Flashdance in Vegas Unterschätzt (2): Was passiert, wenn lüsterne Herren feministischen Trash machen? «Showgirls»!
Draussen schillert türkisblau der Pool. Die Frau geht schon mal vor, hinter ihr drückt der Herr des Penthouse noch einen Knopf fürs Ambiente. Hinter dem Pool gehen jetzt die Lichter an, in Form von vier neongrün leuchtenden Dekopalmen. Willkommen in Las Vegas, willkommen in der bescheuertsten Sexszene der Filmgeschichte.
Paul Verhoevens «Showgirls» (1995) hat einen miserablen Ruf. Im Kino ein Flop, die Kritiken vernichtend, dazu die zweifelhafte Ehre von acht Goldenen Himbeeren. Nur zwei Filme haben bei den Negativ-Oscars jemals mehr Preise bekommen als dieses falsch glitzernde böse Märchen über eine Tänzerin, die wild entschlossen nach Las Vegas kommt, um ihren Traum vom Showbusiness in die Tat umzusetzen – nur halbwegs talentiert zwar, aber ehrgeizig ist sie für zwei, und dabei so hartnäckig wie rücksichtslos. Wobei Elizabeth Berkley in der Hauptrolle noch in den beiläufigsten Szenen so grotesk übersteuert aufspielt, dass man sich andauernd fragt: Ist das einfach nur schlecht, oder macht die das extra?
Andererseits hat es immer wieder Bemühungen gegeben, den Film zu rehabilitieren. Ein prominenter Fan der ersten Stunde war der französische Regisseur Jacques Rivette, der sich schon 1998 in der Zeitschrift «Les Inrockuptibles» zu der Aussage verstieg, «Showgirls» sei «einer der grössten amerikanischen Filme der letzten Jahre». Nun ist das natürlich mit Vorsicht zu geniessen, wenn ein älterer Herr, der Emmanuelle Béart in «La Belle Noiseuse» auch am liebsten ganz ohne Kleider filmte, von einem Film schwärmt, in dem es von barbusigen jungen Frauen nur so wimmelt. Zumal das Signalement ja auch auf Regisseur Verhoeven und seinen Drehbuchautor Joe Eszterhas zutrifft: zwei lüsterne Herren im sogenannt besten Alter, die zusammen schon «Basic Instinct» (1992) auf dem Gewissen haben.
Gnadenlos zielstrebig
Doch «Showgirls» ist auch etwas, was es im damaligen Hollywood-Mainstream praktisch nicht gab: die Ermächtigungsgeschichte einer Frau, die sich bis zum Schluss durch nichts und niemanden ausbremsen lässt. Zwar hatten wir vier Jahre davor schon Thelma und Louise im gleichnamigen Film von Ridley Scott, zwei weibliche Outlaws, die die gewaltsame Ordnung der Männer buchstäblich hinter sich liessen – aber die konnten ihre selbstbestimmte Sisterhood zuletzt auch nur im gemeinsamen Freitod besiegeln. Nomi Malone dagegen, die Tänzerin in «Showgirls», ist über ein solches Opfer erhaben. Und spätestens dort, wo sie die Vergewaltigung ihrer afroamerikanischen Freundin durch einen Rockstar rächt, weist sie in ihrer gnadenlosen Zielstrebigkeit voraus auf eine andere feministische Ikone des neueren Hollywood-Kinos: die blonde Rachebraut in Quentin Tarantinos «Kill Bill».
Geschlechterpolitisch bereitet «Showgirls» trotzdem einiges Kopfzerbrechen. Als der Unterhaltungschef des Casinos Nomi zur zweiten Haupttänzerin befördert, protestiert der Regisseur der Show entnervt: «Das ist doch Bullshit! Es geht nur um deinen Schwanz.» Ist das Selbstironie? Auf «Showgirls» und seine Macher trifft das ja in gewisser Weise genauso zu. Der Film bedient platteste Altherrenfantasien, aber zugleich ist er auf eine Heldin zentriert, die als feministische Identifikationsfigur durchgeht. Den Bechdel-Test zur Darstellung von Frauenfiguren besteht «Showgirls» jedenfalls mit Bravour – aber darin, wie weibliche Freundschaften dargestellt werden oder Rivalitäten als Zickenkrieg, ist der Film lachhaft bis misogyn.
Zu den frühen Fürsprecherinnen des Films zählt allerdings auch die feministische Filmwissenschaftlerin Linda Williams, bekannt geworden mit ihrer Studie «Hard Core» (1989) über Macht und Lust im pornografischen Film. Was sie bei «Showgirls» herausstreicht, sind etwa die konsequent unscharfen Trennlinien zwischen Tanzen und Ficken: «Immer wenn Nomi tanzt, scheint es, als habe sie Sex, und wenn sie Sex hat, scheint es, als tanze sie.» Auch bei der eingangs erwähnten Sexszene im Pool ist das nicht anders, wenn Nomi ihren Körper so entfesselt schüttelt, dass es eher wirkt wie Wassergymnastik.
Falsch wie Las Vegas
Was seine Körperpolitik angeht, ist «Showgirls» also überaus konsequent. Der Film stellt die kapitalistische Ausbeutung des weiblichen Körpers so drastisch aus, wie er sich auch hemmungslos daran ergötzt. Insofern funktioniert «Showgirls» ganz ähnlich wie Paul Verhoevens folgender Film «Starship Troopers» (1997). Darin überzeichnete er den patriotischen Militarismus des Hollywood-Actionkinos schamlos zur faschistischen Utopie. Bei «Starship Troopers» wurde ihm solche plakative Überaffirmation als Satire ausgelegt, bei «Showgirls» solls nur peinliches Unvermögen gewesen sein.
So oder so darf man Verhoeven beim Wort nehmen, wenn er sagt, dass «Showgirls» der einzige realistische Film sei, den er je in den USA gedreht habe. Und Jacques Rivette hat ebenso recht, wenn er sagt, «Showgirls» sei der wahrhaftigste Film über Las Vegas. Auch wenn das kein sehr origineller Befund über die Casinostadt sein mag, so ist doch alles an diesem Film genau so vulgär und falsch und geschmacklos wie die Stadt, in der er spielt. Und auch wenn er kein bisschen subtil ist, so zeigt der Film doch ein Gespür für den Klassismus, der selbst hier noch fortwirkt, im Mekka des Glücksspiels, wo es angeblich jede und jeder zu Reichtum bringen kann. Etwa, als Nomi sich endlich ein teures Kleid leisten kann und dabei ihre proletarische Herkunft verrät, weil sie «Versace» falsch ausspricht.
Inzwischen fragt sich, ob der Film noch unterschätzt ist oder ob er bereits überschätzt wird. So zeichnet der Dokumentarfilm «You Don’t Nomi» (2019) nach, wie «Showgirls» mit der Zeit zum Kultfilm avancierte, samt einschlägigen Happenings mit kostümierten Fans, die die denkwürdigsten Szenen mitspielen. Es gibt sogar einen Gedichtband, in dem der Lyriker Jeffery Conway den ganzen Film in Versen nacherzählt. Die umfassendste Ehrenrettung stammt jedoch vom Filmkritiker Adam Nayman, der ein schlaues kleines Buch über «Showgirls» geschrieben hat: «It Doesn’t Suck» (2014). Als erste Gewährsfrau zitiert er darin die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve, die in ihren Film «Eden» (2014) eine kleine Hommage eingebaut hat. Im trauten Kreis wird darin über «Showgirls» gestritten: Müll oder Meisterwerk? Naymans These in seinem Buch: Der Film ist beides zugleich.
Nicht den Hauch einer Satire wollte der Kritiker des «New Yorker» seinerzeit in «Showgirls» entdeckt haben. Aber wer auf einen Hauch wartet, verpasst halt, wenn es knallt.
«Showgirls» wie auch den Dokumentarfilm «You Don’t Nomi» gibts auf DVD und bei diversen Streaminganbietern. Das Buch «It Doesn’t Suck» von Adam Nayman ist im kanadischen Verlag ECW Press in der Reihe «Pop Classics» erschienen.
Unterschätzt
In dieser Rubrik würdigen wir Filme, die zu Unrecht vergessen gingen oder nicht die Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienen. In der ersten Folge ging es um «Das Höllentor von Zürich» von Cyril Oberholzer und Lara Stoll («wobei» 1/20 ).