht von «The Wire» und «Gossip Girl» bis zu «The Americans» und «The Good Wife». Ein roter Faden ist da nicht wirklich zu erkennen. Haben Sie trotzdem so etwas wie eine Spezialität?
Ich bin in erster Linie ein Performanceregisseur, also jemand, der besonders gut mit Schauspielern und Schauspielerinnen arbeitet. Das verdankt sich sicherlich meinen Erfahrungen beim Spielfilm. Doch wichtiger als das, was man macht, ist vielleicht das, was man nicht macht. Das ist in meinem Fall alles mit zu vielen Spezialeffekten. Auch für Sitcoms und Comedy werde ich nicht engagiert. Was schade ist, denn an so etwas wie «30 Rock» hätte ich wahnsinnig gerne mal gearbeitet, und den Machern von «High Maintenance» habe ich sogar Briefe geschrieben, um mich für einen Job ins Spiel zu bringen. Aber wer noch nie Comedy gemacht hat, kommt bei solchen Shows praktisch nicht zum Zug.
Haben Sie Sachen abgelehnt, die Sie heute bedauern?
«Game of Thrones» zum Beispiel hätte ich im Rückblick doch ganz gerne mal gemacht, trotz der Spezialeffekte. Aber es ist auch nie zu spät für Neues. Erst in diesem Jahr habe ich für die Serie «Evil» meinen ersten Exorzismus gedreht und jemanden durch die Luft fliegen lassen.
Um doch noch einmal ganz naiv zu fragen: Kann man sich als TV-Regisseur eine eigene Handschrift bewahren? Wenn ich zum Beispiel aufmerksam die zweite Staffel von «The Good Fight» schaue, kann ich dann erkennen, welche beiden Folgen von Jim McKay inszeniert wurden?
Meine ehrliche Antwort darauf ist: Ich hoffe, das können Sie nicht. Weil es nicht zum Konzept einer solchen Serie gehört, dass jede Episode in einem anderen Stil gefilmt ist. Und weil es mir auch nicht unbedingt zum Vorteil gereichen würde, wenn Sie meine Arbeit erkennen. Wenn ich zum Beispiel an die dritte Staffel von «The Good Fight» denke, die in diesem Jahr zu sehen war: Da gab es schon ein paar Folgen, die besser waren als die, die ich gedreht habe. Gerade von ein paar Kolleginnen und Kollegen, die zum ersten Mal hinter der Kamera sassen. Das war ein netter Tritt in den Arsch für mich.
Mit «En el séptimo día» drehten Sie dann doch wieder mal einen Spielfilm. Ist Ihr Ziel, die Serien wieder sein zu lassen?
Nein, nein, das ginge schon finanziell nicht. Über die Jahre habe ich eingesehen, dass ich nicht der Mann für grosse Hollywoodproduktionen bin. Für «En el séptimo día» bekam ich die besten Kritiken meiner gesamten Karriere, aber als ich mit denen unterm Arm in Los Angeles eine Woche lang ein Meeting nach dem nächsten hatte, zog das nicht ein einziges potenzielles Projekt nach sich. Ich muss jetzt also herausfinden, wie ich weiter meine kleinen Filme drehen kann, nur eben vielleicht etwas öfter und ohne dass ich dabei auch noch privates Geld verliere.
Eine andere Möglichkeit wäre es, Sie würden Ihre eigene Serie kreieren und damit selbst zum Showrunner …
Ich habe allerdings aus nächster Nähe gesehen, wie unschön dieser Job sein kann (lacht). Einmal hatte ich schon eine Idee für eine Serie, eine Geschichte über eine Kommune. Aber womöglich hatte ich die Sache nicht weit genug durchdacht, jedenfalls konnte ich damit nirgends landen. Dann wurde mir auch vorgeschlagen, «En el séptimo día» zu einer Serie zu entwickeln, aber das fand wiederum ich eine schlechte Idee. Und ich weiss auch wirklich nicht, wer eine Serie über eine Fussballmannschaft aus illegalen Einwanderern finanzieren würde.
Allzu grosse Ambitionen haben Sie diesbezüglich also nicht?
Nein, denn vermutlich liebe ich meinen Alltag als Freiberuflicher zu sehr. Zudem ist Showrunner einfach ein Knochenjob. So viele Faktoren können dein Leben da zum Albtraum machen: die Bosse beim Sender, die Zusammensetzung des Writers’ Room, das Budget, ein Hauptdarsteller, der sich als Arschloch entpuppt. Bei einem Film kannst du dich in solchen Fällen immer mit dem Gedanken retten, dass in ein paar Wochen alles vorbei ist. Aber was, wenn bei einer Serie deine Probleme in Folge zwei auftreten – und dein Vertrag über drei Staffeln läuft?
Auch wenn Sie selbst noch für keinen Streamingriesen gearbeitet haben: Hat der Aufstieg von Netflix, Disney+ und Konsorten die Lage für Serienregisseure gross verändert?
Ich persönlich habe in meinem Alltag tatsächlich keine Veränderungen erlebt, aber ich war die letzten Jahre auch in einer sehr privilegierten Situation. Insgesamt kann man aber feststellen, dass sich endlich etwas in Sachen Diversität getan hat. Auch TV-Regisseure waren in der Regel immer weiss, männlich und heterosexuell. Dass heute auch andere Kolleginnen und Kollegen mehr Chancen auf Jobs bekommen, liegt natürlich auch daran, dass insgesamt viel mehr Serien gedreht werden. Das ist grossartig und wurde höchste Zeit. Gleichzeitig kann ich mich der Frage nicht erwehren, wer all diese Inhalte eigentlich noch gucken soll.
Glauben Sie, dass die Streaming- und Serienblase demnächst platzen könnte?
Netflix, Amazon und Co. gehen vermutlich nach dem Motto vor: Es ist nicht schlimm, wenn wir erst einmal Geld verlieren, solange die Leute süchtig werden nach unserem Produkt. Danach kann man immer noch Kosten und Qualität runterschrauben. Ich weiss nur, dass die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt besser geworden sind. Und auf den Strassen New Yorks stehen die TV-Crews einander manchmal schon im Weg, so viel wird gedreht. In vielen Städten gibt es nicht genug Studios, in denen gedreht werden kann. Dadurch werden notdürftig irgendwelche Hallen und leeren Gebäude zweckentfremdet, die gar nicht auf die Bedürfnisse eines Drehs ausgerichtet sind. Ich fürchte, wir müssen damit rechnen, dass es künftig mehr Unfälle an Sets geben wird.
Master Class mit Jim McKay an den Solothurner Filmtagen: Mo, 25. Januar 2020, 15 Uhr, Uferbau.