Textilindustrie in Kambodscha: Unruhe in den Nähstuben

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In Kambodscha kämpfen TextilarbeiterInnen gemeinsam mit der Opposition für einen höheren Mindestlohn. Doch die Machtverhältnisse in der globalen Textilproduktion verhindern bisher Erfolge.

Seit Montag streiken in Kambodscha erneut TextilarbeiterInnen. Sie fordern ihren Lohn, der ihnen aufgrund des Streiks vom Dezember vorenthalten wird. Gewerkschaften drohen darüber hinaus mit weiteren Protesten, sollten die Regierung und der Textildachverband GMAC Mindestlohnverhandlungen weiterhin ablehnen. In den letzten Wochen haben Polizei und Militär bei mehreren Demonstrationen mit Knüppeln auf streikende ArbeiterInnen eingeschlagen. Am 3. Januar schossen sie dann nahe der Hauptstadt Phnom Penh in eine Gruppe von Streikenden. Dabei starben mindestens vier Menschen, über zwanzig wurden verletzt.

Ende Dezember hatte die Regierung bekannt gegeben, den Mindestlohn von 80 auf 100 US-Dollar zu erhöhen. Die Gewerkschaften fordern jedoch eine Erhöhung auf 160 US-Dollar. Zur Eskalation kam es auch, als sich die Gewerkschaften im Dezember auf die Seite der oppositionellen Cambodian National Rescue Party stellten, deren Anführer Sam Rainsy die Forderung der Streikenden unterstützt. Auf diese Koalition der politisch und sozial Unzufriedenen hat der seit 28 Jahren regierende Premierminister Hun Sen nun mit Gewalt reagiert.

Bereits seit Monaten schwelt der Konflikt um Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Der GMAC hat im letzten Jahr mehr als 130 Streiks registriert. Mehrmals war es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ArbeiterInnen und Polizei gekommen.

Sinkende Reallöhne

Auch wenn Kambodscha im Vergleich zu Bangladesch, China oder Vietnam einen kleinen Anteil an der globalen Textilproduktion hat, ist dieser Industriezweig die wichtigste Wachstumsbranche des Landes. Mit der zunehmenden Erhöhung des Lohnniveaus in China verlagern Textilunternehmen ihre Produktion auf die Niedriglohnländer Südostasiens und treiben dort die Industrialisierung voran. Kambodschas Wirtschaft ist von den Textilexporten abhängig, die heute über siebzig Prozent der Gesamtausfuhr ausmachen.

Viele der zwölf Millionen EinwohnerInnen sind von den Löhnen in der Textilindustrie abhängig, in der über 300 000 Menschen arbeiten. Ein grosser Teil der ArbeiterInnen – die meisten von ihnen Frauen – stammen aus ländlichen Gegenden; an ihre Familien dort schicken sie einen Teil des ohnehin schon geringen Lohns. Damit hängt ein Zehntel der Bevölkerung direkt oder indirekt von der Textilindustrie ab. Auch wenn die Regierung den Mindestlohn mehrmals erhöht hat, sank der Reallohn der ArbeiterInnen in den letzten Jahren infolge der Teuerung. Die mehrheitlich mit einem befristeten Vertrag angestellten ArbeiterInnen leisten meist unbezahlte Überstunden. Viele leiden zudem an Unterernährung.

Arbeitskämpfe werden intensiver

Kambodschas Textilindustrie produziert hauptsächlich für westliche Kleidermarken. Wenige Tage nach den Schüssen Anfang Januar haben H&M, Gap, Inditex, Puma, Adidas, Columbia und Levis in einem offenen Brief an die Regierung die Gewalt verurteilt und zu Verhandlungen zwischen Regierung, Gewerkschaften und GMAC aufgerufen. Solange jedoch die Markenfirmen von den tiefen Löhnen profitieren und den Löwenanteil der Profite einstreichen, bleibt der Aufruf ein Scheinbekenntnis. «Die westlichen Firmen lagern so die Verantwortung aus», sagt Jeroen Merk, Verantwortlicher der Clean Clothes Campaign für Kambodscha. Der Spielraum für Lohnverhandlungen wird zudem von wirtschaftlichen Interessen anderer Staaten beeinflusst. So gehören neunzig Prozent der kambodschanischen Textilfabriken InvestorInnen aus asiatischen Ländern wie China, Taiwan oder Südkorea.

In vielen Ländern Südostasiens sind die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie während der letzten Jahre zu einem politischen Faktor geworden. So haben im 150 Millionen EinwohnerInnen zählenden Bangladesch im November die TextilarbeiterInnen erneut gestreikt, um ihren Lohnforderungen Nachdruck zu verleihen. Jeroen Merk beobachtet in Kambodscha wie auch in Bangladesch oder Indonesien eine Intensivierung der Arbeitskämpfe. «Die Arbeiter sind sich ihrer Rechte zunehmend bewusst und fordern diese auch vermehrt ein.» Diese Proteste lassen sich laut Merk nicht mehr länger mit reinen Lippenbekenntnissen der Textilindustrie und der Regierungen beruhigen. «Nur Lohnerhöhungen können helfen, die gesamte Textilindustrie zu stabilisieren.»