Putsch in Myanmar: «Wir wollen das Böse vertreiben»

Nr. 6 –

In Myanmar machen Hunderttausende Menschen ihrem Unmut über den Militärputsch von Anfang Februar Luft. Es ist ein Protest entgegen dem Trend in Südostasien zu immer autoritäreren Regimes.

Am 1. Februar putschten sich die Tatmadaw, die Armee von Myanmar, wenige Stunden vor der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments an die Macht. Staatsrätin Aung San Suu Kyi, Hunderte Mitglieder der Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) sowie Journalisten und Bürgerrechtlerinnen wurden festgenommen.

Seit dem Putsch demonstrieren überall in Myanmar täglich Hunderttausende gegen das Militär. Das Regime geht mit Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Kundgebungen vor. Thant Min, der vor der Pandemie TouristInnen durch Yangon (ehemals Rangun) führte, sagt am Telefon: «Der Putsch ist illegal. Wir wollen das Böse vertreiben.»

Als Grund für den Putsch gaben die neuen Machthaber angebliche «Unregelmässigkeiten» bei der Wahl Anfang November 2020 an, die von der NLD haushoch gewonnen worden war. Für die schon im alten Parlament schwach vertretene Militärpartei USDP hatten hingegen noch weniger WählerInnen gestimmt als 2015, bei den ersten freien Wahlen nach Jahrzehnten der Militärdiktatur.

De facto eine Parallelregierung

Der nun zum Übergangspräsidenten ernannte Myint Swe gilt als Hardliner. Als Militärkommandant von Yangon war Myint Swe 2007 für die blutige Niederschlagung der «Safranrevolution» verantwortlich – des Aufstands buddhistischer Mönche gegen das damalige Militärregime. Der eigentliche Machthaber ist jedoch der Armeechef und General Min Aung Hlaing, unter dessen Kommando im Sommer 2017 mehr als 700 000 Rohingya gewaltsam vertrieben wurden.

Von aussen betrachtet ist der Putsch unverständlich. Dank der vom Militär massgeschneiderten Verfassung waren die Tatmadaw – mit einem Anspruch auf ein Viertel der Parlamentssitze und dem Recht, die sicherheitsrelevanten Ministerien für Inneres, Grenzschutz und Verteidigung zu besetzen – sowieso eine von der demokratisch gewählten zivilen Regierung unabhängige Parallelregierung. «Sowohl die Tatmadaw als auch die NLD sind Institutionen der Eliten. Es ist also ein Machtkampf der Eliten, die sich wenig für das Volk interessieren», sagt ein westlicher Diplomat, der aus Sicherheitsbedenken anonym bleiben möchte, telefonisch aus Yangon.

Phil Robertson lebt in Bangkok und ist Experte für Myanmar bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Er sagt, die Tatmadaw hätten die Popularität der von der Bevölkerung als «Mutter Suu» verehrten Aung San Suu Kyi unterschätzt. «Gegen Suu Kyi können sie keine Wahlen gewinnen. Sie werden daher jetzt Gesetze und Strukturen schaffen, um die NLD bei den für 2022 in Aussicht gestellten Wahlen zu verdrängen.»

Die Schweiz, die USA und die EU haben den Putsch verurteilt. Der südostasiatische Staatenbund Asean schweigt gemäss seinem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Mitglieder.

Thailand, Philippinen, Kambodscha

Die Tatmadaw folgen mit dem Putsch dem Trend in Südostasien zu autoritären Regimes. In Thailand sicherte sich die Armee im März 2019 nach den ersten freien Wahlen seit dem Putsch 2014 die Mehrheit im Parlament, indem sie nachträglich den Auszählungsmodus änderte. Zudem wurde die neue demokratische und antimilitaristische Partei Future Forward, die aus dem Stand heraus dritte Kraft geworden war, verboten und ihr Gründer Thanathorn Juangroongruangkit wegen Majestätsbeleidigung angeklagt.

Auf den Philippinen betreibt Präsident Rodrigo Duterte zur Unterdrückung seiner GegnerInnen «Red Tagging» – die Brandmarkung als Rote. Oppositionelle, kritische Journalistinnen, Menschenrechts- und Umweltaktivisten werden als «KommunistInnen» verfolgt, wegen «Aufruhr» angeklagt oder schlicht ermordet.

In Kambodscha sind viele führende Politiker der verbotenen Partei zur nationalen Rettung Kambodschas (CNRP) und Regimekritikerinnen vor der autoritären Herrschaft unter der Führung von Premier Hun Sen ins Ausland geflohen. Die prominente Bürgerrechtlerin Theary Seng aber sagt gegenüber der WOZ entschieden: «Ich bleibe. Dank meiner internationalen Bekanntheit und Unterstützung bin ich fast die Einzige, die in diesem Land noch öffentlich das Regime kritisieren kann.» Doch auch Theary ist, zusammen mit rund 130 DissidentInnen, wegen Hochverrat angeklagt.

Nirgendwo sonst in Südostasien ist der Einfluss Chinas so offen sichtbar wie in Kambodscha, das viele EinwohnerInnen hinter vorgehaltener Hand eine «chinesische Kolonie» nennen. Unklar ist jedoch die Rolle Chinas beim Putsch in Myanmar. Weil China die für Autonomie kämpfenden bewaffneten Truppen ethnischer Minderheiten in Myanmar unterstützt, stünden die Tatmadaw der Grossmacht sehr misstrauisch gegenüber, sagt HRW-Experte Robertson. «China hat viel in den Aufbau guter Beziehungen zu Suu Kyi investiert. Aber wenn der Preis stimmt, könnte Peking zur Unterstützung des Putsches bereit sein.»

Hoffnung setzen die asiatischen Demokratiebewegungen auf den Machtwechsel in den USA. Unter Präsident Joe Biden würden die Menschenrechte wieder zu einem Faktor der Politik, ist sich Rechtsanwältin Theary Seng sicher: «China nutzt Asien als Sprungbrett zur Weltherrschaft. Um China zurückzudrängen, wird Biden den Fokus seiner Aussenpolitik wieder auf Asien legen.»