Kunsthalle Basel: Die Macht im Körper
Was geschieht, wenn ein privater Raum öffentlich ausgestellt wird? Und wie steuern Objekte unsere Handlungen? Lydia Ourahmane widmet sich diesen Fragen in ihrer aktuellen Ausstellung.
Hier eine Kommode, dort ein Sofa. Ein Esstisch mit vier Stühlen, ein Ofen und ein Bett. Und wir sind mittendrin, schreiten durch diese Wohnung, fühlen uns seltsam – seltsam neugierig, seltsam invasiv; wissen nicht so recht, wie wir uns bewegen sollen in diesem Raum, der irgendwie uns, aber irgendwie auch jemand anderem gehört. Hier nehmen wir unsere Schritte bewusster wahr, hinterfragen unsere Handlungen: Sollten wir die Kommode öffnen, in den Kleidern stöbern? Uns auf das Sofa setzen, in den persönlichen Notizen blättern, die dort herumliegen? Eigentlich könnten wir, ist es doch ein öffentlicher Raum. Aber irgendwie wirkt er auch privat.
Französische Fassaden
Für die Ausstellung in der Kunsthalle Basel brachte Lydia Ourahmane die gesamte Einrichtung ihrer Wohnung von Algier nach Basel. Und ähnlich, wie wir BesucherInnen nun mit fremdem Eigentum interagieren und uns dazwischen zu verorten versuchen, erging es auch der algerischen Künstlerin, als sie für zwei Jahre in jenes Land zog, in dem sie geboren worden war. Denn die Einrichtung ihrer Wohnung in Algier gehörte nicht ihr, sondern der verstorbenen Besitzerin. Die fremden Objekte beeinflussten, wie sich Lydia Ourahmane in der Wohnung bewegte. Sie begann zum Beispiel, Tee auf einem Silbertablett zu servieren – was sie vorher nie getan hatte. Ein triviales und doch pointiertes Beispiel, das verdeutlicht, wie Objekte unsere Handlungen steuern.
«Wenn man einen Raum besetzt, der sich in Objekten artikuliert, die einer anderen Person gehören, fängt man an, sich einer vorgegebenen Reihe von Gesten anzupassen», sagt die Künstlerin im Gespräch mit Elena Filipovic, der Kuratorin und Leiterin der Kunsthalle Basel.
Die Installation illustriert aber auch, dass Objekten gesellschaftliche Normen oder historische Ereignisse eingeschrieben sind: Geschlechterrollen oder koloniale Machtstrukturen. Letzteres lässt sich anhand einer doppelten Wohnungstür beobachten, die aus dem Mauerwerk herausgetrennt wurde und nun mitten im Ausstellungsraum steht. Die erste Türe ist aus Holz. Sie stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert und sollte das architektonische Erscheinungsbild der französischen Kolonialherrschaft reflektieren. Für Frankreich sei es wichtig gewesen, sich Algerien zuerst als Fassade anzueignen, «die Städte sollten französisch aussehen, wenn man mit dem Boot anlegte», so Lydia Ourahmane. «Architektonischer Kolonialismus legte grössten Wert auf Sichtachsen. Die Blaupausen der Haussmann’schen Wohnungen wurden von Paris aus auf die algerische Landschaft übertragen.»
Eine zweite, metallene Türe wurde dann während des Bürgerkriegs in den neunziger Jahren eingebaut, um zusätzlichen Schutz zu bieten. Dass sie mit fünf Schlössern ausgestattet ist, macht nicht nur die politischen Verhältnisse sichtbar, sondern auch deren Einfluss auf die einzelnen Körper. Die Schlösser mussten täglich auf- und abgeschlossen werden: ein performativer Akt, der Sicher- oder Unsicherheit bewusst vergegenwärtigt. Das einzelne Subjekt wird zum Austragungsort von gesellschaftlicher Unruhe und Gewalt.
Abhören und abgehört werden
Objekte beeinflussen unsere Handlungsmuster – manchmal subtil, manchmal brachial. Letzteres wird in der Ausstellung durch fünf Abhörgeräte deutlich, die erneut die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum befragen. «Ich wollte das Gefühl vermitteln, im häuslichen Bereich beobachtet zu werden, um so mit Assoziationen von Ruhe und Geborgenheit zu brechen», sagt Lydia Ourahmane. Und tatsächlich: Sobald wir die Abhörgeräte wahrnehmen, verändert sich unser Verhalten. Sprechen wir lauter oder leiser? Mustern wir die Umgebung misstrauischer, anstatt den Blick unbeschwert schweifen zu lassen?
Unser Körper wird allein durch die auffallende Präsenz der Abhörgeräte diszipliniert. Diese befinden sich in fünf Skulpturen aus Glas, auf der Kommode oder auf dem Nachttisch neben dem Bett. Jedes dieser Überwachungssysteme ist mit einer Telefonnummer versehen, die es ermöglicht, den Raum gleich selber zu belauschen: Alle können abhören, aber auch abgehört werden.
Ähnlich wie das Überwachungssystem unsere Wahrnehmung des Raums und des eigenen Körpers darin schärft, tut dies auch eine Soundinstallation: Im letzten Ausstellungsraum strahlt ein Laser aus dem Fenster der Kunsthalle über den Hof. Er reagiert auf Wind und Regen, wandelt die Störungen in elektrische Impulse und schliesslich in rumorende Geräusche um, die in der Kunsthalle zu hören sind. Gleichzeitig durchbricht unsere Bewegung die Geräuschkulisse, wenn wir einen weiteren Laserstrahl durchschreiten. Und auch diesmal werden wir achtsam, betrachten die Umgebung plötzlich neu.
Mit Lydia Ourahmane wird die Kunsthalle Basel zum Zwischenraum – zwischen innen und aussen, zwischen öffentlich und privat. Kurz lässt er uns in Ruhe, um uns dann wieder zu stören: mit rauschenden Geräuschen und fremden Objekten, zu denen wir uns verhalten müssen. Jede dieser Störungen schärft unser Bewusstsein für den eigenen Körper und die Machtstrukturen, die sich in ihm Bahn brechen.
Lydia Ourahmanes Ausstellung «Barzakh» ist noch bis am 16. Mai 2021 in der Kunsthalle Basel zu sehen. www.kunsthallebasel.ch