Extremwetter: Auch das politische Klima heizt sich auf

Nr. 35 –

Der Nahe und Mittlere Osten ist besonders heftig von der Klimaerwärmung betroffen. Das wird bestehende Konflikte noch verschärfen.

Tunceli brennt: Seit rund zwei Wochen schon wüten Waldbrände in der ostanatolischen Provinz, in der mehrheitlich KurdInnen leben. Von Dutzenden Toten berichten regierungskritische türkische Medien. Es ist einer von über hundert Waldbränden, die in diesem Jahr landesweit während einer aussergewöhnlichen Hitzewelle riesige Landstriche zerstörten – und für politischen Unmut sorgten: In den sozialen Netzwerken kursieren Verschwörungstheorien, die AnhängerInnen der Regierungspartei AKP verbreiten. Sie beschuldigen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK der Brandstiftung. Fatih Macoglu, Bürgermeister der Provinzhauptstadt Tunceli und Politiker der Kommunistischen Partei, behauptet hingegen, die AKP-Regierung würde sich nicht bemühen, das Feuer zu löschen.

Die Waldbrände in Tunceli sind nur ein Beispiel. Im Nahen und Mittleren Osten nehmen die Extremwetterereignisse zu – und verschärfen die bereits grossen gesellschaftlichen Spannungen und politischen Konflikte. In einer Ende August veröffentlichten Studie warnen dreizehn internationale Hilfsorganisationen, darunter der Norwegian Refugee Council und Care International, vor den verheerenden Folgen des Klimawandels für die Region. Immer weniger Menschen werden Zugang zu Trinkwasser haben; ausbleibende Niederschläge gefährden die Landwirtschaft und damit die Lebensgrundlagen, und die Austrocknung von Stauseen destabilisiert die vielerorts ohnehin prekäre Stromversorgung. So erlebe Syrien momentan die schlimmste Dürre seit siebzig Jahren, und der Irak verzeichne das zweittrockenste Jahr seit vierzig Jahren. In beiden Ländern stehe die Wasserversorgung teilweise kurz vor dem Kollaps, wovon zwölf Millionen Menschen betroffen wären. Die NGOs prognostizieren eine nie da gewesene humanitäre Katastrophe, die eine erhebliche Migration auslösen werde. Ebenfalls vergangene Woche warnte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, dass wegen der Hitze drei von fünf Kindern im Irak keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung haben.

Auf Dürren folgen Proteste

Der Nahe und Mittlere Osten ist ohnehin eine der heissesten Regionen der Welt. Doch diesen Sommer überrollte selbst dieses Gebiet eine ungewöhnliche Hitzewelle. In Ländern wie dem Irak, dem Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und weiteren Golfanrainerstaaten überstiegen die Temperaturen mehrfach fünfzig Grad. Mit der anhaltenden Dürre geht Ackerland verloren, womit die Ernährungsgrundlage von Millionen Menschen zerstört wird. Während sich in den reichen Golfstaaten mit ihren funktionierenden Stromnetzen die BewohnerInnen mit Klimaanlagen von der Hitze erholen können, lösten die Dürren und die kollabierte Stromversorgung auf der anderen Seite des Golfs im Iran und im Irak Proteste verzweifelter BürgerInnen aus. Die Regimes schlugen die Aufstände gewaltsam nieder.

Das World Resources Institute, eine internationale Umweltdenkfabrik, macht Vorhersagen, wo in den nächsten Monaten Zwistigkeiten um Wasser entstehen werden. So verortet sie in einigen Teilen des Iran und des Irak «emerging conflicts». In anderen Teilen werden anhaltende Konflikte verzeichnet.

Unter der Hitze leiden auch die Menschen im ohnehin vielfach gebeutelten und chronisch instabilen Libanon. Nachdem im August die staatlichen Subventionen für Treibstoff eingestellt worden waren, stoppten vielerorts die Generatoren. Die Menschen waren der brütenden Hitze ausgesetzt. Die Lokalpresse berichtete fast täglich von Auseinandersetzungen an Tankstellen. Um Eskalationen einzudämmen, überwachte schliesslich die Armee die Treibstoffverteilung.

Wie sich die Situation in der Region in den nächsten Jahren verschärfen dürfte, zeigt sich auch weiter östlich in Pakistan. Immer wieder warnt der staatliche Council of Research in Water Resources davor, dass das Land in absehbarer Zeit austrocknen könne, wenn die Politik nicht sofort Gegensteuer gebe. ExpertInnen warnen, die grösste Bedrohung sei für Pakistan nicht der islamistische Terrorismus, sondern die Wasserknappheit.

Städte werden unbewohnbar

Dabei scheint die jetzige Extremhitze erst der Anfang. Die Region erwärmt sich laut einer Studie des deutschen Max-Planck-Instituts stärker als der globale Durchschnitt. Der Temperaturanstieg wird dort bis 2050 rund vier Grad betragen. Die WissenschaftlerInnen warnen vor einem «Klima-Exodus».

Viele Städte könnten deswegen noch vor Ende des Jahrhunderts unbewohnbar werden, etwa die Hälfte der BewohnerInnen im Nahen und Mittleren Osten würden in diesem Szenario den extremen Wetterbedingungen ausgesetzt sein. In Kombination mit ökonomischen, politischen und sozialen Schwierigkeiten könnte diese Entwicklung eine massive Zwangsmigration verursachen. Der Konfliktforscher Alexander De Juan von der Universität Osnabrück sagt gegenüber der WOZ: «Klimatische Veränderungen können zu Frustrationen und Aggressionen gegenüber staatlichen Institutionen führen – wenn der Staat nicht fähig oder willens ist, negative Folgen von der Bevölkerung abzuwenden.» Das zeigt sich beispielhaft schon in Syrien, wo einst vor allem der Norden fruchtbar war. Dem Krieg ging eine Dürre voraus, die ethnische Konflikte, Armut und Landflucht verursachte und die auch ein Grund für die ersten Proteste gegen das Regime im Jahr 2011 war.

Ursachen international bekämpfen

Tatsächlich gibt es kaum gross angelegte effektive Massnahmen gegen die Ursachen und Folgen des Klimawandels in den betroffenen Staaten. Nur einige wenige der wohlhabenderen Regierungen haben einzelne Initiativen angestossen. So gibt es Kooperationen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die seit dem 2020 unterzeichneten Normalisierungsabkommen in Umweltfragen zusammenarbeiten. Und Israel hilft dem an chronischer Dürre leidenden Jordanien für viel Geld mit Wasser aus.

Für eine Lösung der Probleme brauche es auch entschlossenes gemeinsames Handeln in der Region, da müsste deutlich mehr geleistet werden, fordert Johan Schaar vom Stockholm International Peace Research Institute im US-Magazin «Foreign Policy». Die regionale Zusammenarbeit sei bisher nicht ausreichend, kritisiert der auf Klimaerwärmung und Migration spezialisierte Wissenschaftler. Keiner der Staaten habe bisher ausreichend in die Reduzierung von Treibhausgasemissionen investiert, so Schaar.

«Die Ursachen des Klimawandels und daraus folgender Konfliktwirkungen liegen hier bei uns in den Industrienationen und nicht in den betroffenen Konfliktländern», sagt hingegen Alexander De Juan zur WOZ. «Zentrales Ziel der internationalen Gemeinschaft muss es zunächst einmal sein, effektive Massnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen», fordert der Konfliktforscher. Dann könnten vor Ort Massnahmen unterstützt werden, um die sozioökonomischen Folgen der Klimaerwärmung abzumildern.