Kommentar: Apartheid statt Integration

Nr. 21 –

Nach der jüngsten Eskalation herrscht in Nahost vorerst Waffenruhe. Die internationale Staatengemeinschaft muss jetzt die Menschenrechtslage in Israel und Palästina in den Blick nehmen – sonst gibt es keine Chance auf einen Frieden.

Noch vor der jüngsten Eskalation in Nahost hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Israel zum «Apartheidstaat» erklärt – nicht als erste Organisation. Auch die israelische nichtstaatliche Organisation B’Tselem verwendet den Begriff. Dass es derzeit ausgerechnet in Orten und Quartieren zu Ausschreitungen kommt, die für eine friedliche Koexistenz von israelischen Palästinensern und Jüdinnen standen (vgl. «Das brüchige Band der Nachbarschaft» ), zeigt, dass es eben kein gleichberechtigtes Zusammenleben gibt. Wenn hippe Tel AviverInnen in Jaffa zu Arab Pop tanzen, überblendet dies die Tatsache, dass die palästinensische Minderheit immer bloss mit dem falschen Versprechen der Integration abgespeist wurde. Der israelische Staat kennt 65 Gesetzesartikel, die PalästinenserInnen direkt oder indirekt diskriminieren – allen voran das Rückkehrgesetz und die Gesetze zur Landenteignung. Aber auch Gesetze, die es Kleinstädten erlauben, PalästinenserInnen die Wohnsitznahme zu verweigern oder palästinensischen Schulen nur einen Bruchteil der Mittel zukommen lassen, zählen dazu. Festgeschrieben wurde das Dasein als BürgerInnen zweiter Klasse 2018 mit dem Nationalstaatsgesetz, das Israel als «Nationalstaat des jüdischen Volkes» definiert.

In den besetzten Gebieten leben die PalästinenserInnen unter einer drakonischen Militärherrschaft, während die jüdischen Israelis in den Siedlungen alle Rechte gemäss dem israelischen Zivilrecht geniessen. Gaza ist wegen der Blockade faktisch ein Freiluftgefängnis. Wer die Diskriminierung, Unterdrückung und Vertreibung von PalästinenserInnen als Apartheid bezeichnet, tut dies nicht im direkten Vergleich mit Südafrika. Human Rights Watch bezieht sich unter anderem auf das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Apartheid als «systematische Unterdrückung und Beherrschung einer ethnischen Gruppe oder anderen Minderheit durch ein institutionalisiertes Regime» definiert, «mit der Absicht, dieses aufrechtzuerhalten».

Ob der Begriff «Apartheid» als Beschreibung der Situation in Israel-Palästina taugt, kann hinterfragt werden: Der Vergleich wird nicht nur von der israelischen Regierung zurückgewiesen, die sich nicht mit einem Staat gleichsetzen lassen will, der die Rassentrennung öffentlich propagierte. Auch auf palästinensischer Seite kritisieren manche MenschenrechtlerInnen den Begriff. Dessen Gebrauch verschleiere, dass es manchen Israelis auch um die Expansion des Staatsgebiets gehe.

Letztlich ist der Terminus zweitrangig. Zentral wäre nach diesem neusten Krieg, dass die internationale Gemeinschaft Israel endlich für Menschenrechtsverletzungen haftbar macht. Natürlich ist Israel nicht alleine für den Konflikt verantwortlich; die Hassrhetorik und der Terrorismus der Hamas sind genauso zu verurteilen wie die israelischen Angriffe. Doch ist dies kein gleichberechtigter Konflikt, bei dem bloss die ExtremistInnen beider Seiten endlich zur Vernunft kommen sollten. Vielmehr hat sich Israel als die Besatzungsmacht längst aus dem Friedensprozess verabschiedet. Premier Benjamin Netanjahu erkennt die PalästinenserInnen nicht als VerhandlungspartnerInnen mit gleichen Rechten an. Er sichert sich seine Macht, wie man das von rechten Machthabern kennt: Mit seiner Politik der harten Hand hält er das Eskalationspotenzial hoch, um sich im Konfliktfall als einziger Sicherheitsgarant zu inszenieren.

Ein Grossteil der israelischen Öffentlichkeit hat sich in dieser scheinbaren Alternativlosigkeit eingerichtet. Die Besetzung ist für sie kaum sichtbar, eine Zweistaatenlösung hat keine Priorität mehr, die Rechte der PalästinenserInnen ordnet sie vermeintlicher Sicherheit unter. Solange diese Verhärtung nicht aufbricht, gibt es keine Chance auf einen Frieden in Israel und Palästina. Der Uno-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) hat kürzlich angekündigt, den Vorwurf der Apartheid gegen Israel zu prüfen. Gleichzeitig hat sich der Internationale Strafgerichtshof für die Palästinensergebiete zuständig erklärt, er will mögliche Kriegsverbrechen auf beiden Seiten untersuchen. Das sind dringend notwendige Schritte.