Deichkind: Kostümparty ist vorbei

Nr. 11 –

Kids in ihrem Alter feiern lieber in Outdoorkleidung: Die Rapper von Deichkind melden mit ihrem achten Album «Neues vom Dauerzustand». Zeit für eine Modekritik.

Philipp Grütering alias Kryptik Joe eingepackt in eine dicke Daunenjacke (im Video zu «Kids in meinem Alter»)
Passt nichts zusammen, passt alles zusammen: Philipp Grütering alias Kryptik Joe im Video zu «Kids in meinem Alter».

Interessieren Sie sich für Mode? «Ich auch nicht», sagt Henning Besser von Deichkind.

Kommt allerdings darauf an, was man darunter versteht. Sprachlich haben Deichkind ja schon manche Mode geprägt mit Slogans, die wie gestanzter Zeitgeist in die Alltagssprache eingingen («Leider geil»). Aber auch was Henning Besser, vom einstigen Tour-DJ der Band längst zu deren Creative Director aufgestiegen, bei Deichkind an Kostümen entwirft, könnte glatt als Haute Couture durchgehen: Massgefertigte Einzelstücke sind das, mit Produktionskosten von oft mehreren Tausend Euro – und alles andere als alltagstauglich. Dabei waren die Kostüme ihrer frühen Jahre noch buchstäblich aus Wegwerfmaterial: «Angefangen haben wir mit dem Müllsack», sagt Besser im Videochat, «dem maximalen Antigestus zu allem, was man als Kostüm oder Mode bezeichnen kann.» Inzwischen sind sie bei einer exaltierten Quasipersiflage von Haute Couture angelangt. Oder wie Besser es nennt: bescheuerte, avantgardistische Quatschmode.

Besonders schön zu sehen war das vor drei Jahren im Video zu «Dinge» vom grandiosen letzten Deichkind-Album «Wer sagt denn das?». Die weissen Mittelstandsrapper führen da die Überflussgesellschaft ad absurdum, in einer zerstörungslustigen Warenfetischparade, die Konsumwahn als eine Form von höherem Blödsinn ausstellt. Einmal schlurfen also zwei formlose Stoffmonster, zusammengenäht aus unzähligen schwarzen und weissen Sportsocken, durch eine Bauruine. Oder dann steht da Rapper Porky mit einer Art Umhang aus grotesk vielen weissen Baseballcaps, an den Füssen trägt er mit Steckerleisten stabilisierte Moonboots. Alles in allem wahnsinnig viel Material, um den Text zu erden, der wie so oft bei Deichkind auf superschlaue Weise gaga ist: «Dinge leben nicht, Dinge tot / Dinge blau, grün, weiss, rot.»

Nicht vernünftig gedacht

Entworfen hat Henning Besser die Kostüme seinerzeit im Dialog mit der Modedesignerin Sabrina Seifried und der Künstlerin Katharina Duve, die für die konkrete Umsetzung Sorge trugen: «Beim letzten Album haben wir uns den Luxus geleistet, die beiden ein Jahr lang durchgängig zu beschäftigen.» Für eine Band ihrer Grösse, sagt Besser, investieren Deichkind unglaublich viel Geld in Kostüme: «Da würden manche den Kopf schütteln, weil das wirtschaftlich vielleicht nicht vernünftig gedacht ist.» Aber was soll das in Zeiten wie diesen schon heissen: wirtschaftlich vernünftig?

Beim neusten Album ist die Begleitmode jetzt teils direkt bürgerlich ausgefallen – auf alle Fälle dezenter, auch wenn dieses Wort bei Deichkind nicht ohne fette Anführungszeichen denkbar ist. Grundmotiv diesmal: Outdoormode und Funktionskleidung, parodistisch überzeichnet. Unübersehbar etwa die grotesk aufgeblasene, knallgelbe Daunenjacke im Video zu «Kids in meinem Alter». Darin eingepackt ist Philipp Grütering alias Kryptik Joe, der hier die Generation der chronisch Jungbleibenden (seine eigene) festnagelt, wie sie sich bequem in ihren Feindbildern und Neurosen eingerichtet hat. «Freier Fall dem Ende entgegen», aber Skaten nur mit Helm, und statt «Rest in Peace» heisst es hier: «Rest in Fleece». Aber so ein Faserpelz hilft anderswo auch nicht weiter, wenn Grütering dann im Video zu «In der Natur» genervt durchs Gehölz stapft und statt Einkehr nur passiv-aggressive Tiere und andere Zumutungen findet: «Mit meiner neuen Fleecejacke komm ich hier nicht durch». Der Outdoorfetisch: auch sehr neurotisch.

Erde in Schieflage

Das Jodelsample bei «In der Natur» stammt übrigens vom Schweizer Christian Zehnder vom Duo Stimmhorn, aber im Video ist es dann der afrodeutsche Rapper Roger Rekless, der in bayerischer Tracht die Lippen dazu bewegt. Passt nichts zusammen, passt alles zusammen, so läuft das oft bei Deichkind. Das fängt diesmal schon auf dem Albumcover an, wo die Koordinaten total aus dem Lot sind: Erde in Schieflage, aber die Strassenlaterne steht wie eine Eins. Kommt hinzu: Der Titel des Albums, «Neues vom Dauerzustand», war einst der Untertitel einer Essaysammlung des unorthodoxen linken Soziologen Wolfgang Pohrt. Nach der kulturellen Aneignung durch Deichkind kann man sich jetzt fragen, ob das hier noch kritischer Befund oder wieder nur dessen zeitgerechte Sloganisierung ist.

«Oberfläche ist vorbei», sagt nun auch Henning Besser und spricht tatsächlich vom Versuch, Deichkind angesichts von Pandemie, Krieg und Klimakrise «in eine gewisse Ernsthaftigkeit zu überführen». Aber Deichkind wären nicht Deichkind, wenn sie das auf dem Album nicht gleich selbst widerlegen würden. Da findet sich weiterhin auch teils bodenloser Schwachsinn («Fete verpennt», «Lecko mio»). Allerdings: Schwachsinn und Geistesblitze sind bei Besser und seinen Kollegen ja seit jeher schwer auseinanderzuhalten. «Wir wollen keine Party», skandierten sie auf dem letzten Album – sehr deutsch, aber auch sehr lustig, weil diese Partyverweigerung natürlich als zwanghaft partygeiler Kracher daherstampfte. Vielleicht ist solche kognitive Dissonanz sowieso die eigentliche Paradedisziplin von Deichkind. So eloquent Verblödung durchdeklinieren, wie sie das jetzt in «Delle am Helm» tun: definitiv kein Anzeichen für «Storno im Brain».

Live: Samstag, 16. Juli 2023, Bern, Gurtenfestival.

CD-Cover «Neues vom Dauerzustand» von Deichkind

Deichkind: «Neues vom Dauerzustand». Sultan Günther Music/Irascible. 2023.