Klimabewegung: (Keine) Gewalt ist auch keine Lösung

Nr. 13 –

Unscharf gedacht: Der Aktivist und Humanökologe Andreas Malm wünscht sich eine militantere Klimabewegung. Doch er verheddert sich zusehends, wenn er dafür plädiert, auch mal Pipelines zu sprengen.

«Wann eskalieren wir? Wann gelangen wir zu der Einsicht, dass es an der Zeit ist, auch zu anderen Mitteln zu greifen? Wann fangen wir an, die Dinge, die unseren Planeten ruinieren (…) mit unseren eigenen Händen zu zerstören?» Das sind die zentralen Fragen, die der schwedische Humanökologe Andreas Malm in seinem Buch «Wie man eine Pipeline in die Luft jagt» an die Klimabewegung stellt.

Der etwas reisserisch daherkommende Titel verweist auf einen realen Widerspruch: Obwohl sich die Umweltveränderungen in weiten Teilen der Welt dramatisch beschleunigen, beschränkt sich der Klimaaktivismus weiterhin auf eher symbolische Formen des Protests. Malm zufolge liegt das daran, dass Gruppen wie Extinction Rebellion eine Politik absoluter Gewaltfreiheit propagieren, die im Widerspruch zu den historischen Erfahrungen sozialer Bewegungen steht.

Grosse soziale Errungenschaften, so Malm, seien letztlich immer auch durch den Druck militanter Aktionen erzwungen worden: Die gewaltsame Revolution in Haiti ebnete der Sklavenbefreiung auch in anderen Teilen des amerikanischen Kontinents den Weg. Die feministischen Suffragetten verübten Anschläge, um ihrer Forderung nach einem Frauenwahlrecht Geltung zu verschaffen. Und weitgehend vergessen ist heute auch der Umstand, dass Nelson Mandela vor seiner Inhaftierung als führender Kader der Kommunistischen Partei Südafrikas den bewaffneten Kampf gegen das Apartheidregime organisiert hatte.

Normalität ist schon gewalttätig

Andreas Malms zentrale These lautet vor diesem Hintergrund, dass auch die Klimabewegung nicht einfach auf militante Mittel verzichten kann, wenn sie den für grundlegende Veränderungen notwendigen Druck erzeugen will. Da hinter der fossilen Wirtschaft mächtige Gewinninteressen stehen, müsse man umgekehrt die Kosten des Energiemodells in die Höhe treiben und die für die Naturzerstörung verantwortlichen Infrastrukturen ganz konkret sabotieren: also zum Beispiel die im Buchtitel erwähnten Ölpipelines zerstören.

Damit knüpft Malm an die Gewaltfrage an, wie sie in der Neuen Linken ab den 1960er Jahren international breit debattiert wurde. Diesen Bezug stellt er auch ganz explizit her, wenn er beispielsweise auf die Thesen des antikolonialen Theoretikers Frantz Fanon oder auf den Kampf linker Befreiungsbewegungen gegen die postkoloniale Herrschaft der USA und ihrer Verbündeten verweist. Bei dieser Brandrede verheddert sich Malm jedoch zusehends.

Völlig richtig ist sein Hinweis, dass es in der aktuellen Situation gar keine echte Gewaltfreiheit gebe, da auch das, was wir als Normalität erleben, mit extremer Gewalt verknüpft ist: Der tägliche Fleischkonsum führt dazu, dass immer mehr Waldgebiete des Globalen Südens in Agrarplantagen verwandelt werden, und die allseits gefeierte Digitalisierung hat im Bergbau einen Boom ausgelöst, der sich durch die rohstoffreichen Länder fräst – im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Veränderungen gehen nicht nur mit enormer Naturzerstörung einher, sondern auch mit der gewaltsamen Vertreibung der bis dahin dort lebenden – bäuerlichen und/oder indigenen – Bevölkerung.

Vor diesem Hintergrund muss man sich immer wieder zwischen unterschiedlichen Formen der Gewalt entscheiden. Die strukturell gewalttätige «Normalität» kann dabei keineswegs für sich beanspruchen, moralisch «integrer» zu sein als der Widerstand dagegen. Doch die entscheidende Frage ist natürlich, was aus dieser Überlegung gefolgert wird.

Malm lässt im Unklaren, wofür er nun konkret plädiert. Er stellt klar, dass sich Gewalt nicht gegen Personen, sondern gegen zerstörerische Infrastrukturen richten solle, führt dann gegen Ende des Buchs als leuchtendes Beispiel aber die Besetzung des ostdeutschen Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe durch KlimaaktivistInnen von Ende Gelände an. Spätestens hier weiss man wirklich nicht mehr, wovon er eigentlich spricht: Denn die Besetzung eines Kraftwerks hat ja nun eher mit dem Überschreiten von Gesetzen als mit Gewalt zu tun.

Die Erregung des Aktivisten

Malm scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein. Er schildert so etwas wie einen existenzialistischen Moment bei der Aktion: «Während all meiner Jahre in der Klimagerechtigkeitsbewegung habe ich nie solch freudige Erregung verspürt: für einen pulsierenden, bewusstseinserweiternden Moment hatten wir ein Stück der unseren Planeten zerstörenden Infrastruktur in unseren Händen.» Die Zerstörung von Zäunen sei keine Gewalt gewesen, fügt er hinzu, aber falls doch, «so war es Gewalt der verzückendsten Art».

Dieser Mangel an Präzision zieht sich durch Malms Buch und zeigt sich auch bei seinen Verweisen auf die antiimperialistischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts. Denn wenn man diese Beispiele heranzieht, sollte man ihre Erfahrungen auch diskutieren. Die Geschichte der Befreiungsbewegungen verweist ja nicht nur darauf, dass revolutionäre Gewalt einiges bewirken kann und oft alternativlos ist – das südafrikanische Apartheidregime wäre allein mit Sitzblockaden sicher nicht gestürzt worden.

Doch zur historischen Erfahrung der Befreiungsbewegungen gehört ja auch, dass sich die Gewalt fast immer verselbstständigte und dabei die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konflikte unsichtbar machte. Gerade weil Malm ein grösseres Geschichtsbewusstsein der KlimaaktivistInnen einfordert, müsste er diese Frage reflektieren: Warum sind so viele Revolutionen und emanzipatorische Bewegungen im Rahmen gewaltsamer Konflikte selbst despotisch geworden? Und: Hätte das verhindert werden können?

Alles zusammengerührt

Viele der von Malm vorgebrachten Einwände gegen die Klimabewegung sind völlig richtig: Ja, es ist naiv zu hoffen, dass die Profitinteressen der Öl-, Finanz-, Lebensmittel- und Immobilienkonzerne allein mit Wahlen und Demonstrationen zurückgedrängt werden können. Die Klimabewegung müsste sich viel grundsätzlicher fragen, wie sie sich Durchsetzungsmacht verschaffen kann und welche Strategie man dafür benötigt. Ebenso richtig ist auch Malms Hinweis, dass die ökologische Krise untrennbar mit Klassenfragen verschränkt ist. Der Luxuskonsum der Superreichen trägt überdimensional zu den CO2-Emissionen bei; umgekehrt sind es die Armen, die sich keine neuen Immobilien leisten können, wenn ihr Land durch den steigenden Meeresspiegel unbewohnbar wird.

Doch Malm trägt diese Argumente in einem Tonfall vor, durch den grössere Klarheit am Ende dann doch eher verhindert wird. Wer in einem Buch, das den Sprengstoffanschlag im Titel führt, Kraftwerkbesetzungen propagiert oder den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto, den palästinensischen Widerstand und den Kampf gegen die iranischen Mullahs in einem Atemzug anführt, um den Pazifismus von Extinction Rebellion zu kritisieren, macht am Ende das, was rechte SicherheitspolitikerInnen unter umgekehrten Vorzeichen auch gerne tun: Er rührt unter dem Stichwort «politische Gewalt» völlig unterschiedliche Phänomene zusammen und verstellt damit den Blick aufs Wesentliche – nämlich auf die Frage, wie eigentlich die Macht «von unten» entsteht, um Veränderungen auch gegen die Interessen von Herrschenden zu erzwingen.

Andreas Malm: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Aus dem Englischen von David Frühauf. Matthes & Seitz. Berlin 2020. 214 Seiten. 26 Franken