Rote-Khmer-Tribunal: Hohe Kosten, dürftige Bilanz
Nahezu siebzehn Jahre lang versuchte das Rote-Khmer-Tribunal, den Genozid in Kambodscha aufzuarbeiten. Nun sind die Prozesse zu Ende. Was haben sie erreicht?
Die Prozesse in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh gegen führende Funktionär:innen der maoistischen Roten Khmer sind zu Ende. Zuletzt wurde im September die Berufung von Khieu Samphan gegen seine Verurteilung zu lebenslanger Haft abgewiesen. Der 91-Jährige war Staatschef in der Diktatur unter Pol Pot. Während der vierjährigen Terrorherrschaft starben bis zur Befreiung durch Vietnam im Januar 1979 fast 1,7 Millionen Kambodschaner:innen durch Hunger, Zwangsarbeit, Folter und Mord.
Verhinderte Anklagen
2006 wurde das Rote-Khmer-Tribunal (ECCC), das die Verbrechen juristisch aufarbeiten sollte, im Königspalast in Phnom Penh vereidigt. Seitdem hatte das – von der Uno und Geberländern wie Japan, den EU-Staaten, den USA, Kambodscha und auch der Schweiz finanzierte – Tribunal lediglich drei Führungskader verurteilt: Neben Khieu Samphan erhielten noch die Nummer zwei in der Hierarchie der Roten Khmer, Nuon Chea, sowie der ehemalige Chef des berüchtigten Foltergefängnisses S-21, Kaing Guek Eav, genannt «Duch», lebenslange Haftstrafen. Zwei weitere Angeklagte – Aussenminister Ieng Sary und der wegen seiner Brutalität «der Schlächter» genannte Armeekommandeur Ta Mok – verstarben vor Beginn ihrer Prozesse. Die ebenfalls angeklagte Sozialministerin Ieng Thirit schied wegen Krankheit aus dem Verfahren aus.
«Es ist ein Erfolg, dass das Tribunal trotz aller Probleme stattgefunden hat.»
Chhang Youk, Documentation Center of Cambodia
Die von den internationalen Richter:innen angestrebte Völkermordklage gegen Yim Tith, ehemaliger Kommandant der Roten Khmer und heute erfolgreicher Geschäftsmann, wurde von den kambodschanischen Kollegen Ende Dezember 2021 abgewiesen. Ebenso verhinderten die kambodschanischen Richter eine Anklage gegen den ehemaligen Marinechef Meas Muth wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit; eine Verhaftung würde «Meas Muths Ehre, Würde und Rechte erheblich und unwiderruflich beeinträchtigen». Entscheidungen des Tribunals waren nur mit Zustimmung der kambodschanischen Richter möglich.
Die Beurteilung des mehr als 300 Millionen US-Dollar teuren ECCC fällt gemischt aus. «Es ist ein Erfolg, dass es trotz aller Probleme stattgefunden hat», sagt Chhang Youk am Telefon aus Phnom Penh. Er ist Überlebender des Rote-Khmer-Regimes und Leiter des von ihm gegründeten Zentrums DC-Cam, das die Verbrechen des Genozids dokumentiert.
Zu den Erfolgen des ECCC gehört, dass erstmals in der Geschichte internationaler Tribunale seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen auch Opfer als Nebenkläger:innen zugelassen waren. Zudem konnte die deutsche Silke Studzinsky als Anwältin von Nebenklägerinnen, die unter dem Regime bei Massenhochzeiten zwangsverheiratet wurden, die Anerkennung von «gender based crimes» als Straftatbestand im internationalen Recht durchsetzen.
Auf der anderen Seite war das ECCC von Skandalen gebeutelt. Nie ganz aufgeklärt wurde der Vorwurf der Open Society Justice Initiative, die kambodschanischen Juristen hätten einen grossen Teil ihres von den Vereinten Nationen bezahlten Gehalts an die kambodschanische Regierung abführen müssen.
Premierminister Hun Sen, bis zu seiner Flucht 1977 nach Vietnam selbst ein Roter Khmer, hatte wiederholt erklärt, über die Verfahren gegen die erwähnten drei Führungskader hinaus keine weiteren Anklagen zu dulden. Eine Reihe hochrangiger internationaler Jurist:innen war bereits 2011 aus Protest gegen die politische Beeinflussung des Tribunals zurückgetreten.
Die Opposition wird verfolgt
Nach Ansicht vieler Expert:innen war das ECCC mit zu vielen Ansprüchen überfrachtet. «Es bleibt eine Tatsache, dass Strafprozesse meist dazu dienen, die rechtliche Schuld oder Unschuld im Sinne der strafrechtlichen Anklagen festzustellen. Andere gewünschte Ergebnisse von Strafprozessen wie nationale Aussöhnung, individuelle Heilung, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Entwicklung lokaler Justizkapazitäten und andere Nebenergebnisse sind in den Hoffnungen und Wünschen der Anwälte typischerweise stärker präsent als in den tatsächlichen Ergebnissen des Gerichts», schreibt Craig Etcheson, von 2006 bis 2012 Chef der Ermittlungsabteilung der Staatsanwaltschaft des ECCC, auf Anfrage per E-Mail und fügt hinzu: «Gegen Ende des Tribunals hat die Regierung von Kambodscha anscheinend ihre Narrative von der vergeltenden Gerechtigkeit hin zu einer restaurativen Justiz verschoben. In der politischen Kultur Kambodschas bedeutet Versöhnung, dass die Starken die Schwachen vernichten und dann Frieden herrscht.»
In dieser Tradition steht der mittlerweile seit über dreissig Jahren regierende Hun Sen, der mithilfe der Justiz Oppositionsparteien verbieten und Dissident:innen zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilen lässt. Im Januar 2022 sagte die Bürgerrechtlerin und Anwältin Theary Seng, die als Kind die Diktatur der Roten Khmer überlebt hatte und am ECCC eine prominente Nebenklägerin war: «Ich bin die letzte im Land verbliebene Regimekritikerin, die international Gehör findet. Die anderen sind im Gefängnis, im Exil oder im Untergrund.» Seit Juni sitzt Theary Seng selbst im Gefängnis. Zusammen mit Dutzenden weiteren Oppositionellen wurde die 51-Jährige in einem Politprozess wegen Hochverrat und Aufruhr zu sechs Jahren Haft verurteilt.