Sicherheitsgesetz in Hongkong: Die Strassen sind still, die DemokratInnen im Exil

Nr. 21 –

Weil Peking seit vergangenem Jahr in Hongkong noch härter durchgreift, fliehen Oppositionelle ins Ausland. Auch an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens dürfen die BürgerInnen nicht mehr erinnern.

«Am 4. Juni wird es in Hongkong keine Mahnwachen zum Gedenken an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens geben», schreibt Ted Hui im Whatsapp-Chat. «Die Hongkonger sind durch das nationale Sicherheitsgesetz eingeschüchtert», klagt der 38-jährige ehemalige Parlamentsabgeordnete der Demokratischen Partei der chinesischen Sonderverwaltungszone. Hui ist im Januar mithilfe dänischer PolitikerInnen aus Hongkong nach Dänemark geflohen. «In Hongkong drohte mir wegen des Sicherheitsgesetzes die Verhaftung», schreibt er.

Zwei wichtige Jahrestage mit historischer Bedeutung stehen in Hongkong an. Am 4. Juni jährt sich die blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung zum 32. Mal. Hunderte AktivistInnen verloren 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking ihr Leben. Jahrzehntelang war Hongkong der einzige Ort, an dem Veranstaltungen zum Gedenken an das Massaker abgehalten werden konnten. Im vergangenen Jahr aber hatte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam erstmals die Mahnwache verboten – offiziell wegen der Coronapandemie. Doch Zehntausende versammelten sich trotzdem mitten in Hongkong. Vor wenigen Tagen wurde das Gedenken erneut untersagt, und prominente DemokratieaktivistInnen wie Joshua Wong und Agnes Chow wurden wegen ihrer Teilnahme an der Veranstaltung von 2020 gar zu Haftstrafen verurteilt.

Das zweite wichtige Datum ist der 30. Juni. An diesem Tag trat vor einem Jahr das von der kommunistischen Volksrepublik China erlassene Gesetz über die nationale Sicherheit in Kraft. Das sichert der Zentralregierung in Peking den absoluten Durchgriff in Hongkong – und vor allem ermöglicht es den Behörden ein hartes Vorgehen gegen die Opposition. Diese fordert seit der Rückgabe Hongkongs 1997 durch die ehemalige Kolonialmacht Grossbritannien an China die Einführung allgemeiner freier Wahlen. Zwar können HongkongerInnen direkt wählen, die KandidatInnen für Parlamentswahlen werden allerdings von Peking genehmigt. Zudem fordern die RegierungskritikerInnen die Beibehaltung des bis 2048 mit China vereinbarten Prinzips «ein Land, zwei Systeme».

Durch Chinas faktische Machtübernahme wurde die Hoffnung auf eine demokratische und pluralistische Zukunft für Hongkong endgültig zerschlagen. «Die Demokraten wurden aus dem Parlament und aus den Strassen vertrieben. Sie sind entweder im Untergrund, im Exil oder im Gefängnis», sagt Benedict Rogers aus London. Rogers, der seit 2017 nicht mehr nach Hongkong einreisen darf, ist Gründer der chinakritischen Organisation Hong Kong Watch, der Prominente wie Chris Patten, der letzte britische Gouverneur von Hongkong, angehören.

Drei Jahre Haft für Wahlboykott

Auch die ursprünglich auf September 2020 angesetzte Parlamentswahl wurde unter dem Vorwand «Corona» abgesagt. Sie soll jetzt diesen Dezember stattfinden, nachdem im März der Volkskongress in Peking einstimmig das Hongkonger Wahlrecht geändert hatte. Die Zahl der Parlamentssitze wurde zwar von 70 auf 90 erhöht, doch von diesen können nur noch 20 statt wie bisher 30 von den Hongkonger BürgerInnen direkt gewählt werden. Für Personen bestimmter Berufsgruppen sind 30 Sitze reserviert – während die restlichen 40 Abgeordneten durch die 1200 Mitglieder starke Wahlkommission bestimmt werden. Dieses Gremium, auf dessen Zusammensetzung Peking einen massgeblichen Einfluss hat, war bisher nur für die Wahl des Hongkonger Regierungschefs zuständig. Zudem dürfen nur noch «Patrioten», sprich prochinesische PolitikerInnen, zur Wahl antreten. Aufrufe zum Boykott oder zur Abgabe ungültiger Stimmzettel sind verboten und können mit drei Jahren Haft bestraft werden. Das sei «im Sinn der politischen Ethik nur richtig», sagte Hongkongs Regierungschefin Lam über das neue Wahlrecht.

Das Sicherheitsgesetz ermöglicht es der Hongkonger Regierung, auch im Ausland gegen Personen vorzugehen, wenn diese gegen die vage formulierten Bestimmungen verstossen. Weil der dänische Politiker Thomas Rohden von der Partei Radikale Venstre dem ehemaligen Abgeordneten Ted Hui zur Flucht verholfen hat, steht er jetzt auf der Hongkonger Fahndungsliste. Nun muss er bei seinen Reiseplänen vorsichtig sein: «Es wird für mich in Zukunft schwierig, in Länder zu reisen, die eng mit China kooperieren. Mir könnte die Auslieferung drohen», sagt er.

Den Einfluss Chinas bekommt Rohden auch in seiner Heimat zu spüren. Das dänische Aussenministerium verweigert ihm trotz gesetzlicher Verpflichtung die Herausgabe von Dokumenten, die ihn im Zusammenhang mit China betreffen. «Meine Regierung diskutiert meinen Fall mit China, einer ausländischen Macht. Aber ich darf nicht wissen, was besprochen wird», kritisiert der Vorsitzende der überparteilichen Danish China-Critical Society.

Verfahren vor Sondergerichten

Seit Inkrafttreten des Gesetzes gehen die Behörden in Hongkong vor allem gegen Oppositionspolitiker und Demokratieaktivistinnen vor. Hunderte wurden wegen der Teilnahme an nicht genehmigten Protesten verurteilt.

Gleich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes kritisierten chinatreue Medien die Schulen und Universitäten Hongkongs als «Brutstätten für Dissens», weil SchülerInnen und Studenten die tragenden Gruppen der Massenproteste 2019 mit Millionen von TeilnehmerInnen waren. Mit einem Erlass wies die Schulbehörde im Sommer 2020 die Bildungsstätten an, die «angemessene Anerkennung des Gesetzes über die nationale Sicherheit im Unterricht» sicherzustellen. Jetzt ist die Justiz im Visier der Machthaber. Verfahren wegen Verstössen gegen das Sicherheitsgesetz werden vor Sondergerichten geführt. Am 20. Mai 2021 entschied Alex Lee, einer der Sonderrichter, dass Angeklagte kein Recht auf ein Verfahren mit einer Jury haben. Die Begründung laut Medien aus Hongkong: «Es besteht die reale Gefahr, dass die ordnungsgemässe Rechtspflege beeinträchtigt wird.»

«Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit und keine unabhängigen Gerichte mehr», sagt Nathan Law, Mitbegründer der inzwischen aufgelösten prodemokratischen Partei Demosisto. Law wurde als einer der Anführer der Proteste der Hongkonger Demokratiebewegung Occupy Central, die 2014 bei einer landesweiten Protestwelle politische Reformen forderte, zu acht Monaten Haft verurteilt. Jetzt steht der inzwischen in London lebende Law wegen Vergehen gegen das Sicherheitsgesetz auf der Fahndungsliste. Mit seiner Familie in Hongkong hat der 27-Jährige deshalb keinen Kontakt mehr. «Das ist zu gefährlich. Die Behörden könnten das als Vorwand nehmen, um meine Familie der Beihilfe zu beschuldigen», sagt Law. Die Sorge um Familienmitglieder kennt auch Ted Hui. «Die Bank HSBC hat nicht nur mein Konto und meine Kreditkarte eingefroren, sondern auch die der Familie», berichtet er.

Hui und Law sind Teil eines globalen Netzwerks von ExilhongkongerInnen, die dem chinesischen Hegemoniestreben und den Menschenrechtsverletzungen der Regierung von Präsident Xi Jinping nicht tatenlos zuschauen. Nach seiner Flucht im Januar nach Dänemark ging Hui als Nächstes für drei Monate nach London, bevor er weiterzog. «Ich habe mich dann entschieden, in Australien zu leben. Es gibt in der EU und in den USA schon viele von uns. In Australien aber nicht.» Die beiden Aktivisten fühlen sich in ihren Exilorten sicher vor dem Zugriff der chinesischen Regierung. «In Adelaide werde ich nicht verfolgt. In Hongkong war das anders. Ich habe daher Übung darin, Beschatter zu erkennen», sagt Hui. Beide betonen, weiter für Menschenrechte zu kämpfen, um eines Tages doch nach Hongkong zurückkehren zu können und ihre Freunde in Freiheit wiederzusehen. Hui betont: «Keine Tyrannei währt ewig.»