Fumoir: Swiss Style statt Swissness

Nr. 18 –

Ruedi Widmer beklagt die verödete Werbelandschaft

Kürzlich habe ich die Ausstellung «100 Jahre Schweizer Grafik» im Museum für Gestaltung Zürich besucht. Nach einer Stunde war ich beschwingt und um eine Einsicht reicher: Man sollte alle aktuellen Werbe- und Marketingleute an einem schönen Ort, vielleicht auf dem Rütli, zusammentrommeln und ihnen heftig die Leviten lesen.

Es gibt eine unüberschaubare Auswahl von Autos. Daihatsu Materia 2WD, Audi Q3, Hyundai Veloster, Nissan Qashqai, Ford S-Max oder Ssang Yyong Korando. Die Gefährte mit diesen schrecklichen Namen fahren auf den Strassen herum, und eines sieht aus wie das andere. Die Werbung für diese Unprodukte ist die Werbung, die uns im Internet anblitzt und auf den Plakatwänden anödet. Der Markt produziert Kopien von Kopien von Kopien. Es gibt keinen VW Golf mehr oder einen Porsche 911.

Und wenn ich den wöchentlichen Anruf von Talk Easy bekomme, bei dem mich eine ungehobelte Person beschimpft, weil ich nicht deren Telefonnetz benutzen will (einmal war es sogar eine betrunkene Person), oder ein Mailing von der x-ten neuen Krankenkasse, die von «hervorragender Qualität», «Emotionen» und «Momenten» labert, dann fühle ich den blanken Hass auf dieses ganze Marketinggesindel, das alle Kanäle mit dummem Geschwätz verstopft.

Wer sich letztere Produkte ausdenkt, soll auf seine Werbung schreiben: «Unser Ziel: Unser Gewinn!» Das entspräche dem in der Ausstellung gezeigten sachlichen grafischen Swiss Style zwischen den vierziger und den siebziger Jahren. Er versprach nur das, was drin war.

Ich sammle alte Schweizer Werbeplakate. Nicht die legendären und teuer gehandelten, sondern die B-Liga. Gute Qualität (ja, dieses Unwort ist hier noch angebracht) von eher unbekannten Gebrauchsgrafikern. Ein Plakat von Coop aus den sechziger Jahren: Ein gezeichnetes lachendes Kreidemännchen auf knallblauem Hintergrund umarmt ein knuspriges Brot und hält ein oranges Fähnlein mit dem «co-op»-Logo in der Hand. Formsicher, charmant. Jetzt aber: Es steht auf diesem Plakat nicht: «Coop-Brote – für Ihre ganz speziellen Frühstücksmomente», oder: «Coop-Brote bringen Emotionen auf den Küchentisch» oder so ein Käse. Nein, es steht gar nichts drauf. Die «Emotion» ist ja schon da: das frische Brot!

Mir scheint, als spürten viele gegenwärtigen Marketingleute diese «Emotionen» nicht, wenn sie nicht angeschrieben sind. Und weil sie in ihrer Ausbildung streng nach Schulbuch gelernt haben, was auf einer Werbung drauf sein muss.

Es gab eine Zeit, als der Gründer von ABM direkt zum Grafikerpaar E. & U. Hiestand ging und sagte: «Erfindet mir eine intelligente grafische Formensprache.» Einfach so, ohne alles einebnende MarketingspezialistInnen, Publikumsumfragen, wissenschaftliche KonsumentInnenanalysen.

Das Mühselige, Verkrampfte und letztlich auch Lieblose der meisten aktuellen Werbungen entsteht durch die Unsicherheit der Auftraggeber und die Verweigerung aller Beteiligten, Verantwortung zu übernehmen. Es wird alles hundertfach abgesichert, weil es um viel Geld geht. Diese Angst überträgt sich auf die Leute, die für die Auftraggeber Werbung machen. Die grassierende Swissness-Welle ist das Gegenteil des Swiss Style: Swissness ist Angst, Angst, den Konsumentinnen und Konsumenten nicht schweizerisch genug zu sein. Swissness ist so spiessig wie der Mundartpop von Plüsch.

Der Swiss Style hingegen ist derart direkt, dass er auch heute noch moderner aussieht als Werbung der neunziger Jahre. Der Swiss Style hat etwas, das einem Grossteil der Konsumwirtschaft fehlt: Haltung.

Ruedi Widmer aus Winterthur ist eigentlich Grafiker, wenn er nicht Cartoonist ist.