Ostdeutschland: Der Dickkopf aus dem Westen
Die deutsche Linkspartei ist in der Krise. Bei den Landtagswahlen am Sonntag in Thüringen, wo sie regiert, wird sie wohl trotzdem zulegen. Vor allem dank Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Wahlen zu Landtagen wird in der Bundesrepublik gern eine überregionale Bedeutung zugemessen. Das ist meist übertrieben, mitunter kann ein Blick aufs Kleine aber ein paar das Grössere betreffende Fragen erhellen. Wer sich etwa für die Lage der deutschen Linken, insbesondere für die gleichnamige Partei, interessiert, sollte einen Blick nach Thüringen werfen.
Dort wird man dann vor allem einen sehen: Bodo Ramelow, den ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei. Der 63-Jährige überstrahlt nicht nur seine eigene Partei, sondern ist überhaupt omnipräsent, mal laut, mal nachdenklich; die Zeitungen schreiben ihm ein Porträt nach dem anderen hinterher. Ramelow scheint auch einen Ausweg aus der linken Dreifachkrise aus bundespolitischer Stagnation, regionalem Niedergang und strategischer Orientierungslosigkeit zu bieten.
Einzelhandel und Gewerkschaft
Wer darüber mehr wissen will, muss ein wenig in die Geschichte zurückblicken. Ramelow ist in Niedersachsen in einer evangelisch geprägten Familie aufgewachsen. Der Vater stirbt früh, der Sohn macht die Hauptschule, mehr als eine Einzelhandelslehre liegt erst einmal nicht drin. Ramelow tritt der Gewerkschaft bei, Anfang der achtziger Jahre wird er in Hessen Sekretär – «einer, der auch mit ganz harten Bandagen kämpft», wie sich ein Kaufhauschef einmal erinnerte, der mit ihm zu tun hatte. Dann bricht die DDR zusammen, nach der Einheit schwärmen die Westgewerkschaften in den Osten aus, Aufbauhilfe nennt sich das. Und so kommt Ramelow nach Thüringen.
Man kennt solche Biografien des Aufstiegs vor allem aus der Sozialdemokratie. Man versteht den aktuellen Ramelow besser, wenn man weiss, dass er als junger Gewerkschafter eben nicht zur SPD ging – gerade weil das andere als eine Selbstverständlichkeit betrachteten. «Da bin ich ziemlich stur bei solchen Sachen», hat Ramelow einmal gesagt.
Sturheit und Gewerkschafterdenken, das ist bei ihm geblieben. Dass Ramelow nach der Wende im Osten Arbeitskämpfe mit ausgefochten hat, gehört zu den Quellen seiner Glaubwürdigkeit, die sich heute auszahlt. Die Sturheit hat dabei geholfen, denn die Kumpel, um deren Zukunft es damals ging, sahen den «Wessi», der auch noch von einer eigentlich gar nicht zuständigen Handelsgewerkschaft kam, anfangs skeptisch. Ramelow liess sich nicht wegschicken, die Stimmung drehte, und Ramelow wurde langsam zu einer Art Ehrenthüringer.
Realismus und Revolution
Auch später haben ihm Sturheit und Gewerkschafterdenken geholfen: bei der Zusammenführung der ostdeutschen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), in die er 1999 eintrat, mit der westdeutschen Wahlalternative zur neuen Linkspartei zum Beispiel. Ramelow führte damals massgeblich die Fusionsverhandlungen. Und als 2014 bei der Landtagswahl in Thüringen eine rot-rot-grüne Koalition rechnerisch möglich wurde, brauchte es wieder ein Stück Sturheit und Gewerkschafterdenken, um ein Paket der realistischen Möglichkeiten zu schnüren. Es gelang.
Damals sagten die einen, «Rot-Rot-Grün ist ein riskanter Versuch. Aber besser als alle Alternativen» («taz»). Und die anderen wussten schon ganz genau, wie es ausgehen würde: «Auch von der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen sind keine revolutionären Neuerungen zu erwarten» («Jungle World»).
Die Frage ist, was man für revolutionär halten möchte. Vor fünf Jahren war ein Bündnis aus Linkspartei, Grünen und SPD auf Landesebene für viele eher zu revolutionär, konservative Bürgerbewegungen gingen damals gegen den neuen Ministerpräsidenten auf die Strasse. Auch in der Sozialdemokratie und bei den Grünen blieben viele distanziert. Dass Ramelow immer von «gleicher Augenhöhe» sprach, von einem gleichberechtigten Umgang, von neuer Kooperationskultur, wurde seinerzeit oft als rhetorische Nettigkeit belächelt. Fragt man Grüne und Sozialdemokraten heute, bestätigen die meisten, dass Ramelow das ernst meinte.
Von Wahl zu Wahl aufwärts
Man sollte Personen nicht überbewerten. Die Rolle von Leitfiguren? Da meldet sich schnell das Bedürfnis nach kollektiver Praxis von unten. Die Partei, sagt eine der führenden GenossInnen in Thüringen, wisse, was sie «am Bodo» habe, aber der wisse auch, dass er ohne die Partei nichts wäre. Es gehört irgendwie zusammen. Und es wirkt.
In allen ostdeutschen Flächenländern zeichnen die Wahlergebnisse der PDS und später der Linkspartei eine umgekehrte Parabel: Vom niedrigen Ausgangsniveau zwischen zehn und fünfzehn Prozent Anfang der neunziger Jahre führt die Linie stetig aufwärts, um dann nach der Jahrtausendwende ebenso stetig bergab zu zeigen. Nur in Thüringen nicht, im Ramelow-Land. Dort ging es von Wahl zu Wahl aufwärts, und in aktuellen Umfragen sieht es so aus, dass auch die Wahl Ende Oktober ein erneutes Plus bringen könnte.
Das ist mindestens auffällig, bedenkt man das bundespolitische Umfeld: der Hype um die Grünen, die mediale Dominanz der rechtsradikalen AfD – von der Linkspartei hört man eher wenig. Und das ist nicht die einzige Besonderheit. Wo sich sonst ein Urbanisierungstrend feststellen lässt, die Linkspartei also vor allem in grossstädtischen Räumen noch dazugewinnt oder wenigstens nicht einbüsst, zieht sie ausgerechnet im stark ländlich geprägten Thüringen. Auch das «Naturgesetz», laut dem die Linkspartei im Osten nach einer Regierungsbeteiligung erst einmal stark verliert, wird sich in Thüringen nicht bestätigen.
Ramelowisierung der Bundespartei?
Was läuft dort also anders als in anderen Bundesländern, wo man sich ebenfalls an Koalitionen beteiligte? Manche in der Linkspartei versuchen, die Frage mit Antworten aus der Vergangenheit zu beantworten: Das führt dann zu Forderungen, es müsse «sofort Schluss gemacht werden mit der Orientierung auf Regierungsbündnisse». Diejenigen, die so reden, wähnen sich als Teil eines «linken Flügels», doch in Zeiten, in denen das ganze Parteiensystem in Bewegung ist, können sich solche Standortselbstanzeigen schnell überleben.
Natürlich hat Landespolitik auch in Thüringen eher geringe Spielräume. Was praktisch umzusetzen ist, wird deshalb aber nicht unwichtig, auch die eher leise Politik ändert das Leben von Menschen – mitunter mehr als laute Parolen. Ramelow spricht viel von Strassenausbaubeiträgen, von Kindergärten und Bildungsinfrastruktur, von neu eingestellten LehrerInnen und PolizistInnen. Kreisgebietsreform, Landeszuschüsse an Kommunen, Verwaltungsmodernisierung – das sind Stichwörter, die nicht gerade nach den grossen Erzählungen von Veränderung klingen. Und sicher ist auch der Erwartungsdruck weit grösser, wenn Linke schon einmal regieren.
Vielleicht liegt Ramelows Stärke gerade hier: Das Grössere, den utopischen Überschuss an dieser Regierung vermag er zu erklären, gerade weil das mit Widersprüchen, mit Kompromissen, mit Unzulänglichkeiten verbunden ist. Er spricht auch mit jenen, mit denen er laut Protokoll nicht müsste, die als GegnerInnen oder KonkurrentInnen gelten, versteht es, Kanäle offenzuhalten. Das klingt schon oft ganz anders als die aggressiven Bundestagsreden vieler LinkspolitikerInnen. Greift die Ramelowisierung der Linkspartei künftig auch dorthin über? Er strebe auf Bundesebene keine Funktionen an, sagt Ramelow, verspricht aber «ab und zu mal einen Ratschlag».
Symbolische Vorauszahlung
Einer davon könnte lauten, dass man Bilder schaffen muss, die der Wirklichkeit vorauseilen: Als Ramelow 2015 im grauen Anorak auf dem Saalfelder Bahnhof Hunderte neu angekommene Geflüchtete begrüsste, war das eine symbolische Vorauszahlung. Klar, Veränderungen dauern länger, nicht nur in der Integrationspolitik. Aber sie würden noch länger dauern oder gar nicht in Aussicht stehen, wäre da niemand mit der Bereitschaft, so ein Bild zu erzeugen.
Apropos Bilder. In Thüringen hängen vor der Wahl Plakate, auf denen Ramelow zu sehen ist – ohne Logo seiner Partei. Die hat das Motiv vorher getestet, und die Leute sagten, sie hätten das Parteilogo gesehen. Ausserdem, sagt Ramelow, mache er «Werbung für Rot-Rot-Grün, ich werbe tatsächlich für drei Parteien».
Ob es für die Fortsetzung der Regierung reicht? Trotz starker Linkspartei ist eine Mehrheit mit schwachen Grünen und einer noch schwächeren SPD unsicher. Dass Thüringen deshalb abermals Pilotprojekt werden könnte, diesmal für eine in Deutschland unübliche Minderheitsregierung, ist nicht ausgeschlossen. Ein wie befürchtet starkes Wahlergebnis der Rechtsradikalen könnte dazu beitragen.