Antiterrorstrategie heute: Die Mär vom wehrlosen Staat

Nr. 21 –

Das Polizeigesetz PMT solle eine «Lücke» schliessen, sagt der Bundesrat im Abstimmungskampf. Unser Autor jedoch zeigt: Schon heute kann allein eine Whatsapp-Nachricht als «Terrorunterstützung» gelten.

Von terroristischen Anschlägen wurde die Schweiz bisher weitestgehend verschont; in den letzten Jahren aber hat sie ihren eigenen «War on Terror» lanciert. Nun soll durch präventive polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT), die ausserhalb jeglicher Strafbarkeit zum Zug kämen, das Arsenal weiter ausgebaut werden.

In der Abstimmungsdebatte scheint oft Unklarheit darüber zu herrschen, welche Möglichkeiten die Behörden im Antiterrorkampf heute haben. Neben den (rege angewandten) Administrativmassnahmen – Ein- und Ausgrenzungen im Migrationsbereich, Ausweisungen und Ausreiseverbote für AusländerInnen, Entzug der Staatsbürgerschaft, «Gefährderansprachen» und Begleitung im Rahmen der kantonalen Gefahrenabwehr – ist das Strafrecht das Herzstück der (repressiven) Prävention. Da die PMT angeblich eine «Lücke schliessen» sollen, weil man derzeit erst nach einer Straftat eingreifen könne, wie der Bundesrat behauptet, lohnt sich ein genauer Blick auf die strafrechtliche Terrorbekämpfung im helvetischen Kontext.

Verschiebung in «präventive Sphäre»

Tatsächlich kann heute nicht erst eingegriffen werden, wenn eine Straftat begangen wurde, sondern schon bei einem Tatverdacht. Zudem stellt sich die Frage, was eine Straftat im Terrorismusbereich überhaupt beinhaltet. In der Schweiz steht die «Beteiligung» an einer oder die «Unterstützung einer terroristischen Organisation» unter Strafe. Untersucht man die Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts in diesem Bereich – 15 Verhandlungen und 29 Angeklagte seit 2004 – wird deutlich, dass die beiden Begriffe über die Jahre immer breiter gefasst wurden. Schon heute werden Handlungen kriminalisiert, die sich von jeglicher Gewalttat losgekoppelt abspielen.

Die Beispiele dieser Verschiebung sind schlagend: So wurde ein Mann für das Teilen von sechs Fotos auf Facebook verurteilt, wobei auf einem die IS-Flagge zu sehen war. Drei Personen erhielten für die Veröffentlichung eines Interviews mit einem Rebellenführer im syrischen Bürgerkrieg bedingte Freiheitsstrafen von bis zu zwanzig Monaten. Einem Mann wurde eine bedingte Geldstrafe auferlegt, weil er drei Bilder mit IS-Propaganda per Whatsapp an einen Freund verschickt hatte. Ein anderer wurde dafür bestraft, ein Foto von IS-Hinrichtungen auf Facebook unkritisch kommentiert zu haben. In allen Fällen hielt das Gericht fest, die Personen hätten Propaganda für eine Terrororganisation betrieben und diese dadurch unterstützt.

Das sind im Übrigen keine Ausnahmen: Der Grossteil der Schweizer «Terroristen» sind Personen, die eher im Netz als auf der Strasse zur Tat geschritten sind. Auch wenn die meisten Strafen für solche «Propagandaaktionen» bedingt ausgesprochen werden, gelten sie als «verurteilte Terroristen», mit allen Konsequenzen, die dieses Label auf persönlicher, sozialer und rechtlicher Ebene nach sich zieht.

Ein Form von Gesinnungsstrafrecht

Führt man sich diese extreme Vorverlagerung des Strafrechts vor Augen, drängt sich die Frage auf, wo die PMT überhaupt ansetzen sollen. Hier gibt es drei Möglichkeiten: Einerseits könnten die Massnahmen im zurzeit nicht strafbaren Bereich zum Einsatz kommen, was im Einklang mit den Aussagen der BefürworterInnen stünde. Konkret würde das jedoch bedeuten, dass sich eine Person nicht einmal des (bereits strafbaren) Downloads eines einzigen Propagandafotos verdächtigen liesse, vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) aber dennoch als «terroristische Gefährderin» erachtet werden würde. Bei dieser Gefährlichkeitseinschätzung würde sich das Fedpol nicht auf objektive Hinweise wie etwa Sympathiebekundungen im Internet stützen, da diese ja bereits strafbar wären. Die Gefährlichkeitseinschätzung müsste daher einer gewissen Subjektivität verfallen – und wäre eine Form des Gesinnungsstrafrechts.

Eine zweite Anwendungsvariante wäre, dass die PMT einen Teil der Strafverfahren ersetzen würden, von denen viele nicht in eine Verurteilung der Beschuldigten münden. Der Vorteil: Die Behörden können basierend auf einer «Gefährlichkeitsvermutung» operieren und müssen sich nicht darum bemühen, ein Verschulden zu beweisen. Entgegen den Behauptungen des Pro-Lagers ginge es also darum, die rechtsstaatlichen Schranken zu lockern, um die Polizei agiler und reaktiver zu machen. Das Risiko, dass dabei Grundrechte auf der Strecke bleiben, ist gross.

Ein dritter Anwendungsbereich wäre schliesslich, dass die PMT Personen auferlegt werden, die ihre Strafe abgesessen haben und wieder in Freiheit sind. In Fällen, in denen ein Gericht etwa aufgrund einer positiven Prognose von Auflagen nach der bedingten Entlassung absieht, könnte das Fedpol dennoch aktiv werden, wenn es eine Person als gefährlich einschätzt. Problematisch wäre dies allein deshalb, weil sich die Bundespolizei – und in ihrer Verlängerung die Bundesanwaltschaft – über die Einschätzung der Gerichte erheben könnten.

Wie die PMT auch zur Anwendung kommen, eines ist sicher: je ungebändigter der Spielraum von Polizeibehörden, desto grösser das Risiko von Fehltritten, Diskriminierungen, Falschpositiven und Menschenrechtsverletzungen. Die PMT sind im Kontext eines destruktiven «War on Terror» zu verstehen, der Terrorismus bisher eher heraufbeschworen denn bekämpft hat.

Gemeinsam mit dem Juristen Kastriot Lubishtani hat der Lausanner Kriminologe Ahmed Ajil alle Urteile des Bundesstrafgerichts im Zusammenhang mit islamistischem Terror untersucht. Ihr Manuskript erscheint am 31. Mai 2021 in der Zeitschrift «Jusletter».