Ein Traum der Welt: Der neue Muni
Annette Hug spricht über alles andere
Meldungen aus dem Dorf: Die Pflaumen sind verhagelt. Die Zucchetti bitter. Ganz normale Kühe haben fünfzehn Mönsterchen geboren, Kälber mit einem leichten Höcker. Der Tierarzt kann nicht vorhersagen, ob sie sich mit anderen Angus-Kühen oder miteinander werden fortpflanzen können. Die neuen Wesen seien in der Hitze des letzten Jahres entstanden. Die Munis verloren jede Lust. (Bemerkung des Hobbybauern: Deshalb habe es früher die sogenannten Hodenbädeler gegeben. Weil Männchen bei hohen Temperaturen die Fruchtbarkeit verlieren. Heisse Bäder seien eine Verhütungsmethode.)
Im Dorf aber hat ein Bauer Zebus angeschafft, ein in Indien domestiziertes Buckelrind. Der Zebu-Muni kommt bei Hitze erst richtig in Fahrt und sah letztes Jahr, dass die Angus-Männchen keinen Bock hatten, also besprang er Kühe, die recht viel grösser waren als er selbst. So werden sich auch die hiesigen Viehbestände an die zunehmende Hitze anpassen, heisst es im Dorfladen an der Hauptstrasse, die sich diesen Sommer dreimal in einen Wildbach verwandelt hat. In kleinen Fontänen spritzte das Grundwasser noch durch Ritzen im Asphalt, als bereits wieder die Sonne schien. Allenthalben die Frage: Was für Schafseckel sassen in der Baukommission, die den N.s erlaubte, mitten ins alte Bachbett ein Haus zu bauen. Nach jedem Sturm wird die Feuerwehr aufgeboten, dieses Jahr ging die Sturzflut durchs Wohnzimmer.
Nachrichten vom Markt: Letztes Jahr ein Bombenabsatz, ein Riesenhunger nach Gemüse aus der Region. Diesen Sommer: Nichts zu verkaufen. Der Käse im Keller geht im Schimmel kaputt. Der Hobbybauer zitiert regelmässig seine Grossmutter: «Das Heu wird auf der Gabel trocken.» Damit nachts nicht alles patschnass wird vom Tau, werden Mädli gemacht wie früher, das Heu häufig gezettet. Erschöpft stehen zwei Frauen an der Hecke und betrachten die braunen Kugeln, die eine Gallwespe an Eichenzweigen hinterliess. Eine Eiche möchte man nicht mehr absägen oder ausreissen – auch wenn sie etwas blöd an der Grundstücksgrenze wächst, viel zu nah beim Nachbarn –, denn Eichen, hört man, sollen die Tannen ersetzen, die in den vergangenen drei Jahren rundum verdorrt sind. Der Hobbybauer zitiert jedes Mal, wenn es regnet, seine Mutter: «Das ist gut für den Wald.» Tatsächlich sind die Berghänge endlich wieder grün, voll im Kraut, die verdorrten Bäume werden von Jungwuchs verdeckt.
Aus den Galläpfeln, den Wucherungen an der Eiche, könnte man Tinte herstellen, sagt die Marktfahrerin, die auch Salbei gegen Chorizos tauscht und jetzt erschöpft vom Heuen an der Hecke steht: «Früher war ich manchmal mutlos. Arbeitslos. Da ging ich wandern. Fuhr ein Deux Chevaux an mir vorbei und hielt. Der Fahrer nahm mich mit. So geriet ich in eine Art Alchemistenszene. Mein Job: kleine Fläschchen beschriften, für die Eisengallustinte, handgemacht. Richtig abgegangen ist das Geschäft, weil chinesische Kalligrafen das Produkt entdeckten – echte Galläpfel sind gar nicht so einfach zu finden, das heisst: In der nötigen Menge, nicht einfach so zufällig in der Hecke.»
Zebus und Wespen halfen also, den Impfgraben zu überbrücken. Sie boten Gesprächsstoff zwischen Geimpft und Sicher-nicht-geimpft, wenn der Regen eine Weile aussetzte und die Aerosole über den Hecken verflogen.
Annette Hug ist Autorin in Zürich und diesen Sommer mehrmals zwischen den Kontinenten Stadt und Land hin- und hergereist.