Kambodscha: Elegant gekleidet gegen das brutale Regime
Mehr als 130 Oppositionelle stehen in Kambodscha in einem Massenprozess vor Gericht. Eine von ihnen ist Rechtsanwältin Theary Seng. Für sie ist klar: Langzeitherrscher Hun Sen fürchtet Proteste wie in Myanmar.
Phnom Penh ist im Lockdown. Premierminister Hun Sen will damit die Ausbreitung des Coronavirus stoppen. Dabei ist Kambodscha bisher gut durch die Pandemie gekommen. Offiziell war die Zahl der Infektionen noch Anfang 2021 extrem niedrig. Der erste Todesfall infolge von Covid-19 wurde erst im März dieses Jahres offiziell gemeldet, nachdem im Februar eine grössere Zahl von Infektionen unter chinesischen Geschäftsleuten registriert worden war.
Für Theary Seng hat der Lockdown mehr mit Hun Sens Furcht vor einer Verbreitung des Ungehorsams gegenüber diktatorischen Regimes zu tun. «Für mich ist es kein Zufall, dass der Lockdown kurz nach Beginn der Proteste in Myanmar gegen die Militärdiktatur verhängt wurde», sagt die Kambodschanerin. «Die Regierung will jegliche Proteste unterbinden.» Als Kind Opfer der Roten Khmer, kam Theary Seng nach Zwischenstationen in Flüchtlingslagern in Thailand in die USA.
Die Fünfzigjährige, die heute wieder im Land lebt, ist eine furchtlose Kritikerin des Regimes von Hun Sen. Dank ihrer guten politischen Vernetzung vor allem in den USA ist sie die letzte in Kambodscha verbliebene Dissidentin, die international Gehör findet. «Die anderen sind im Gefängnis, im Exil oder im Untergrund», sagt die Rechtsanwältin mit trauriger Stimme.
Hun Sen ist als ruchloser Meister der Intrigen und der Gewalt einer der am längsten amtierenden Regierungschefs der Welt: 35 Jahre ist er schon an der Macht. Die Bevölkerung würde ihn und seine korrupte Clique aus Politikern, Militärs und Familienmitgliedern lieber gestern als heute loswerden. 2013 wäre es fast so weit gewesen. Die Partei zur nationalen Rettung Kambodschas (CRNP) hatte Hun Sens Kambodschanische Volkspartei (CPP) an den Rand einer Wahlniederlage gebracht. Das war das endgültige Ende der zarten Demokratie im kleinen Königreich Kambodscha.
Armee verhindert Einreise
Die CRNP wurde verboten und ihr Führungspersonal verhaftet, sofern es nicht ins Ausland geflohen war. Unabhängige Medien mussten ihr Erscheinen einstellen oder wurden gleichgeschaltet. RegimekritikerInnen werden seither verfolgt, schikaniert, angeklagt, ins Gefängnis gesteckt oder, wie der Arzt Kem Ley, der Hun Sen und seine Familie der Korruption bezichtigt hatte, umgebracht. Bei der Parlamentswahl 2018 gewann die CPP mangels Opposition alle 125 Parlamentssitze.
Derzeit findet in Phnom Penh ein Massenprozess gegen mehr als 130 CRNP-Mitglieder, Gewerkschafterinnen, Umwelt- und Landrechtsaktivisten statt. Angeklagt ist auch Theary Seng wegen ihrer Beteiligung an der «9 Finger»-Kampagne. Oppositionsführer Sam Rainsy wollte zum Nationalfeiertag am 9. November 2019 aus dem Pariser Exil nach Kambodscha zurückkehren und sich an die Spitze eines Massenprotests gegen Hun Sen setzen. Dieser reagierte mit einer Verhaftungswelle und drohte Fluggesellschaften mit Konsequenzen, sollten sie Rainsy an Bord eines Flugzeugs nach Phnom Penh lassen. Zur Verhinderung einer Einreise mobilisierte er gar die Armee.
Hun Sens mächtigster Freund sitzt in Peking. Das chinesische Regime überschüttet Kambodscha mit Milliarden von US-Dollars in Form von Investitionen und Krediten. Theary Seng sagt: «Für die Chinesen sind Kambodscha und Südostasien das Sprungbrett zur globalen Hegemonie.» Hoffnung setzt sie auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden, der eine aktive Menschenrechts- und eine dezidierte Südostasienpolitik betreiben will, um den Einfluss von China zu begrenzen.
Kurz nach Beginn des Prozesses gegen Theary Seng und die anderen Angeklagten wurde die Verhandlung wegen Corona auf unbestimmte Zeit vertagt. Ohne die Angeklagten sowie die ProzessbeobachterInnen westlicher Botschaften zu informieren, wurden jedoch Anfang März Oppositionsführer Rainsy und acht weitere im Exil lebende Persönlichkeiten der CRNP in Abwesenheit zu Haftstrafen zwischen 22 und 25 Jahren verurteilt.
Wie ein Theaterbesuch
Das Urteil, so Phil Robertson, Kambodschaexperte der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sei von einem diktatorischen Einparteienstaat gefällt worden, «der entschlossen ist, die verbleibenden Reste des demokratischen Systems sowie die Ausübung grundlegender bürgerlicher und politischer Rechte wie Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und friedliche öffentliche Versammlungen zu zerstören». Zeitgleich trat das Gesetz zur Prävention von Corona in Kraft, das für KritikerInnen der Coronapolitik bis zu zwanzig Jahre Haft vorsieht. Das vage formulierte und breit gefasste Gesetz lasse die Rechte von Aktivistinnen und Dissidenten weiter erodieren, kritisiert Robertson.
Zu den Gerichtsterminen erscheint Theary Seng immer elegant gekleidet. «Ich trage Kleider wie für einen Theaterbesuch, denn der Prozess ist nichts anderes als ein Polittheater», sagt sie lachend. Wann ihr Urteil gefällt wird, weiss sie nicht. «Das bestimmen die Politiker.» Das Land zu verlassen, kommt für die Oppositionelle aber nicht infrage. «Ich bleibe hier und erhebe meine Stimme, auch wenn das bedeutet, dass ich vielleicht ins Gefängnis muss.»