Krise in Peru: Der Sturz des kleineren Übels
Damit hatten Perus Parlamentsabgeordnete nicht gerechnet: Als sie am 9. November Präsident Martín Vizcarra wegen «moralischer Unfähigkeit» des Amtes enthoben, brachen Massenproteste los. Der ins höchste Staatsamt nachgerückte neoliberale Parlamentspräsident Manuel Merino schickte die Polizei auf die Strassen, mindestens zwei Menschen wurden getötet und Dutzende verletzt. Die Proteste aber weiteten sich aus. Nach fünf Tagen trat Merino entnervt zurück. Jetzt soll der sozialliberale Francisco Sagasti die Lage beruhigen.
Die Menschen gingen nicht für Vizcarra auf die Strasse. Der war zunächst farbloser Vizepräsident und rückte für den neoliberalen Pedro Paolo Kuczynski nach, als dieser im März 2018 wegen seiner Verwicklung in den Korruptionsskandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht zurückgetreten war. Vizcarra war glücklos. Er ging in der Coronapandemie hilflos unter; in Peru mit fast 3000 Infizierten pro 100 000 EinwohnerInnen ist die Lage noch dramatischer als in Brasilien.
Vizcarra war keine Lichtgestalt, aber das kleinere Übel. Die Mehrheit des Parlaments begründete seinen Sturz zwar mit sehr vagen Korruptionsvorwürfen, ist aber selbst viel schlimmer: Gegen mehr als die Hälfte der Abgeordneten wird wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt, einer muss sich gar wegen Mord verantworten. Die Menschen gingen gegen diese politische Klasse auf die Strasse.
Im kommenden April finden turnusgemäss Wahlen statt, und eine Alternative ist nicht in Sicht. Die 2016 neu gegründete linke Frente Amplio wurde zwar vor vier Jahren überraschend zweitstärkste Kraft im Parlament, sie hat sich seither aber nicht konsolidiert, sondern gespalten. So kann die Ablehnung der alten politischen Klasse auch windigen PopulistInnen in die Hände spielen. Peru hat damit Erfahrung: 1990 kam Alberto Fujimori als solcher an die Macht und wurde zum Diktator. Man wünscht, das Land habe daraus gelernt.