LeserInnenbriefe

Nr. 16 –

Erodierende Grundsätze

«Grundrechte: ‹Das Gesetz bringt nicht mehr Sicherheit›», WOZ Nr. 15/2021

Das Interview mit Beat Flach betreffend das Polizeimassnahmengesetz PMT bringt für mich in klarer und sehr differenzierter Weise zum Ausdruck, was mit diesem missglückten Gesetz geschehen soll: Nein zum PMT im Juni 2021 (aber Ja zu beiden Initiativen). Herzlichen Dank für dieses Interview – schön wäre, wenn Bundesrätin Keller-Sutter es sorgfältig lesen würde. Immerhin geht es beim vorgeschlagenen Gesetz um ein schleichendes Erodieren liberaler Grundsätze, wie Beat Flach ausführt. Das müsste einer FDP-Frau doch zu denken geben.

Lisbeth Mattle, per E-Mail

Viele Frauenhäuser

«Binationale Ehen: Safa Sebais Gefangenschaft», WOZ Nr. 15/2021

Im Artikel wird nicht erwähnt, dass es fast in jedem Kanton Frauenhäuser (www.frauenhaus-schweiz.ch) und Opferhilfestellen (www.opferhilfe-schweiz.ch) gibt. Die Frauenhäuser werden von der Opferhilfe finanziert, und ausgebildete Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagoginnen und Psychologinnen beraten und begleiten die Frauen und ihre Kinder. Sie vermitteln Anwältinnen und Therapeutinnen und helfen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, wenn gewünscht. Sie machen auch telefonische Beratungen für Betroffene, Angehörige oder Fachpersonen und stehen unter einer sehr strengen Schweigepflicht.

Es gibt also in der Schweiz nicht nur zwei Stellen, die den Migrantinnen in missbräuchlichen Situationen helfen.

Catherine Schmid, Bern

Auf halbem Weg gestoppt

«Spitalmarkt: Eine Knieprothese für den Wettbewerb», WOZ Nr. 15/2021

Dass der Recherchierfonds der WOZ diesem komplexen und wichtigen Thema Raum bietet, ist mehr als löblich.

Leider bleibt die Recherche auf halbem Weg stecken und fokussiert auf Fallpauschalen und Mengenausweitung als Ursprung allen Übels. Ein kurzer Blick in die Tabellen des Bundesamts für Statistik zeigt klar: Die Fallpauschalen sind und waren die Antwort auf die explodierenden Gesundheitskosten der 1990er Jahre.

Dass dieses umstrittene Instrument zur Mengenausweitung führte, hat noch ganz andere Gründe. Gründe, die im Lead lediglich angetönt und im Artikel nur gestreift werden: Die Rede ist von Milliardeninvestitionen in Spitalneubauten im Wettbewerb um Patienten und die entsprechenden Fallzahlen.

Dahinter steckt letztlich die mangelnde kantonsübergreifende Spitalplanung und die daraus resultierende Überzahl an Spitalbetten. Die Schweiz zählt weltweit zu den Ländern mit der höchsten Spitaldichte. Schuld daran sind aber nicht nur «böse» Investoren, sondern die schiere Unmöglichkeit einer Spitalschliessung an Orten, wo mehrere Spitäler geografisch nahe beieinanderliegen und alle rasch erreichbar sind. In der Regel zeigt die ansässige Bevölkerung kein Verständnis, wenn ihr vertrautes Spital geschlossen werden soll und sich die Fahrzeit zum nächsten um eine Viertelstunde verlängert. Dabei sind die meisten Eingriffe planbar und keine Notfälle. Zudem verbessern höhere Fallzahlen in einem Spital erwiesenermassen die Qualität der Eingriffe.

Von Bern über Basel bis St. Gallen kämpften in den vergangenen Jahren Ansässige gegen die Schliessung «ihrer» meist unrentablen Spitäler (zuweilen angeheizt von Klinikdirektoren und Chefärzten, die um ihre Stellen bangten). Doch folgt darauf die jährliche Prämiensteigerung der Krankenkassen, geht das Jammern in der Bevölkerung von neuem los!

Eine Fortsetzung in der WOZ unter dem Aspekt Spitalplanung in der Schweiz ist wünschenswert.

Bruno Bonometti, per E-Mail

Haar in der Suppe

«Trinkwasserinitiative: Vollgas ohne Geld vom Staat», WOZ Nr. 13/2021

In dem Artikel gehen beim Versuch, Pro und Kontra der Trinkwasserinitiative (TWI) auszuleuchten, die grösseren Linien leider völlig verloren. Die auf Pestiziden und Kunstdünger aufgebaute industrielle Landwirtschaft ist – wie die Verfasserin ja zweifellos weiss – ein Paradebeispiel für ein Wirtschaften, das nur auf maximale Produktion aus ist und die katastrophalen ökologischen Folgen weitgehend ausklammert.

Diese Landwirtschaft zerstört die Böden, vergiftet das Grundwasser, schädigt die Biodiversität und ist einer der grossen Treiber der Erderwärmung. Und diese Landwirtschaft wird in der Schweiz jährlich mit Subventionen in Höhe von Milliarden von Franken unterstützt. Hier setzt die TWI an, die Direktzahlungen nur noch für Landwirtschaftsbetriebe vorsieht, die auf synthetische Pestizide verzichten.

Und was macht die WOZ mit diesem Artikel? Sie findet das Haar in der Suppe der Initiative mit ein paar Grossbauern, die drohen, bei Annahme der Initiative auf die Direktzahlungen zu verzichten und, falls nötig, noch mehr zu giften als vorher. Das mag in der Tat in Einzelfällen ärgerlich sein, ist aber eine Lappalie im Vergleich zum heutigen Einsatz von jährlich weit über tausend Tonnen synthetischer Pestizide.

Da die Politik nichts ausser einem völlig unverbindlichen «Pestizid-Absenkungspfad» zu bieten hat – selbst die Agrarreform 22+ mit ihren kleinen Schritten in Richtung mehr Ökologie hat das Parlament kürzlich versenkt –, sind die Trinkwasser- und Pestizidinitiativen die einzigen Möglichkeiten, um politisch einen wirklichen Wandel herbeizuführen. Sie müssen von allen progressiven Kräften ohne Wenn und Aber unterstützt werden.

Peter Halter, per E-Mail

Der Ökologische Leistungsnachweis (ÖLN), den die Landwirtschaftsbetriebe heute für den Erhalt von Subventionen erfüllen müssen, ist im Bereich der Pestizide und der Gülle zum Teil weniger streng als die geltenden Gewässer- und Umweltgesetze. Intensiv produzierende Betriebe verstossen mit dem Segen des ÖLN gegen das Gesetz. Die Trinkwasserinitiative (TWI) will den ÖLN gesetzeskonform verschärfen.

Wenn LandwirtInnen erwägen, bei einem Ja zur TWI auf Subventionen zu verzichten und stattdessen noch mehr Pestizide, Kraftfutter, Tiere und Antibiotika einzusetzen, so kennen sie entweder die Umweltgesetze nicht, oder sie zählen darauf, nicht kontrolliert zu werden. Und wem wollen sie ihre Produkte verkaufen, nachdem sich die Mehrheit der SchweizerInnen für eine ökologische Landwirtschaft ausgesprochen hat? Werden sie bei den Grossverteilern die gleichen Preise erzielen wie die ÖLN-LandwirtInnen? Wohl kaum!

Bei Annahme der TWI bleiben die LandwirtInnen gegenüber dem Ausland qualitativ konkurrenzfähig. Zusätzlich profitieren sie bei der anspruchsvollen Umstellung von Schulungs-, Beratungs- und Investitionshilfen. Und in der Forschung fliessen endlich mehr als die heutigen zehn Prozent der Gelder in die nachhaltige Produktion.

Weil im Initiativtext «Pestizide» und nicht «synthetische Pestizide» steht, behauptet die Gegenseite, bei einem Ja zur TWI wären auch die im Biolandbau erlaubten Mittel betroffen. Damit wird systematisch Verunsicherung erzeugt. Wir alle wissen, dass Verfassungstexte nicht wortgetreu ausgelegt werden, sondern entsprechend der Parlamentsmehrheit und damit im Sinn der Landwirtschaft.

Die Agrarlobby hat bekanntlich einen Stopp der Agrarreform (AP 22+) erreicht. Sie soll erst nach dem – von eben dieser Lobby erhofften – Scheitern der TWI wieder aufgenommen werden, diesmal ohne ökologischen Druck. Alles wird beim Alten bleiben. Dies wird zu einem Trauerspiel für die Biodiversität und die Qualität unserer Böden und unseres Wassers werden.

Annemarie Keel, Zürich