Romy Schneider: «Projektionsfläche für faszinierende und frustrierende Wahnvisionen»

Nr. 20 –

Vierzig Jahre nach ihrem frühen Tod verkörpert Romy Schneider für viele immer noch die Kaiserin Sissi. Die feministische Filmwissenschaftlerin Marion Hallet spricht über Widersprüche und Mythen, die den deutsch-französischen Superstar auszeichneten – und zerrissen.

Selbst als Dirne wirkt sie distinguiert: Romy Schneider in «Max et les ferrailleurs» von Claude Sautet. Foto: Alamy

WOZ: Marion Hallet, Ihr Buch füllt eine Lücke. Romy Schneider ist ein europäischer Star mit je einem Standbein im deutschen und im französischen Sprachbereich. Aber hüben wie drüben fehlt es an anspruchsvollen Publikationen zu Schneider. Warum?
Marion Hallet: Es gibt durchaus Bücher oder Artikel, die den einen oder anderen Aspekt beleuchten. Was fehlt, sind Gesamtdarstellungen mit wissenschaftlichem Anspruch. Ich erkläre mir das dadurch, dass Romy Schneider in erster Linie ein populärer Star war. Die gehobene Filmkritik rümpfte die Nase über die «Sissi»-Trilogie aus den 1950er Jahren. In Deutschland wurde Claude Sautet, dessen fünf Filme mit Schneider deren Image in den 1970er Jahren prägten, lange Zeit nicht anerkannt. Mein Ziel war es, einen Überblick über die knapp drei Jahrzehnte umfassende Laufbahn der Schauspielerin zu bieten, und das aus feministischer Warte und mit Blick auf ihren transnationalen Starruhm.

Sie unterteilen Schneiders Laufbahn in drei Phasen. Die erste, deutschsprachige läuft von 1953 bis 1959. Frappant ist hier zunächst die enge Mutterbindung …
«Wenn der weisse Flieder wieder blüht» (1953), der erste Film, in dem Romy Schneider auftrat, wurde seinerzeit als das Comeback ihrer Mutter Magda Schneider vermarktet. Diese hatte vor dem Krieg eine erfolgreiche Filmkarriere. Bis 1958 sollten die beiden weitere sieben Mal zusammen vor der Kamera stehen. Darüber hinaus wachten Magda Schneider und ihr zweiter Gatte bis Anfang der 1960er Jahre streng über die Karriere ihrer Tochter, sichteten für sie Drehbücher, handelten Verträge aus …

Das Herzstück dieser frühen Phase bilden die drei «Sissi»-Filme.
Sie waren unglaublich erfolgreich, machten die Jungschauspielerin zum europäischen Star, zementierten ihre Persona. Diese kann man mit Begriffen wie «Frische», «Reinheit» und «Natürlichkeit» umschreiben, aber auch «Fügsamkeit», ja «Unterwerfung».

Gibt es eine ideologische Komponente?
Wie viele österreichische Werke der Nachkriegszeit rücken die «Sissi»-Filme die unmittelbare NS-Vergangenheit auf Distanz. Mit der langen Herrschaft von Franz Joseph I. beschwören sie ein nostalgisch verklärtes «goldenes Zeitalter» herauf. Die junge Kaiserin bildet mit ihrer Herzensgüte eine «rettende Figur» für den geliebten Mann und das geliebte Land. Sie bezeugt Toleranz für «Zigeuner» – während die Romastatisten auf dem Set des zweiten und des dritten «Sissi»-Films übel behandelt wurden –, und sie versucht, ihren «Franz» mit den Ungarn auszusöhnen.

Sehen Sie in dieser frühen Phase einen Entwicklungsbogen?
Absolut. Man kann von einem Coming-of-Age-Narrativ sprechen. Ähnlich wie die Figur der Kaiserin auf der Leinwand verwandelt sich Schneider als öffentliche Person vom allerliebsten «Madel» in eine – wie man damals sagte – heiratsfähige junge Frau.

Doch eines liess ihr Image zu jener Zeit nur ganz am Rand zu: Sexualisierung.
Diese bildet ein Hauptthema der zweiten, «internationalen» Phase von 1960 bis 1969. Zwischen Brigitte Bardots enthemmtem Mambo in «Et Dieu … créa la femme» (1956) und dem züchtigen Tänzchen, das Schneider zwei Jahre später in «Scampolo» hinlegt, klaffen Welten. Die eine wirkte seinerzeit gefährlich und transgressiv, die andere harmlos und mehrheitsfähig. Eine komisch-surrealistische Szene aus dem vergessenen Film «Ein Engel auf Erden» von 1959 scheint mir hier bezeichnend. Zwei betrunkenen Männern erscheint da eine Figur mit Schneiders Zügen in erotischem Outfit: Büstenhalter, Schlüpfer, Strumpfhose. Doch es handelt sich um eine Schaufensterpuppe. Es war zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht möglich, den «Sissi»-Star derart zu entblössen.

Das tat dann 1962 Luchino Visconti in «Il lavoro», seinem Beitrag zum Episodenfilm «Boccaccio ’70».
In einer berühmten Szene lässt der Regisseur die Kamera da auf Schneiders nacktem Rücken verweilen – Rückansichten waren fortan ein Topos ihrer Filmografie. Visconti hat der in Wien geborenen, in Oberbayern und Österreich aufgewachsenen Deutschen das Flair einer Pariserin verliehen, auch dank der prägenden Bekanntschaft mit Gabrielle Chanel, die die Kostüme für «Il lavoro» entwarf. Überdies hat er ihr die Bühnenbretter erschlossen, mit einer Pariser Inszenierung von John Fords Tragödie «’Tis Pity She’s a Whore». Für die Enkelin eines Ensemblemitglieds des Burgtheaters war das wichtig.

Schneider wurde nie müde zu betonen, wie viel sie ihrem «Lehrmeister» Visconti zu verdanken habe. Umgekehrt wurde kaum je festgehalten, wie viel die Schauspielerin durch ihre Kunst dem Regisseur gegeben hat. In «Il lavoro» vermittelt sie sowohl die Verletzlichkeit ihrer Figur als auch deren Raffinement, deren Attraktivität, deren Trauer und deren Trotz. Und bei ihrer dritten und letzten Zusammenarbeit für «Ludwig» (1973) verkörperte sie – näher an den historischen Zeugnissen – Elisabeth von Österreich-Ungarn als Anti-Sissi: zynisch, melancholisch, desillusioniert.

Visconti konnte bekanntlich ausfallend werden.
Ja, sogar übergriffig. Medien beschrieben die Beziehung zwischen dem «Pygmalion und seiner Muse» recht gönnerhaft und infantilisierend: Er habe sie in eine «seriöse Schauspielerin» verwandelt, ihre «feminine Essenz» offenbart. Das erotisierte Leiden – an den Männern – war eine der Säulen von Schneiders dramatischer Persona in den 1960er Jahren. Im folgenden Jahrzehnt wurde es gar zum Eckstein.

In ihrer «internationalen» Phase zwischen 1960 und 1970 scheint Schneider auf der Leinwand diverse weibliche Rollenmodelle durchzuprobieren.
In «Le Combat dans l’île» spielt sie eine misshandelte Frau, die sich von ihrem rechtsextremen Gatten löst – freilich nur mithilfe eines anderen Mannes. In «La Voleuse» ist sie eine Mutter, die für ihre sexuelle Freizügigkeit und für die Aufgabe ihres Kindes im Jugendalter bestraft wird – wie ausgerechnet Marguerite Duras die Dialoge eines derart frauenfeindlichen Films schreiben konnte, bleibt ein Rätsel. In Orson Welles’ Kafka-Verfilmung «The Trial» schlüpft sie ins Krankenschwesternkostüm einer leicht perversen Nymphomanin; in Henri-Georges Clouzots unvollendetem Eifersuchtsdrama «L’Enfer» wird sie zur Projektionsfläche für ebenso faszinierende wie frustrierende Wahnvisionen.

Erst in ihrer dritten und letzten, «französischen» Phase zwischen 1970 und 1982 findet Schneider in fünf Filmen mit Claude Sautet eine Persona, die ein Gegengewicht zu jener der «Sissi»-Trilogie zu bilden vermag: die moderne, emanzipierte Frau von nebenan.
Diese vor allem in Frankreich weitverbreitete Sichtweise nuanciere ich in meinem Buch stark. Bei aller unbestreitbaren Qualität sind die fünf Sautet-Filme voll von einer überkommenen patriarchalen Ideologie. Schneider verkörpert in ihnen eine Mätresse, eine Prostituierte, eine wankelmütige Verführerin, eine Frau, die erst abtreibt, dann aber in der Mutterschaft Erfüllung findet … Bis vielleicht auf Marie in «Une histoire simple» werden all diese Figuren durch ihre Beziehungen zu Männern definiert. Und selbst in letztgenanntem, dezidiert «feministischem» Werk sprechen die Frauen, wenn sie für einmal unter sich sind – was in Filmen jener Zeit selten genug vorkommt –, nicht über Beruf, Kunst oder Politik, sondern über Sex, Ehe und Familie.

Die moderne, emanzipierte Frau von nebenan …
… verkörperte in jenen Jahren Annie Girardot. Oder Miou-Miou. Oder Marlène Jobert. Schneider war – wie Catherine Deneuve – schon rein physisch zu aussergewöhnlich, um in die Haut einer gewöhnlichen Frau zu schlüpfen. Selbst als Dirne in «Max et les ferrailleurs» wirkt sie distinguiert.

Bei aller Fremdbestimmung: Die Schauspielerin hat sich ihre Rollen selbst ausgesucht.
Und dabei zum Teil ureigene Akzente gesetzt! Ich denke namentlich an ihre Filme über die Besatzungszeit wie etwa die deutsch-französische Koproduktion «Le Vieux fusil»/«Das alte Gewehr». Sie ist der einzige weibliche Star, der seinerzeit Hauptrollen in solchen Werken gespielt hat. Schneider war durch einstige Exilanten wie Marlene Dietrich, Lilli Palmer und Otto Preminger über Deutschlands NS-Vergangenheit aufgeklärt worden. Sie kann dabei nicht umhingekommen sein, die eigene Familiengeschichte zu hinterfragen – ihre Eltern waren, was man in Entnazifizierungsverfahren «minderbelastet» nannte: Opportunisten, aber keine Verbrecher. 1966 heiratete Schneider Harry Meyen, einen einstigen «Mischling ersten Grades», der das KZ Neuengamme überlebt hatte. In ihren Kriegsfilmen spielte sie durchweg Opfer, mehrfach Jüdinnen.

Schneider war Wahlfranzösin, aber auch zutiefst deutsch. Sie träumte von Emanzipation – und von der Unterwerfung durch einen starken Mann. Die «Sissi»-Filme nannte sie das eine Mal karrierefördernd, das andere Mal unerträglich. Man könnte so fortfahren. Warum strahlt ihr Stern trotz all dieser Diskrepanzen ungebrochen hell, vierzig Jahre nach ihrem Tod mit 43 Jahren im Mai 1982?
Romy Schneiders Laufbahn lässt sich in zwei Begriffen zusammenfassen: Konsens und Paradox. Ihr Bild schwankte ständig zwischen zwei Polen: Tradition und Modernität, fügsames «Mädchen» und verheissungsvolle junge Frau, leicht abweisende Bourgeoise und erotischer Magnet, Jugendduft der Schönheit und morbider Hautgout.

Filmwissenschaftlerin Marion Hallet

Ganz grosse Stars wie Marilyn Monroe, Marlon Brando oder eben Romy Schneider haben es verstanden, solche Widersprüche zu verkörpern und Diskrepanzen zu versöhnen. So wurden sie zu Objekten der Faszination und der populären Zuneigung: zu Mythen und Ikonen.

Stars studieren

Marion Hallet ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität von Namur in Belgien. Ihr Buch «Romy Schneider. A Star Across Europe» ist aus der Doktorarbeit hervorgegangen, die sie 2015 bis 2019 am Londoner King’s College verfasste. Ihre Doktormutter, die Professorin und Filmwissenschaftlerin Ginette Vincendeau («Stars and Stardom in French Cinema»), ist eine der Begründer:innen der «star studies», also Studien zu Filmstars.

Hallets jüngste Beiträge zu diesem Spezialgebiet der Filmwissenschaft sind Artikel über Mireille Darc in der Fachzeitschrift «Genres en séries» und über Hugh Grant in «Celebrity Studies». Sie schreibt auch regelmässig für die feministische Website «le genre & l’écran», etwa zu aktuellen Serien wie «Mrs America» über die rechte Feministin Phyllis Schlafly oder «Bridgerton».

Marion Hallet: «Romy Schneider. A Star Across Europe». Bloomsbury Academic. London 2022. 280 Seiten. 142 Franken.