Ursula Rodel (1945–2021): Avantgarde für selbstbewusste Frauen

Nr. 12 –

Ursula Rodel wurde vom Glamour Girl im besetzten Haus zur Modeschöpferin mit feministischem Anspruch. Dabei ging es ihr nie nur darum, die zwinglianische Arbeitswelt elegant zu kostümieren.

Mode für den Alltag, aber mit der Qualität der ­Haute Couture: Ursula Rodel, 2009 in ihrem Atelier im Zürcher Kreis 4. Foto: Ruth Erdt

Der Tod von Ursula Rodel kam nicht wirklich überraschend. Schon vor sechs Jahren, als ich für das Buch «Female Chic» in ihrem winzigen Atelier im Kreis 4 ein Gespräch mit ihr führte, erschien sie mir zerbrechlich, trotz der tiefen Stimme und des heiseren Lachens. Aufs Alter hin hatte sich die Androgynität ihrer Gesichtszüge verstärkt, und wenn sie redete, besassen ihre Gestik und ihre Mimik eine Exzentrik, die mich an Joan Didion erinnerte. Wie diese war auch Ursula Rodel ein körperlich leidendes, delikates Wesen mit der Ausstrahlung einer unkorrumpierbaren Perfektionistin.

Als Modedesignerin wurde sie in den siebziger Jahren selbst ein Star. Sie verkehrte freundschaftlich mit Catherine Deneuve, entwarf Kostüme für Federico Fellini und blieb doch zeitlebens ein scheuer Mensch. «Sie tat nie wichtig», so Sissi Zoebeli, ihre Freundin und Mitbegründerin des Modelabels Thema Selection. Zoebeli und Rodel hatten sich um 1970 in den Villen an der Venedigstrasse kennengelernt, einem Studentenwohnheim der ETH, das später zum Schauplatz der ersten Hausbesetzung in Zürich wurde. Die beiden waren die Glamour Girls dieser politisch aktiven Szene.

Frivole Coolness

1972 eröffneten Sissi und Ursula, die als Styleberaterin im Studio des neu eröffneten Globus arbeitete, gemeinsam mit Katharina Bebié den ersten Laden von Thema Selection an der Weiten Gasse. Die corbusierhafte Ausstattung stammte vom Architekten Peter Erni, es gab einen feuerroten Betongussboden, dazu einen grünen Linoleumtisch und einen riesigen Philodendron und gelbe Gestelle, die so aussahen, dass Sissi Zoebeli später immer gefragt wurde, ob der Laden eine chemische Reinigung sei.

Rodel entwarf, Bebié machte die Fabrikationsüberwachung, und Zoebeli, die Jüngste, stand im Laden und liess sich in Buchhaltung weiterbilden. Als modebewusste linke Frau trug Zoebeli Männerkleider im Stil der dreissiger oder vierziger Jahre in Berlin, Vorbilder waren Annemarie Schwarzenbach und Erika Mann. Für Ursula Rodel wurde sie so zur Inspiration: «Ich trug sozusagen den Stil Kleider, die sie gerne gemacht hätte, aber sie selbst sah aus wie Patty Pravo, ziemlich sexy, tiefer Ausschnitt, falsche Wimpern, rote Fingernägel, ein schöner Gegensatz zu uns allen.»

Mit einer nonchalanten Verspieltheit verarbeitete Rodel ihre Inspirationen zu einer Kombination aus «frivolité» und androgyner Coolness, ein Harris-Tweed-Jackett etwa zu übergrossen Hosen, darunter ein zartes, spitzenbesetztes Unterwäschetop aus Seide und das Ganze überreich beladen mit Diamanten. Oder viel später eine Ledermode, in der sich Sadomaso mit indianischer Hippiemode mischte … Aber ihr Anspruch an das, was Mode für Frauen leisten sollte, ging weiter und war klar feministisch geprägt. Sie orientierte sich an den Qualitätsstandards der Haute Couture und wollte daraus eine Highclass-Prêt-à-porter-Mode für Frauen entwickeln, die im Arbeitsleben bestehen, aber nicht auf Chic verzichten wollten. Und dabei orientierte sie sich bewusst an der Männermode. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der Männer in einem gut gefertigten Anzug – in einer Uniform eben – immer auch gut geschützt waren, die sie an die Frauen weitergeben wollte.

Mode, die Halt gibt

«Kleider sind anonyme Begleiter der Frau, die ihr ein Selbstwertgefühl verleihen», sagte Rodel einmal. Sie wollte, dass man nicht das Label sah, sondern die Frau, die es trug. «Das Selbstwertgefühl, das ist auch ein Schutz, ein Halt», sagt Zoebeli. «Da geht es um Achselpolster, um Krägen, um den Schnitt oder um einen Stoff, der einen gewissen Stand hat. Oder um einen schönen Schuh, in dem man acht Stunden lang schmerzfrei stehen kann. Ursula ging es darum, dass diese Frauen ihren Mann stehen können mussten, und zwar mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sich die Männer diese Fähigkeit einfach genommen haben.»

Dabei blieb die «frivolité» immer zentral. Es ging Ursula Rodel nie nur um die elegante Kostümierung der zwinglianischen Arbeitswelt. Die Prostituierte Irene Staub alias Lady Shiva war ihre intime Freundin und wichtigste Muse; die legendären Thema-Modeschauen sprühten vor androgyner Sexyness, und Drogen gehörten zum Lebensgefühl der damaligen Szene dazu.

1986 wurde Rodel der Druck der Modewelt und vielleicht auch der ihres eigenen Anspruchs zu hoch. Während Zoebeli wütend wurde, wenn ihr etwas nicht passte, reagierte Rodel enttäuscht, frass alles in sich hinein. «Mit mir war sie unglaublich geduldig, und auch in den struben Zeiten blieben wir uns immer sehr nahe», sagt Zoebeli. «Als sie mir sagte, sie wolle aufhören, bin ich zusammengebrochen.» Ursula Rodel trennte sich von Thema Selection – was sie später als den Fehler ihres Lebens bezeichnete – und gründete das Label Ursula Rodel Création, unter dem sie handgefertigte Einzelstücke herstellte, die sie an eine kleine, aber treue Klientel verkaufte.

«Sie war wohl zu rücksichtsvoll und hat sich zu wenig gewehrt», erinnert sich Sissi Zoebeli. «Im Grunde hätte sie immer sagen sollen, wo es langgeht, sie war ganz klar das grösste Talent von uns allen, aber sie war unglaublich höflich und bescheiden.»

Patrick Frey ist Autor, Kabarettist und Schauspieler. Seit 1986 ist er Verleger mit der Edition Patrick Frey, in der 2015 auch Gina Buchers preisgekröntes Buch «Female Chic» über das Modelabel Thema Selection erschien.