Auf allen Kanälen: «Ausländische Agenten»
Die Repression gegen die russische Opposition hat ein neues Niveau erreicht. Vor allem unabhängige Medien sind dem Regime ein Dorn im Auge.
«Dieser Inhalt wurde von einem ausländischen Massenmedium erstellt und/oder verbreitet, das die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt, und/oder einer russischen juristischen Person, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt.»
Stellen Sie sich vor, die WOZ müsste jedem Beitrag, Tweet oder Facebook-Post einen solch umständlich formulierten Warnhinweis in doppelter Schriftgrösse voranstellen. Würden Sie dem Medium dann noch Glauben schenken?
Genau dazu ist das russische Onlineportal «Meduza» verpflichtet, seit das Justizministerium es vor zwei Wochen ohne Vorankündigung als «ausländischen Agenten» gebrandmarkt hatte. Für «Meduza», eines der wichtigsten unabhängigen Medien in Russland, hat der Entscheid fatale Konsequenzen: Dem überwiegend werbefinanzierten Portal, das seinen Sitz im lettischen Riga hat, laufen die WerbekundInnen scharenweise davon. Wer will schon den Imageschaden riskieren, den eine solche Meldung neben der eigenen Reklame bringt?
Hilferuf an LeserInnen
Fatal sind die Folgen aber nicht bloss für das Geschäftsmodell, sondern auch für den Journalismus. So müssen auch die AutorInnen die Einstufung als «ausländische Agenten» befürchten; zudem dürften «Meduza» nun Quellen, Expertinnen und Interviewpartner wegen Angst vor Repression abhandenkommen. «Das Justizministerium führt einen politischen Entscheid der russischen Führung aus – mit dem Ziel, ‹Meduza› zu töten», heisst es in einer Stellungnahme.
Gelungen ist das den Behörden bisher nicht. Stattdessen gab «Meduza» die Büros in Riga und Moskau auf, trennte sich von freien MitarbeiterInnen, kürzte die eigenen Löhne – und bat die LeserInnen um finanzielle Hilfe. Das sichert dem beliebten Portal in den kommenden Monaten wohl das Überleben; wie es danach weitergeht, ist völlig unklar.
«Meduza» ist nicht das erste Medium, gegen das die Behörden auf diese Weise vorgehen. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch das vom US-Kongress finanzierte Radio Swoboda. Doch der Angriff auf «Meduza», das in den über sechs Jahren seines Bestehens zu den qualitativ hochwertigsten Medien des Landes geworden ist, zeigt exemplarisch, was dem Regime ein Dorn im Auge ist. Das Portal ist vor allem bei Jungen beliebt – und gerade bei dieser Zielgruppe scheint der Kreml Angst davor zu haben, den Zugriff zu verlieren. In dieses Muster passt auch ein weiterer Fall, der in Russland zurzeit für Aufsehen sorgt: der Angriff auf das studentische Onlinemagazin «Doxa».
Vom Geheimdienst abgeholt
Alles begann mit einem harmlosen Video, das «Doxa» am 22. Januar publizierte – einen Tag, bevor Zehntausende Menschen im ganzen Land zur Unterstützung von Alexei Nawalny auf die Strasse strömten. «Sie können die Jugend nicht besiegen» lautete der Titel des Beitrags, in dem StudentInnen dazu aufgerufen wurden, ihren Protest «mit friedlichen Mitteln» zum Ausdruck zu bringen. Darin erfolgte auch der Hinweis, dass die (vielfach belegten) Drohungen, StudentInnen wegen der Teilnahme an Demos von der Uni auszuschliessen, illegal seien. Wenige Tage nach der Veröffentlichung musste das Video auf Anordnung der Medienaufsicht entfernt werden.
Mitte April durchsuchte die Polizei die Redaktionsräume von «Doxa» und mehrere Wohnungen. Vier RedaktorInnen wird nun vorgeworfen, junge Menschen zu «illegalen Handlungen» aufgerufen zu haben; ihnen drohen bis zu drei Jahre Haft. Bis zum Gerichtsverfahren stehen die Beschuldigten unter Hausarrest. Die Menschenrechtsorganisation Memorial – selbst ein «ausländischer Agent» – stuft die Medienschaffenden als «politische Gefangene» ein und fordert ihre sofortige Freilassung.
Zuletzt hat die Repression gegen die Opposition ein neues Niveau erreicht. So wurde auch Alexei Nawalnys Antikorruptionsfonds als «extremistisch» verboten und der prominente Anwalt Iwan Pawlow, der zahlreiche Personen in politischen Prozessen verteidigt hat, vom Geheimdienst abgeholt. Journalistinnen, Lehrer und viele andere KritikerInnen bekamen für die «Teilnahme an unbewilligten Aktionen» Besuch von der Polizei und administrative Strafen. Es scheint, als fürchte das Regime im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahl den Unmut einer Bevölkerung, deren ökonomische Situation immer schlechter wird. Umso mehr stören da die ChronistInnen dieser Misere.