Klimareport: Netto null – und zwar subito!

Nr. 32 –

«Niemand kann sich sicher fühlen – und es wird immer schlimmer.» So brachte Inger Andersen, Direktorin des Uno-Umweltprogramms, die Kernaussage des am Montag veröffentlichten sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats, des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auf den Punkt. Dabei ist das IPCC nicht für alarmistische Töne bekannt, sondern für seine wissenschaftlich grundsoliden Reporte, die als Goldstandard der Klimaforschung gelten. Doch das neuste Update bestätigt genau dies: Der Klimawandel intensiviert sich.

«Was die Wissenschaft feststellt, spielt sich aktuell vor unseren Augen ab», konstatierte Andersen. Lodernde Flammenmeere vor den Toren Athens und auf Euböa, in der Türkei oder an Italiens Küsten flimmern seit Tagen über unsere Bildschirme. Zuvor waren es sintflutartige Regenfälle in Deutschland oder auch hierzulande, die ganze Landstriche ins Rutschen brachten und Dörfer und Städte fluteten. Der neue IPCC-Bericht macht klar: Diese extremen Wetterereignisse sind keine «Launen der Natur» oder dem «Zorn der Götter» geschuldet (wie Tamedia schreibt), sie sind eine direkte Folge der Erderwärmung. Ihre Ursachen sind menschengemacht. Und sie sind vor unserer Haustür angekommen.

Das ist eine der zentralen neuen Erkenntnisse seit dem letzten Klimareport vor acht Jahren. Verbesserte Beobachtungsdaten und ein vertieftes wissenschaftliches Verständnis der Reaktionen des Klimasystems auf vom Menschen verursachte Treibhausgasemissionen lassen keine anderen Schlüsse zu. Auch die Modellierungen und Simulationen sind präziser geworden, Entwicklungsszenarien entsprechend zuverlässiger. Und sie lassen sich neu auf die regionale Ebene herunterbrechen.

Für Europa, wo die Temperaturen rascher ansteigen als im globalen Schnitt, verheisst das nichts Gutes. Die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre sind auf Rekordhöhe. Stossen wir weiter so viel CO2 aus wie in den vergangenen Jahren, wird die 1,5-Grad-Grenze der Erderwärmung in den nächsten zehn Jahren erreicht. Dabei haben sich 196 Staaten weltweit – unter ihnen auch die Schweiz – im Pariser Klimaabkommen 2015 darauf verpflichtet, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu begrenzen. Bleiben wir auf dem aktuellen Emissionspfad, werden wir 2050 die Zwei-Grad-Grenze überschreiten.

Und das bedeutet: Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und sogenanntes «fire weather», aber auch stürmische Niederschläge treten häufiger und heftiger auf. Rund um das Mittelmeer und in Südeuropa kommt es zu vermehrter Trockenheit, die Gefahr von Busch- und Waldbränden steigt. Auch in Zentral- und Westeuropa dürften Hitze- und Dürreperioden zunehmen. Zu schaffen machen werden uns aber vor allem die immer häufiger niedergehenden Starkregen und die mit ihnen verbundenen Überschwemmungen. Beides ist in den Städten noch intensiver spürbar, wie die Modelle des IPCC-Reports deutlich machen. In den Alpen, wo die Temperaturen überproportional steigen, schwinden Schnee und Gletscher, und der tauende Permafrost macht das Gebirge instabil.

Tourismusregionen müssen um ihre Gäste auf Pisten, Bergpfaden und am Strand bangen. Vor allem aber: Wie können wir uns künftig noch versorgen, wenn Gemüse- und Weizenfelder immer wieder unter Wasser stehen oder umgekehrt verdorren?

Um solche Entwicklungen zu verhindern, gibt es nur einen Weg: Wir müssen die Treibhausgasemissionen auf netto null senken – und zwar subito. Netto null bezieht sich auf die Klimabilanz der Erde und bedeutet, dass sämtliche durch den Menschen verursachten Emissionen durch Reduktionsmassnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen. Und zwar nicht, indem wir den CO2-Verbrauch im eigenen Land im Ausland kompensieren. Das ist Augenwischerei. Ebenso wenig werden uns (gross-)technische Massnahmen von Geoengineering bis zum Herausfiltern und Verbuddeln von CO2 retten.

Es gilt, den Ausstoss von CO2 zu reduzieren, rasch und umfangreich. Andernfalls schaffen wir es nicht mehr, die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu beschränken. Das betonten auch der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee und die Koleiterin des sechsten Reports, Valérie Masson-Delmotte, an der Medienkonferenz am Montag. Denn selbst im günstigsten Fall werden sich die globalen Temperaturen erst in zwanzig bis dreissig Jahren stabilisieren.

Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Fossile Rohstoffe müssen im Boden bleiben. Ihr Verbrennen wird – etwa im Fall von Ölheizungen – sofort verboten oder massiv besteuert. Betroffene HausbesitzerInnen und Personen, die beruflich auf ein Auto angewiesen sind, werden entschädigt: Kompensationen für Menschen statt für Emissionen.

Dass dies funktioniert, hat die Schweiz in der Coronapandemie bewiesen: Noch nie wurden so rasch so viele Milliarden lockergemacht – auf dass die Gesellschaft die Krise sozial und ökonomisch ohne Totalschaden überstehe. Genauso entschlossen müssen wir handeln, um die Klimaerhitzung zu bekämpfen. Jetzt.