Von oben herab: Masken, Masken

Nr. 5 –

Stefan Gärtner über schimmligen Schutz

«Ohne Masken / wolln wir uns begegnen», sang der zuletzt überm Zürichsee wohnende Udo Jürgens vor vielen, vielen Jahren, als ansteckend zuvörderst gute Laune oder Gähnen war, je nachdem, wie man zu Udo Jürgens stand. Udo Jürgens ist längst tot, und wer leben will, der begegne sich zz. besser mit Maske als ohne.

Was von allen gebraucht wird, aber nicht für alle da ist, wird teuer. Dies ist eines der Wunder der Marktwirtschaft, gegen das man spätestens dann nichts haben soll, wenn man das, was alle brauchen, aber nicht für alle da ist, anbieten kann. 700 000 gefälschte Masken hat die Armeeapotheke im Frühjahr 2020 von einer Firma namens Emix erworben, «die nach ihren Masken-Deals von Zürich in die Steueroase Zug umgezogen ist» («Tages-Anzeiger») und deren Eigner, u. a. zwei Jungunternehmer von der SVP, «ihren neuen Reichtum postwendend in einen millionenteuren Ferrari und weitere Luxusautos steckten» (ebd.). Die Masken entsprachen zwar nicht dem Standard und sollen teils sogar verschimmelt gewesen sein, aber wer mit dem Ferrari nach Zug fahren will, muss noch dann gewisse Abstriche machen, wenn andere dafür einen Abstrich extra machen müssen, wenn das gesundheitsgefährdende Wortspiel erlaubt ist.

Der bundesrätliche Beschaffungskoordinator zum «Blick»: «Die Verkäufer sind zurzeit in der Lage, die Marktbedingungen zu diktieren.» Weshalb die Armee 5,4 Millionen Masken gelagert hat, die nicht den Bestimmungen genügen. Das Wunder der Marktwirtschaft, zweiter Teil, aber die freiheitliche Ordnung ist ja deswegen so funktionstüchtig, weil sie uns zwingt, aus den Malaisen, ob nun selbstgeschaffen oder nicht, auch wieder herauszufinden. Und also soll im Sommer geprüft worden sein, ob sich die «Schrottmasken» («Blick») nicht in Afrika verklopfen liessen, zwar unter Einkaufspreis, doch immerhin, denn ein kleiner Schaden ist kleiner als ein grosser Schaden und eine verschimmelte Schrottmaske allemal besser als überhaupt kein Gesichtsschutz; wie ein schlecht bezahlter Höllenjob, darauf hat der Wirtschaftsfachmann Hans-Olaf Henkel vor Jahrzehnten schon hingewiesen, viel besser ist als gar keiner. Es ist überdies Usus, im Globalen Süden abzukippen, was hier niemand mehr haben will, ob nun Elektroschrott, Plastikmüll oder Hühnchenreste; warum dann ausgerechnet Masken den Weg alles Westlichen nicht finden sollen, bei denen man nur den Schimmel abmachen oder zwei übereinander tragen muss, sollen uns die Damen und Herren Empörten bitte erklären!

In Wilhelm Raabes Roman «Stopfkuchen» (1891) kehrt der Erzähler aus Südafrika, wo er als Farmer, wie man so sagt, sein Glück gemacht hat, zu Besuch in seine niederdeutsche Heimat zurück, und im Gespräch mit der Hauptfigur, dick und rund und seit Jugendtagen Stopfkuchen genannt, ist ganz selbstverständlich und immer wieder von «Kaffern» die Rede, ja sogar (und sozusagen freundlich) vom «exotischen, heidnischen Niggerpack». Als Höhepunkt und Ende des bürgerlichen deutschen Realismus lobt der hintere Buchdeckel den Roman, wobei diese Art von Realismus in 130 Jahren ganz dieselbe geblieben ist, ob nun in Deutschland oder der Schweiz, wo man nach wie vor sein Glück machen kann, wenns einen nicht stört, wer dann Pech gehabt hat. Es heisst zwar stets, die Welt werde immer komplizierter, aber vielleicht stimmt das gar nicht, wenn man, will man sie erklären, weder Marx noch Adorno lesen muss, sondern bloss Udo Jürgens hören: «Ja, die Erbärmlichkeit der Heuchelei / Zählt viel in einer Welt / Die auf Fassaden baut / Das ganze Leben wie ein Maskentanz / Auf Eis, das niemals taut.»

In Grönland und am Südpol taut es allerdings, doch der Maskentanz geht weiter; und dass, wenn diese Ordnung mal ins Schwimmen geriete, sich vielleicht wieder durchatmen liesse, sei als exotische Hoffnung mal ausgesprochen.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Gegendarstellung

EMIX Trading nimmt zum Beitrag der WOZ «Masken, Masken» vom 4. Februar 2021 wie folgt Stellung: Die Behauptung, dass die von der Emix Trading erworbenen Masken gefälscht und unbrauchbar seien bzw. den Standards nicht entsprochen hätten, ist falsch.
EMIX Trading AG, Januar 2021