Vetternwirtschaft in Chile: Ausverkauf in letzter Minute

Nr. 34 –

Das rechte Regierungsbündnis in Chile steuert auf eine Wahlniederlage im November zu. Deshalb bewilligt es noch schnell einen Eisen- und Kupfertagebau in der Nähe eines Naturschutzgebiets.

Die Nachricht habe ihn nicht überrascht, sagt Rodrigo Flores am Telefon. Dennoch ist er wütend. Am 11. August vernahm der Fischer aus dem kleinen Küstenort Punta de Choros, dass die regionale Umweltkommission gemeinsam mit VertreterInnen aller wichtigen nationalen Ministerien das Minenprojekt Dominga genehmigt hatte. «Piñera will das Projekt vor Ende seiner Präsidentschaft durchwinken», sagt Flores.

Am 21. November wird in Chile gewählt, und der milliardenschwere Präsident, Sebastián Piñera, darf für keine weitere Amtszeit kandidieren. Zudem scheint es derzeit wahrscheinlich, dass sein rechtskonservatives Regierungsbündnis die Macht wird abgeben müssen.

Zerstörerisch und unwirtschaftlich

Rodrigo Flores lebt unweit des Naturreservats der Humboldtinseln, das weltbekannt ist für seine Artenvielfalt. Der Fischer bietet Bootsfahrten für TouristInnen an, die dort Delfine, Wale sowie die berühmten und gefährdeten Humboldtpinguine – achtzig Prozent von deren weltweiter Population brüten hier – beobachten können. Nur rund zwanzig Kilometer südlich des Naturschutzgebiets will das chilenische Minenunternehmen Andes Iron nun während 26 Jahren im Tagebau Kupfer und Eisen abbauen und als Konzentrat über einen eigenen Hafen ausschiffen. «Die Sprengungen, die grossen Schiffe und möglicherweise ins Wasser gelangendes Öl bedrohen die Natur und unsere Lebensgrundlage», sagt Fischer Rodrigo Flores.

Mit seinem Missmut ist Flores nicht allein. Grosse Teile der chilenischen Opposition äussern Kritik am Projekt. Mit lediglich einer einzigen Gegenstimme verabschiedete das Abgeordnetenhaus letzte Woche eine Erklärung, in der es sich gegen die Entscheidung der Regierung ausspricht, das Minenprojekt trotz ausstehender Gerichtsentscheide zu genehmigen.

«Das Projekt setzt auf wirtschaftlichen Nutzen, ohne die Schwere der derzeitigen Klimakrise zu verstehen», sagte etwa der oppositionelle Abgeordnete Ricardo Celis Araya vom sozialdemokratischen Partido por la Democracia. Und auch in den Verwaltungsorganen regt sich Widerstand: BeamtInnen der Forstbehörde, die unter anderem die chilenischen Nationalpärke verwaltet, kritisieren in einem offenen Brief ihren Vorgesetzten, den regionalen Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, der das Minenprojekt trotz negativer interner Berichte annahm. In ihrem Brief warnen die Angestellten vor «unumkehrbaren Umweltschäden an einer einzigartigen Artenvielfalt», die der Tagebau vor Ort zu verursachen drohe.

Hinterfragt wird aber nicht nur die Umweltverträglichkeit, sondern auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Mine. Der Kupfergehalt und die Qualität des Gesteins sind gemäss ExpertInnen viel zu gering, um die veranschlagten Abbaukosten zu tragen. Mario Rojas, Geologe und früherer Mitarbeiter des grössten chilenischen Eisenexporteurs Compañía Minera del Pacífico, spricht gegenüber der Onlinezeitung «Vocería Virtual» deshalb von Spekulationen, die auf Kosten des Investitionsimages des Landes betrieben würden; den GeldgeberInnen werde mit Begriffen wie «Premiumkupfer» direkt ins Gesicht gelogen.

Demgegenüber betont das Unternehmen den positiven wirtschaftlichen Effekt, den die Dominga-Mine für die Region haben werde. Die Rede ist von Investitionen in der Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar. Und es verweist auf eigene Anstrengungen zum Umweltschutz: Es seien Wasserentsalzungsanlagen geplant, und man werde auf erneuerbare Energien setzen. Auf den Vorwurf, den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Humboldtpinguine zu gefährden, antwortete Andes-Iron-Manager Francisco Villalón im privaten Fernsehsender Tele 13 hingegen reichlich zynisch, die Tierart werde aussterben, ob mit oder ohne Dominga-Mine. Deren Entfernung zum Naturreservat sei ausreichend.

Korrupter Hauptaktionär

Das Projekt hat bereits eine längere Geschichte und sorgte schon 2017 für Kontroversen. Damals war es von den regionalen MinisterialvertreterInnen unter dem Druck der sozialdemokratischen Präsidentin Michelle Bachelet aufgrund der drohenden Umweltschäden abgelehnt worden. Andes Iron legte Rekurs beim Obersten Gerichtshof ein – und gewann letztes Jahr schliesslich eine erneute Abstimmung. Diesmal waren die Ausgangsbedingungen besser: Teil der aktuellen, rechtskonservativen Regierungskoalition Vamos Chile ist auch die Unión Demócrata Independiente, der Carlos Alberto Délano, Hauptaktionär von Andes Iron, angehört.

Délano ist zugleich in den bisher grössten Korruptionsskandal in der chilenischen Politik verwickelt: Die Holding Penta, deren Hauptaktionär Délano war, schmierte während mehrerer Jahre ExponentInnen rechter Parteien, um eine wirtschaftsliberale Politik zu erwirken. Die Zahlungen flogen auf, weil Délano versuchte, sie von den Steuern abzuziehen. 2018 wurde er deshalb zusammen mit weiteren Unternehmern zu einer hohen Geld- und einer bedingten Haftstrafe verurteilt.

Bis zum Baubeginn der Dominga-Mine stehen noch mehrere Gerichtsprozesse aus. Letzte Woche fanden landesweit Demonstrationen gegen das Projekt statt. Und die GegnerInnen hoffen jetzt auf die bevorstehenden Wahlen: Abgesehen vom Kandidaten der Regierungskoalition haben sich bislang alle KonkurrentInnen gegen das Minenprojekt ausgesprochen und angekündigt, es verhindern zu wollen. Aufgrund der anhaltend schlechten Beliebtheitswerte von Präsident Piñera zeichnet sich eine Niederlage des rechten Parteienbündnisses im November ab – womit sich die Ausgangslage für das Dominga-Projekt erneut grundlegend verändern könnte.