Wahlen in Sachsen-Anhalt: Kommt es zum Dammbruch?

Nr. 22 –

Gebannt blickt man in Deutschland auf das kleine Bundesland Sachsen-Anhalt. Nach den Wahlen vom kommenden Wochenende könnte es dort zu einem Bündnis zwischen der CDU und der AfD kommen. Es wäre ein Novum – und ein weiterer Normalisierungsschritt für die rechtsradikale Partei.

Markus Ditz, Software-Administrator und CDU-Mitglied aus Halle an der Saale, will unbedingt verhindern, dass seine Partei in Sachsen-Anhalt Geschichte schreibt. Am kommenden Wochenende wählt das mitteldeutsche Bundesland mit seinen nur gut zwei Millionen EinwohnerInnen einen neuen Landtag. Die Wahl könnte die politische Landschaft Deutschlands fundamental verändern: Erstmals ist ein Bündnis zwischen CDU und der rechtsradikalen AfD eine realistische Option.

Anfang Mai hat Markus Ditz deshalb gemeinsam mit neunzehn ParteifreundInnen die CDU-Spitze Sachsen-Anhalts aufgefordert, sich klar gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD auszusprechen. «In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Aussagen von Amtsträgern, die eine solche Öffnung zumindest andeuteten», sagt der 45-Jährige im Gespräch mit der WOZ.

Schockiert hat Ditz ein Strategiepapier von zwei CDU-Mitgliedern, das im Sommer 2019 weit über Sachsen-Anhalt hinaus für Aufsehen sorgte. Darin forderten Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, «das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen», und dachten laut über eine Zusammenarbeit mit der AfD nach. Geschadet hat ihnen der Flirt mit dem Rechtsradikalismus nicht: Sie blieben stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion.

Eine Wahlprognose ist derzeit schwierig, aktuelle Umfragen weichen stark voneinander ab. Meist liegt zwar die regierende CDU knapp vor der AfD, aber ein Umfrageinstitut sieht die Rechtsradikalen vorn. Sollte sich das bestätigen, würde der Druck, die Partei in eine kommende Regierung einzubinden, steigen.

Von der AfD getrieben

Sachsen-Anhalt war bereits zweimal Labor für neue Regierungskonstellationen. Ab 1994 regierten im «Magdeburger Modell» SPD und die Grünen als Minderheitsregierung, unterstützt von der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Es war das erste Mal, dass die PDS, die heute Teil der Linkspartei ist, auf Länderebene an einer Regierung beteiligt war.

2016 kam es in Sachsen-Anhalt erstmals zu einem Bündnis bestehend aus CDU, SPD und Grünen. Mittlerweile regiert auch in Brandenburg und Sachsen eine solche «Kenia-Koalition». In Sachsen-Anhalt stand das Bündnis in den vergangenen fünf Jahren mehrmals vor dem Aus. Die Euphorie, die Koalition fortzuführen, ist bei allen Beteiligten überschaubar. Hinzu kommt: Eine Regierungsmehrheit für CDU, SPD und Grüne ist alles andere als sicher. SPD und Grüne stehen in Umfragen jeweils bei etwa zehn Prozent – und somit in einem ähnlichen Bereich wie Linke und FDP. Seit einigen Wochen macht eine andere Option die Runde: ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP. Eine solche Koalition wäre ein Novum. Doch auch hier ist unsicher, ob die drei Parteien nach der Wahl gemeinsam über eine absolute Mehrheit verfügen.

Henriette Quade hält es für möglich, dass es ein Bündnis zwischen CDU und AfD geben wird. Die 37-Jährige ist seit 2011 Landtagsabgeordnete der Linken und hat während der vergangenen fünf Jahre das Verhältnis zwischen den beiden Parteien genau beobachtet. Immer wieder sei es der AfD gelungen, mit ihren Anträgen und Initiativen zu punkten. «Die CDU lässt sich von der AfD treiben», sagt Quade. «AfD-Anträge, die der CDU gefallen, landen dann in Fachausschüssen, wo SPD und Grüne damit beschäftigt sind, den Koalitionspartner zu bremsen.» Besonders gut klappte die Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD im August 2017. Auf Antrag der AfD-Fraktion beschloss der Landtag eine Enquetekommission zur Untersuchung von «Linksextremismus» in Sachsen-Anhalt. Weite Teile der CDU stimmten für den AfD-Antrag.

Auch jenseits der direkten parlamentarischen Arbeit beobachtet Quade, wie sich CDU und AfD in den vergangenen Jahren angenähert haben. Die meisten Abgeordneten verstünden sich untereinander blendend. «Sie duzen sich, trinken zusammen Bier, gehen gemeinsam Essen.» Diejenigen in der CDU-Fraktion, die auf eine klare Abgrenzung zur AfD setzten, seien in der Minderheit, schätzt Quade.

Ein entscheidender Faktor könnte die CDU-Basis werden, denn neuerdings sieht ein Beschluss der Landespartei vor, dass die Parteimitglieder eine Koalition bestätigen müssen. Wie die Basis etwa zu einer Fortführung der ungeliebten Kenia-Koalition steht, ist schwer einzuschätzen. Das liegt auch an der Stärke der Parteirechten innerhalb der CDU in Sachsen-Anhalt. Auftrieb bekommt der rechte Zusammenschluss durch eine Personalie in Thüringen. Im benachbarten Bundesland kandidiert der höchst umstrittene Hans-Georg Maassen als CDU-Bundestagskandidat. Der frühere Chef des Verfassungsschutzes wurde nach einer ganzen Reihe von Skandalen Ende 2018 in den Ruhestand versetzt. Ohne Belege zu liefern, hatte er angezweifelt, dass es bei rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz im September 2018 zu Hetzjagden von Rechtsradikalen kam. Kurz darauf fabulierte er von «linksradikalen Kräften in der SPD», ohne Hinweise darauf zu geben, wo man diese Kräfte in der Partei denn ausfindig machen könne.

Zweimal gerettet

Immer wieder hat der rechte Flügel der CDU in Sachsen-Anhalt nach Rechtsaussen geblinkt. Ende 2019 wollte der damalige CDU-Innenminister Holger Stahlknecht den weit rechts stehenden Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zum Staatssekretär machen. In letzter Sekunde hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff das auf Druck der Parteispitze in Berlin verhindert. Ein Jahr später, im Dezember 2020, ging Stahlknecht in die Offensive. Er wollte mit anderen Parteifreunden gemeinsam mit der AfD gegen den neuen Rundfunkstaatsvertrag stimmen. Wieder sprang Haseloff in die Bresche und verhinderte die Abstimmung. Stahlknecht musste als Innenminister und CDU-Landesvorsitzender abtreten.

Die Avancen der CDU in Richtung AfD in Sachsen-Anhalt sind umso bemerkenswerter, weil – ähnlich wie in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg – der völkisch-nationalistische Flügel den Landesverband der AfD dominiert. «Während der vergangenen fünf Jahre hat sich die AfD in Sachsen-Anhalt noch einmal radikalisiert», sagt David Begrich. Er hat 1999 den Verein Miteinander gegründet, der sich für die demokratische Kultur und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt einsetzt. Für Miteinander hat Begrich gerade das Wahlprogramm der AfD analysiert. Auch personell gebe es immer wieder neue Enthüllungen, die Verbindungen zwischen der AfD und der Neonaziszene offenlegten. Geschadet hat der AfD das alles nicht. «Die Partei kommt hier im Osten vor allem mit ihrem Anti-Establishment-Programm an», so Begrich gegenüber der WOZ.

Rechtsaussen-Mann steht bereit

Gleichzeitig zum Aufstieg der AfD befindet sich Die Linke im Sturzflug. Noch vor zehn Jahren holte die Linkspartei ein Viertel der Stimmen, träumte von einem linken Ministerpräsidenten. Jetzt steht sie bei gerade einmal zehn bis zwölf Prozent. Ihr Problem ist vor allem die schwindende lokale Verankerung, sagt Begrich. «Früher war in gefühlt jedem Kleingarten- und Mieterverein irgendwo jemand von der PDS oder später von der Linkspartei. Heute ist die Partei vor allem in den grösseren Städten im akademischen Milieu zu Hause.»

Offiziell grenzt sich die CDU von der AfD ab. Doch Begrich traut den Beteuerungen nicht. «Was denn», fragt er, «wenn die AfD wirklich vor der CDU landet?» Dann, so Begrich, könnte sich der aktuelle Ministerpräsident Haseloff kaum halten. Wenn über das politische Ende Haseloffs spekuliert wird, fällt jedenfalls schnell der Name Stahlknecht.

Eine Koalition aus CDU und AfD halten sowohl Begrich wie auch der CDU-Mann Ditz und Quade von der Linkspartei für unwahrscheinlich. Durchaus denkbar sei aber eine Minderheitsregierung, in der sich eine allein regierende CDU wechselnde Mehrheiten organisiere – und dabei auf Stimmen der AfD setzen könnte.

Genährt wird dieses Szenario durch einen Beschluss der CDU selbst: Im Dezember 2019 klärte die CDU in Sachsen-Anhalt in einem Grundlagenpapier ihr Verhältnis zur AfD. In einer früheren Fassung wurde eine «institutionelle oder strategische Zusammenarbeit» noch grundsätzlich abgelehnt. Diese klare Aussage wurde dann mehrfach verwässert: Letztlich hiess es nur noch, es werde mit der AfD keine Koalition geben. Einer Tolerierung stünde dieser Beschluss nicht entgegen.