Serie: Fernweh und Bildersucht

Nr. 16 –

In der Erinnerung wird «The Serpent» wohl auf immer mit dem Pandemiewinter 2021 verhakt bleiben. Während man selbst seit mehr als einem Jahr im eigenen Land festsitzt, reist auf dem Bildschirm ein perfekt durchgestylter französischer Serienmörder mit seiner Geliebten durch das Südostasien der siebziger Jahre und vergeht sich mit unerschöpflicher Energie und engelsgleichem Lächeln an der dort herumhängenden europäischen Travellergemeinde.

Er tötet, mal quälend langsam mit Gift, mal rasch mit blossen Händen. Auch macht er sich einen Spass daraus, seine Opfer zuerst in sein Leben zu locken. Danach verwischt der Edelsteinhändler geübt die Spuren, behält aber Wertsachen und Pässe und entkommt mithilfe dieser gestohlenen Identitäten der trägen, in Papierbergen versinkenden Polizei jahrelang problemlos.

Seine Gefühlskälte bleibt gänzlich unberührt von der tropischen Hitze, während man selbst dahinschmilzt angesichts der unwiderstehlichen Ansichten von Bangkok, Hongkong, Kathmandu. Die Folgen: tiefes Fernweh und eine Sucht nach immer mehr Bildstoff. Immerhin acht Folgen lang gewährt «The Serpent» ästhetischen Aufschub von der bleiernen Pandemie des Alltags. Gleichzeitig nährt die britische Serie die Nostalgie nach einer Zeit vor der Digitalisierung, vor dem Massentourismus – und vor dem Grounding in der eigenen Wohnung.

Erzählt wird in ausladenden Schlaufen und nicht immer ganz einleuchtenden Zeitsprüngen. Das von Tahar Rahim und Jenna Coleman gespielte modische Mörderpaar gibt Rätsel auf, aber keinerlei Anlass für Sympathien. Das gilt allerdings genauso für die Opfer, und auch die Ermittelnden verströmen eher Verzweiflung als Identifikationspotenzial. Bekannte Krimimechanismen funktionieren also nicht. Vielmehr kann man aus sicherer Distanz der allmählichen Verfertigung und mehrfachen Häutung einer wahrhaft schlangengleichen Persönlichkeit beiwohnen.

Wer den Fall googelt, erfährt mit einem letzten Schaudern, dass der schillernde Killer Charles Sobhraj einem real existierenden Vorbild nachgeformt ist.

«The Serpent». Showrunner: Richard Warlow. Ursprünglich BBC, jetzt auf Netflix.