Sophie Taeuber-Arp: Wer hats erfunden?

Nr. 19 –

Sie ist eine jener Künstlerinnen, die lange vom männlichen Kanon überschattet wurden. Das Kunstmuseum Basel widmet Sophie Taeuber-Arp nun eine grosse Retrospektive. Was ausgerechnet zu kurz kommt, ist eine geschlechtergeschichtliche Perspektive.

Dreidimensional gedacht: Sophie Taeuber-Arps «Bewegtes Kreisbild», 1934. Kunstmuseum Basel, Schenkung Marguerite Arp-Hagenbach; Foto: Martin P. Bühler

Auf dem Ausstellungsplakat blickt uns Sophie Taeuber-Arp direkt entgegen; ihr rechtes Auge bleibt von einem ihrer «Dada-Köpfe» verdeckt. Dass eine dieser Holzskulpturen 2003 für eine Million Euro vom Centre Georges Pompidou erworben wurde, verdeutlicht: Heute gilt Taeuber-Arp als eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

Allerdings wurde sie erst während der letzten Jahrzehnte als solche anerkannt, was einmal mehr die Macht des männlich geprägten Kanons der Kunstgeschichte beweist. Entsprechend wurde ihr Werk oft nicht als eigenständig betrachtet, sondern stets in Beziehung zu jenem ihres berühmten Ehemanns Hans Arp. Symptomatisch dafür ist eine Aussage im Ausstellungskatalog anlässlich der ersten Retrospektive, die 1981 im Museum of Modern Art in New York stattfand: «Taeuber-Arp hat nur wenige Schriften hinterlassen, aber wir haben das wortgewandte Zeugnis von Hans Arp.»

Zwischen zwei Weltkriegen

Dass ihr Schaffen lange nicht umfassend rezipiert wurde, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist das Werkverzeichnis, das Hans Arp nach ihrem Tod herausgab. Im Versuch, seine Frau als abstrakte Künstlerin zu positionieren, liess er ihre angewandte Kunst aussen vor. Diese ist aber ausschlaggebend für ihr disziplinübergreifendes Schaffen. Auf diese Leerstelle bezieht sich nun die Retrospektive im Kunstmuseum Basel. Sie stellt Sophie Taeuber-Arp nicht nur als wichtige Vertreterin der Abstraktion vor, sondern zeigt auch ihre Glasperlenbeutel, Halsketten, Stickereien, Innenausstattungen, Buntglasfenster und Möbel.

Massgebend für den Schritt in die angewandte Kunst war ihre Ausbildung an der Debschitz-Schule in München, die vom Arts and Crafts Movement beeinflusst war: Als Gegenentwurf zur industriellen Produktion betonte die britische Bewegung die Nähe von Handwerk und Kunst. Dennoch wurde diese angewandte Kunst immer wieder abgewertet, weshalb die Arbeiten von Taeuber-Arp lange nicht dieselbe Aufmerksamkeit erfuhren wie jene der «hohen» Kunst.

Ihr Versuch, angewandte mit freier Kunst zu verbinden, passte gut zur antibürgerlichen Haltung des Dadaismus, in dessen Kreisen Sophie Taeuber-Arp verkehrte, als sie nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die Schweiz flüchtete. Sie gestaltete Kostüme, Bühnenbilder und Marionetten, etwa für ihre Inszenierung «König Hirsch», die 1918 erstmals aufgeführt wurde und nun in einem Kurzfilm im Kunstmuseum nachempfunden wird.

Taeuber-Arp lebte in turbulenten Zeiten zwischen zwei Weltkriegen, die Spanische Grippe verhinderte etwa die weiteren Aufführungen von «König Hirsch». Während jenseits der Grenze in den dreissiger Jahren abstrakte Kunst als «entartet» deklariert wurde, fand 1937 in der Kunsthalle Basel die Ausstellung «Konstruktivismus» statt – ein Kontrast, der einmal mehr die Ambivalenz jener Zeit offenlegt.

Auch in dieser Ausstellung fand Sophie Taeuber-Arp nur wenig Beachtung. Neben Marlow Moss war sie die einzige gezeigte Künstlerin. Lediglich eine ihrer Malereien ist auf einer der Fotografien, die die Schau dokumentierten, ansatzweise zu erkennen. Gut sichtbar sind hingegen die konstruktivistischen Werke von El Lissitzky und László Moholy-Nagy.

Das Kunstmuseum Basel möchte dem nun ein neues Narrativ entgegensetzen und zeigt das «Bewegte Kreisbild» oder das bemalte «Relief» von Taeuber-Arp an prominenter Stelle. Beide Werke stehen für Taeuber-Arps abstraktes Werk, in dem sie nicht nur zwei-, sondern auch dreidimensional dachte. Beim «Relief» etwa werden die trichterähnlichen Formen als Kreise wahrgenommen, sobald diese nicht mehr seitlich, sondern frontal betrachtet werden. Diese Errungenschaft wird man später Künstlern wie Donald Judd zuschreiben. Dass auch ihre «Staffelung», eine Malerei, die aus übereinandergestapelten Formen besteht, bis heute mit den viel später geschaffenen «Stacks» von Judd als Referenz verglichen wird, verdeutlicht wiederum die Dominanz des männlichen Kanons, der unweigerlich den Massstab vorgibt.

Lebensnahe Abstraktion

Ausstellungen wie jene im Kunstmuseum Basel sind notwendig, um das umfangreiche Schaffen von Sophie Taeuber-Arp weiter aufzuarbeiten, darunter nicht nur ihre freie und angewandte Kunst, sondern auch ihre Vorstellung, dass Abstraktion lebensnah und nicht zwingend elitär sein muss, wie etwa bei Kandinsky oder Malewitsch. Obwohl die Retrospektive in ihrer Anlage auf eine geschlechtergeschichtliche Perspektive verweist, wird diese in den Ausstellungsräumen nicht explizit zur Sprache gebracht.

Dass Taeuber-Arp erst Ende der 1970er Jahre umfassend rezipiert wurde, hängt nicht zuletzt mit Geschlechterdiskriminierung zusammen, die sich bis heute niederschlägt: Ihr Werk geriet eben nicht nur durch die Unterscheidung zwischen «niedriger» und «hoher» Kunst in Vergessenheit, sondern auch, weil «männliche» und «weibliche» Kunst nicht gleichgestellt waren. Um unsere Aufmerksamkeit für Künstlerinnen zu schärfen, die sich jenseits des männlichen Kanons finden, gilt es auch, jene gesellschaftlichen und kunstbetrieblichen Dynamiken in den Blick zu nehmen, die das Schaffen einiger weniger herausstellen, die Werke vieler anderer aber unsichtbar machen.

«Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion» ist noch bis am 20. Juni 2021 im Kunstmuseum Basel zu sehen. www.kunstmuseumbasel.ch