Wichtig zu wissen: Das Ende der Pause

Nr. 20 –

Ruedi Widmer erschrickt ob seiner Heimatstadt und empfiehlt eine TV-Serie und ein Cartoonbuch

Ich vermelde, nicht mit noch einer Meinung zu Israel und Palästina zu kommen, aber ich verurteile jeglichen Antisemitismus deswegen.

Und unabhängig davon empfinde ich etwas Erbarmen mit dem Jungkanzler in Wien. Nachdem er von der linken Opposition wegen seiner kaiserlichen u. korrupten Hinterzimmereien und von den Rechtsradikalen aus der FPÖ wegen des Rausschmisses von Ibiza-Strache angegriffen wird, beschimpft ihn nun auch noch der türkische Präsident Erdogan wegen des Hissens der Fahne Israels auf den Regierungsgebäuden: «Ich verfluche den österreichischen Staat.» Und ebenso unabhängig davon schaue ich seit einigen Wochen «Shtisel» auf Netflix, die hervorragende und lustige israelische Serie über eine ultraorthodoxe Familie in Jerusalem.

Die Welt wird schwarzweisser, trotz immer raffinierterer Farbbildschirme. Wer mit Mittelalterverherrlichungen wie «Star Wars» und «Game of Thrones» oder in Winterthur aufwächst, isst vermutlich als Erwachsener lieber Gut-Böse-Toast, als sich die differenzige Butter der Demokratie aufs Brot zu streichen.

In der beschaulichen Extremistenstadt treffen sich nämlich laut «Tages-Anzeiger» jugendliche IS-Sympathisanten unter der sog. Hitler-Eiche bei der Sportanlage Deutweg. Ich wusste nicht, dass wir eine solche im Quartier haben (die Medaillengewinner der Olympischen Spiele in Berlin 1936 erhielten vom Gastgeber je einen Setzling).

Am Impfstmontag setze ich meine Spritze; es dürfte das Pfizer-Produkt sein. Jetzt gehts los, der pfize ist hize. Kommt alle, es wird ein rauschendes Fest! Endlich raus aus der Gefangenschaft des Internets, ich will analog schreien, tanzen, singen und jubilieren, wie es den CoronademonstrantInnen längst erlaubt ist.

Da biegt das Schweizer Cartoonduo Pause ohne Ende mit seinem schönen orangen Buch (Edition Moderne, 320 Seiten, sehr v. Abb., m. thematischem Index) gerade rechtzeitig um die Ecke; es ist ganz undigital unterwegs, nur mit einem Fineliner schreibt und zeichnet es Absurditäten auf Zettel – in einer Art und Weise, die sehr ungehobelt ist, aber bereits seit Jahren auch in der Zeitung der Roten Fabrik und der Satirezeitschrift «Titanic» überzeugt.

Matthias Hachen ist Illustrator und Mischa Hedinger Filmemacher. Ihre Gedanken leben sie auch in Kunstinstallationen aus; gut für die Kunstwelt, wo Humor selbst heute eher noch eine Randerscheinung ist. Die grosse Qualität der beiden ist, dass sie einfach drauflosmachen. Thematisch ist alles möglich, politisch Unkorrektes, Rabiates, Tierisches, Abartiges und Perverses, Pointiertes und Pointenloses, und immer angenehm ohne irgendwelche Absichten und Missionen.

Nicht alles ist gleich lustig, oft ist es auch einfach doof, aber selbst das weniger Lustige wird durch die sagenhaft schnelle Zeichnung ebenso komisch wie das stark Lustige (z. B. «Socken – die Leggins des kurzbeinigen Mannes»), weil die hingekrakelten Figuren den unmittelbaren Spass der Zeichnenden im Moment der Schöpfung widerspiegeln. Da muss ich Hachen/Hedinger einen grossen Zeichnerkranz winden. Natürlich profitieren Pause ohne Ende wie ich selbst von der Vorarbeit von z. B. dem Duo Rattelschneck, das die Art und Weise des einst noch als unstatthaft geltenden «absichtlich nicht richtig Zeichnens» in den achtziger Jahren eingeführt hat. Rattelschneck gab sich aber im Gegensatz zur Pause ohne Ende wenigstens noch ab und zu Mühe, seine hingerotzten Zeichnungen mit schon halb eingetrockneten Filzstiften halbwegs auszumalen, über die Ränder hinaus. Hachen/Hedinger machen schon gar keine Anstalten mehr, etwas auch nur ansatzweise auszumalen. Um sich ausmalen zu können, wie Pause ohne Ende aussieht, sei das Buch wärmstens empfohlen (als Geschenk zur bestandenen Impfung z. B.).

Ruedi Widmer ist Cartoonist und verbringt Impfsten in Winterthur.