Ameos-Gruppe: Auf die Privatisierung folgte der Streik

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Als Vorbild für die Schweizer Liberalisierungsschritte diente Deutschland. Dort sind inzwischen viele Spitäler privatisiert – mit schwerwiegenden Folgen. In der Kritik steht besonders ein Unternehmen mit Sitz in Zürich.

Aschersleben in Sachsen-Anhalt, Januar 2020: Angestellte zwingen die Klinikbetreiberin Ameos zu Verhandlungen. Foto: Christian Jungeblodt

Der Arbeitskampf dauerte fast ein Jahr, vier Spitäler wurden immer wieder bestreikt. Der Hauptgrund für den Streik im Salzlandkreis des ostdeutschen Bundeslands Sachsen-Anhalt sei die komplette Weigerung des Spitalbetreibers gewesen, überhaupt in Lohnverhandlungen einzusteigen, sagt Gisela Neunhöffer von der Gewerkschaft Verdi: «Und dies, obschon die Löhne um fast ein Viertel tiefer lagen als bei anderen Krankenhäusern in der Region.» Alle vier Spitäler gehören der in Zürich niedergelassenen Ameos-Gruppe, die vor allem in Deutschland tätig ist und dort 52 Standorte mit gut 15 000 Angestellten betreibt.

Infolge der 2003 vollzogenen Liberalisierung des Spitalmarkts und der Einführung der Fallpauschalen gibt es in Deutschland viele Grundversorgungsspitäler mit wirtschaftlichen Problemen. Diese Spitäler zu übernehmen, sei das Geschäftsmodell des kurz vor der Liberalisierung gegründeten Spitalunternehmens Ameos, sagt Neunhöffer. Inzwischen sind rund ein Drittel der Spitäler in privatem Besitz. Für die Kommunen und Landkreise, die die Kliniken zuvor selbst betrieben haben, sind private Firmen gern gesehene Helfer in der Not. «Nach der Übernahme werden die Spitäler dann extrem auf Wirtschaftlichkeit getrimmt», sagt Neunhöffer.

Wie das geht, zeigt sich exemplarisch in den vier bestreikten Kliniken in Ostdeutschland. 2012 wurden diese an Ameos verkauft. Pflegefachfrau Susanne Maier und Pflegefachmann Heiko Müller arbeiten in zwei verschiedenen der bestreikten Spitäler, beide wollen ihre richtigen Namen aus Angst vor Repressalien nicht in der Zeitung lesen. «Wir waren damals blauäugig und froh, unsere Arbeitsplätze nicht zu verlieren», sagt Maier. «Doch schon bald sind wir eines Besseren belehrt worden.»

Gleich nach der Übernahme wurde die Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche gesenkt – mit entsprechendem Lohnverlust. Die MitarbeiterInnen mussten anschliessend die gleiche Arbeit machen, einfach in kürzerer Zeit. Das war 2012. Danach habe es nie Lohnerhöhungen gegeben, sagt Müller.

Mit 800 Kündigungen gedroht

Im Herbst 2019 hatte das Personal genug. Es organisierte einen Warnstreik. Im inzwischen veröffentlichten Tagebuch einer Pflegefachfrau kann man nachlesen, was danach geschah. Die Reaktion des Unternehmens auf den Warnstreik: keine. Und so folgten zwölf weitere eintägige Warnstreiks. Trotzdem war Ameos nicht zu Verhandlungen bereit und drohte mit der Entlassung von 800 Mitarbeitenden – 14 im Streik aktive Angestellte wurden fristlos entlassen.

Ab Ende Februar 2020 wurden alle vier Häuser ununterbrochen bestreikt. «Die Solidarität unter den Mitarbeitenden war sehr hoch, der Arbeitskampf hat uns zusammengeschweisst», sagt Heiko Müller. Nach vier Wochen signalisierte Ameos eine grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen, die Kündigungen wurden zurückgenommen. Daraufhin wurde der Streik ausgesetzt.

Im Juli 2020 endete der Arbeitskampf mit einer Vereinbarung zwischen den Parteien, die eine kleine Lohnerhöhung und eine Einmalzahlung an alle Mitarbeitenden vorsah, vor allem aber festhielt, dass Verhandlungen über einen regulären Gesamtarbeitsvertrag geführt werden würden. Diese Tarifverhandlungen seien inzwischen aber ins Stocken geraten, sagt Pflegefachfrau Maier.

Weitere Unternehmen verfolgen in Deutschland ein ähnliches Geschäftsmodell wie Ameos – auch in deren Spitälern kommt es immer wieder zu Arbeitskämpfen. «Doch kein Unternehmen nutzt die Spielräume derart stark aus wie Ameos», sagt Gewerkschafterin Neunhöffer. Bis 2017 lagerte Ameos Reinigungs-, Pflege- und Therapiepersonal an eigene Zeitarbeitsfirmen aus, schreibt Verdi. Seit eine Gesetzesänderung dies verbiete, nutze das Unternehmen eine Gesetzeslücke. Nun würden die meisten der neu eingestellten Mitarbeitenden direkt bei anderen Tochtergesellschaften von Ameos angestellt. «Natürlich zu schlechteren Konditionen», wie Susanne Maier erklärt.

Wegen Personalmangel komme es immer wieder zu temporären Abteilungsschliessungen, sagt Heiko Müller. Er wirft der Spitalbetreiberin vor, Versorgungsunterbrüche gar zu fördern. Etwa in der Geburtshilfe, die Ameos gemäss vertraglichen Verpflichtungen an drei der Standorte anbieten müsse. Die Geburtshilfe ist – wie etwa auch die Kinderheilkunde – im Fallpauschalenmodell kaum kostendeckend zu betreiben. Der durch die Fallpauschalen entstehende Kostendruck würde zudem grundsätzlich dazu führen, dass die Aufenthaltsdauer der einzelnen PatientInnen immer kürzer werde. «Es fällt schwer, Menschen zu früh entlassen zu müssen», sagt Maier. Wie ihr Kollege hofft sie auf ein baldiges Ende des Fallpauschalensystems.

Intransparentes Unternehmen

Auf der Unternehmenswebsite findet sich die Rubrik «Fragen und Antworten». Dort steht unter anderem, dass es bei Ameos «bis heute keine betriebsbedingten Kündigungen ohne Alternativangebote gegeben» habe und man das «Leistungsportfolio» so gestalte, dass die «medizinische Versorgung (…) im gesamten Einzugsgebiet des Krankenhauses dauerhaft sichergestellt» sei. Ameos habe bisher «noch nie ein Haus geschlossen».

Auf einen umfangreichen Fragenkatalog der WOZ gab es von der Ameos-Gruppe jedoch keine Antworten. Stattdessen drohte diese mit rechtlichen Schritten: «Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass – sollten Sie die uns gestellten Fragen in den geplanten zwei Artikeln der ‹Wochenzeitung› verarbeiten – wir rechtliche Schritte gegen Sie einleiten werden.» Ameos gilt allgemein als klagefreudig. Letzten Sommer hatten drei Ameos-Spitäler gar gegen die Gesundheitsministerin Sachsen-Anhalts, Petra Grimm-Benne, eine einstweilige Verfügung erwirkt. Gemäss dieser ist es der Sozialdemokratin untersagt, in Bezug auf die drei Spitäler von «opulenten Gewinnsummen, die ins Ausland transferiert werden» zu sprechen.

Ameos bezeichnet sich selber als «gemeinnützig». Dies, obschon die Firma bisher dem amerikanischen Private-Equity-Konzern Carlyle Group gehörte. Gemäss Medienberichten vom Februar soll nun Ameos-CEO Axel Paeger selbst die Mehrheit übernehmen – Minderheitseigner werde unter anderem der Finanzinvestor Intermediate Capital Group sein. Öffentliche Statements dazu gibt es keine. Auch Geschäftsdaten veröffentlicht Ameos nur sehr rudimentäre: Demnach schrieb das Unternehmen im Coronajahr 2020 bei einem Umsatz von 1,03 Milliarden Euro einen Verlust von 2 Millionen Euro – im Jahr zuvor hatte ein Reingewinn von 10 Millionen resultiert.

Der Leidensdruck im deutschen Spitalwesen ist gross. Als Folge davon wurde 2020 ein Teil des Fallpauschalenmodells rückgängig gemacht. Pflegeleistungen in den Spitälern werden seither wieder über einen gesonderten Tarif nach Aufwand abgerechnet. Und das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern will im Bundesrat, der kleinen Parlamentskammer, eine Initiative einreichen, um die notorisch unterfinanzierte Kinder- und Jugendmedizin aus dem liberalisierten Modell herauszulösen. «Kinder müssen medizinisch gut versorgt werden», erklärte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig das Ansinnen auf Twitter.

Das deutsche Modell diente der 2012 erfolgten Liberalisierung in der Schweiz als Vorbild. Hierzulande beginnt nun erst jene Phase, in der öffentliche oder gemeinnützig betriebene Spitäler privatisiert werden. Im Kanton Bern hat der Regierungsrat letztes Jahr gut ein Drittel des Hôpital du Jura bernois an die zum Luxushotelkonzern Aevis Victoria gehörende Swiss Medical Group verkauft. Diese besitzt eine fixe Option auf die Übernahme der Aktienmehrheit.

Und auch Ameos hat in Einsiedeln erstmals ein Grundversorgungsspital in der Schweiz übernommen. Dieses war zuvor in finanzielle Schieflage geraten. Wenige Monate nach der Übernahme wurde das Spitalrestaurant geschlossen, seine Angestellten wurden entlassen – die meisten davon standen nach Dutzenden Jahren im Unternehmen wenige Jahre vor dem Pensionsalter.