Ein Traum der Welt: Gespenstische Reden
Annette Hug über eine Pressekonferenz von Quicklebendigen
Auf einer Rangliste der PR-Desaster müsste folgende Aktion weit vorne stehen: Die philippinische Armee postete im Januar eine Liste mit Namen. Das seien ehemalige StudentInnen der öffentlichen University of the Philippines (UP), die sich der kommunistischen Guerilla New People’s Army (NPA) angeschlossen hätten, dann gefangen genommen und getötet worden seien.
Wenige Tage später zeigten sich über zwanzig der angeblich toten RebellInnen an einer Onlinepressekonferenz. Arrivierte Damen und Herren sagten in ihre Laptopkameras: «Ich kann Ihnen versichern, dass ich noch lebe. Dass ich nie in Gefangenschaft war und auch nichts mit der NPA zu tun hatte.» In kleinen Kacheln waren der Expräsident der öffentlichen Krankenkasse, die Direktorin einer Organisation für soziales Unternehmertum und ein langjähriger Korrespondent der «Financial Times» zu sehen. Viele lachten bei ihren Aussagen, um dann in deutlich ernsterem Tonfall auf die Gefahren hinzuweisen, die mit einer Verleumdung durch die Armee einhergehen.
Im vergangenen Jahr verabschiedete die Regierung von Rodrigo Duterte ein neues Antiterrorgesetz, das die Inhaftierung auf reinen Verdacht hin erlaubt. Gleichzeitig hat sich durch die polizeilichen Aktionen im sogenannten Krieg gegen Drogen Straffreiheit für bestimmte Mörder etabliert. Sie gilt jetzt auch für das Erschiessen von wirklichen und angeblichen KommunistInnen. Auf sozialen Medien als rot etikettiert zu werden, ist lebensgefährlich.
Der Wirtschaftsjournalist vermutete an der Pressekonferenz, da sei wohl einer in einem Armeebüro unter Druck gewesen, ganz schnell Namen zu produzieren. Und irgendwo fand er eine Liste mit Vorstandsmitgliedern von StudentInnenorganisationen aus den achtziger Jahren.
Der Armeespitze war das offenbar peinlich. Inzwischen hat sie die Liste von offiziellen Seiten entfernt und sich bei den Aufgelisteten entschuldigt. Was nichts daran ändert, dass die Namen auf inoffiziellen Seiten weiter kursieren. Denn die Regierung intensiviert ihren Kampf gegen den Kommunismus: Sie hat ein Abkommen gekündigt, das seit dem Ende der Marcos-Diktatur die UP-Gelände im ganzen Land als demilitarisierte Zonen festgeschrieben hat. Weder Militäreinheiten noch die nationale Polizei durften ohne Absprache mit der Universitätsleitung auf einem Campus tätig werden.
Die Liste der Getöteten sollte nun den Vorwurf beweisen, dass die University of the Philippines eine Brutstätte linker RebellInnen sei. Dass diese Vorwürfe von PolitikerInnen vorgebracht werden, die oft ebenda studiert haben, macht sie nicht glaubwürdiger. Etwas hilflos wirkt auch der Versuch, den studentischen Wanderverein UP Mountaineers als paramilitärische Schulungstruppe der NPA zu brandmarken. Diesen Verein habe ich aus den neunziger Jahren als eine Gruppe von naturbegeisterten Freaks in Erinnerung. Die richtig linken Studierenden bezichtigten sie des romantischen Eskapismus. Heute sind sie Trendsetter der Outdoorwelle.
Es gab eine Zeit, da hat die philippinische Armee eine Vogelschutzexpedition der Mountaineers als vermeintliche Guerillas beschossen. Inzwischen müssten sich Soldaten an teuer gekleidete BikerInnen gewöhnt haben. Es könnte gut sein, dass sie im Kampf um Deutungshoheit gegen Wandervögel verlieren.
Annette Hug ist Autorin in Zürich. Sie hat auf einem UP-Campus studiert und liest mit Schrecken, was Human Rights Watch im Jahresbericht 2020 über die deutliche Zunahme von Erschiessungen auf den Philippinen festhält.