Artpop: Kein Ton unversehrt

Nr. 20 –

«Monsters», das beeindruckende zweite Album von Sophia Kennedy, steckt voller wundersamer Ornamente und fragwürdiger Sounds.

Kein besonderes Interesse an Reinheitsfragen: Sophia Kennedy. Foto: Benjakon

Die Sängerin liegt gefesselt am Strand. Tiere werden kommen, singt sie, und gierig auf ihren Leib am Boden starren. Sie werden an der Haut zerren und an den Knochen nagen, bis diese nur noch bleich in den Himmel grinsen. Es wird kein Schmerz mehr sein, raunt ihre Stimme mit dunkler Ergebenheit nah an unsrem Ohr: «Ich werde lange Zeit fort sein.» Als habe jemand die Saiten falsch aufgezogen, leiert die Musik dazu, die Stimme verwischt in Schichten, bis sie als hell verfremdeter Geisterchor über einem bösen Synth-Bass wie aus sumpfigen Lagunen schwebt.

Mit dieser romantischen Horrorszene führt Sophia Kennedy in ihr zweites Album ein: Es heisst «Monsters» und erzählt von Ängsten und Unschärfen, vom Taumeln der Vernunft und auch vom Tod – Schicksal ist geschehen, Leben wird gelebt, Menschen sind gestorben, der Vater, die Grosseltern.

Beherztes Regelbrechen

Der erste Titel, «Animals Will Come», setzt den Ton für einen unsteten Trip aus dreizehn Liedern, deren roter Faden aus ständiger Gestaltwandlung entsteht. Kennedy wirbelt durch Genremotive und Zitate, kein Ton bleibt unversehrt, kein Instrument rein, und die Melodien brechen beherzt harmonische Regeln – ein schönes Beispiel für den heutigen Artpop, der sich nicht mehr an der Logik von Genres und Geschichte orientiert, sondern an der horizontalen Ordnung der Netzarchive und Playlists.

Die 31-jährige Sängerin, Musikerin und Produzentin wurde in Baltimore, Maryland geboren und kam mit neun nach Göttingen, später studierte sie Film in Hamburg. Als 2017 das mit ihrem Namen betitelte Debüt erschien, hatte die Musik für sie längst Priorität, aber die szenische Anlage in Text und Sound war nicht zu überhören. Schon damals interessierte sich Sophia Kennedy nicht besonders für Reinheitsfragen. Ihren quirligen Pop baute sie gleichermassen aus analogen und digitalen Quellen, legte Beats unter klassische Songstrukturen, mit deutlichen Verweisen auf Broadway, Disney und Beach Boys.

Auch diesmal folgt die Stimme der Dramaturgie, aber wie den Sound gestaltet Kennedy auch ihren Gesang freier aus. Er erscheint in vielerlei – höchst überzeugenden – Ausprägungen: mit dunklem Timbre, damenhaft hell, wie ein verängstigter Teenager. In «Seventeen» wimmert sie fast, singt von der Angst vor allem, und der billige Instantbeat, die undeutliche Orgel und die quäkend fremden Oboen verschärfen die Erinnerung. In «Francis» schaut sie, eine Oktave tiefer singend, mit beinah gnadenloser Strenge einem Absturz von der Jeunesse dorée ins heulende Elend zu. Synthetische Stimmen kichern, ein übersteuerter Subbass schlägt tief ein, und Streicher bibbern paranoid, bevor sie die Tonlagen tauschen und einem richtig mulmig wird. In «Orange Tic Tac» wiederum erinnern eine leiernde Bluesgitarre und eine traurig gedimmte Orgel an einen Beat des Rappers RZA – bis die Stimme in einen wunderbar geschmeidigen Popchorus abbiegt.

Permanente Verunsicherung

Mitkomponiert und -produziert hat das Album erneut Mense Reents, der als Keyboarder der Goldenen Zitronen auch ein gestandener Dramafuchs ist. Anderthalb Jahre haben er und Kennedy an «Monsters» gearbeitet, und so lässig, wie sie zuvor die Genres verschoben haben, so sorgfältig widmen sie sich hier der Mikroebene, der musikalischen Textur. All die wundersamen Ornamente, fragwürdigen Sounds und komischen Kombinationen von Sounds allein sind beeindruckend. Dabei fällt das Album nicht gesamthaft düster aus. Es liegt vielmehr eine permanente Verunsicherung in der Luft, die auch harmonische Lichtblicke sofort anzweifelt: «Du bist überall / Ich bin nicht wirklich hier» singt Kennedy über einen Verstorbenen.

Wie auf dem Debüt taucht die halb vergessene Heimat Baltimore auf, und während dort ein Dialog mit dem Grossvater ins Album führte, begleitet uns nun, im sphärisch-psychedelischen «Dragged Myself into the Sun», ihre Grossmutter hinaus. «Wichtig ist, dass du dir sicher bist voranzukommen», hört man ihre kraklige Telefonstimme: ein «Kopf hoch» aus dem Jenseits.

Sophia Kennedy: Monsters. City Slang/Rough Trade. 2021